Nord Stream 1-Wartung: Die wichtigsten Fragen und Antworten
Der Ukraine-Krieg hat die wirtschaftlichen Beziehungen des Westens zu Russland stark beeinträchtigt und heftige Turbulenzen an den Märkten verursacht. Neben Gütern wie Getreide ist insbesondere das Erdgas teurer und knapper geworden. Die Folgen des Krieges haben in Österreich nicht nur eine Debatte zur Versorgungssicherheit ausgelöst, auch die Abhängigkeit von Russland und mögliche Alternativen gerieten in den öffentlichen Diskurs.
Nachdem lange Zeit Wartungsarbeiten angekündigt wurden, läuft nun seit Montagmorgen kein Gas mehr durch die Gaspipeline Nord Stream 1. Mit Sorge wird in Westeuropa die Frage gestellt, ob der russische Energiekonzern Gazprom nach dem Ende der Wartung wieder in vollem Umfang Gas nach Westen pumpen wird.
Wieso wird die Gaslieferung unterbrochen?
Grund sind laut dem Betreiber Nord Stream AG jährlich wiederkehrende Wartungsarbeiten an der Pipeline. Die Rede ist von Überprüfung und gegebenenfalls Instandsetzung oder Kalibrierung etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile. Auch Software-Updates würden vorgenommen. Die Offshore-Pipelines blieben weiter unter Druck. Die Arbeiten finden laut der deutschen Bundesnetzagentur nicht an der eigentlichen Leitung, sondern an den Verdichterstationen statt, etwa in Lubmin.
Wie lange wird kein Gas fließen?
Ab Montag, 6.00 Uhr, bis 21. Juli, 6.00 Uhr - also für zehn Tage - soll kein Gas mehr fließen. Entsprechende Arbeiten dauerten laut Betreiber in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 14 Tagen. Sie wichen dabei aber auch teilweise von der angesetzten Frist ab. In Modellrechnungen geht die Bundesnetzagentur von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können, hieß es von der Behörde. Daher schaue man auch eher darauf, wie es am 21. oder 22. Juli weitergeht.
Wie viel Gas floss zuletzt durch die Pipeline?
Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni bereits die Liefermenge durch die mehr als 1.200 Kilometer lange Pipeline deutlich gedrosselt und auf Verzögerungen bei Reparaturarbeiten verwiesen. Zuletzt war die Leitung laut Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet.
Nach Darstellungen Russlands hingen diese Verzögerungen mit Sanktionen zusammen, die der Westen wegen des Angriffs auf die Ukraine gegen Russland verhängt hatte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Begründung als vorgeschoben kritisiert. Unter anderem ging es dabei um eine Pumpe, die nach der Wartung in Kanada nicht zurück nach Russland geliefert werden konnte. Kanada hat inzwischen aber angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montréal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen.
Warum sollte dieses Mal länger kein Gas fließen?
Mitte Juni hatte Russlands EU-Botschafter gesagt, wegen der Probleme bei den Reparaturarbeiten sei auch eine völlige Stilllegung möglich. Eine solche befürchtet unter anderem der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er sagte kürzlich, man sehe ein Muster, dass zu diesem Szenario führen könne. Habeck sprach auch von einer "wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung" mit Russland. Auch russische Gaslieferungen über andere Leitungen nach Deutschland waren zuletzt deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig erhalten mehrere europäische Staaten, die die Regierung in Kiew unterstützen, bereits kein Gas mehr aus Russland.
Was passiert, wenn Nord Stream 1 dauerhaft dicht bleibt?
Unmittelbar würde es wohl nicht zu einem Gasmangel in Deutschland kommen. Zu dem Ergebnis kommen Modellrechnungen der Bundesnetzagentur. Aber: Deutschland könnte seine Gasspeicher vor der Heizperiode nicht so weit auffüllen, wie angestrebt. Außerdem könnte es den Berechnungen zufolge ohne Gas aus Lubmin im Winter unter Umständen zu einer Mangellage kommen. Eine jüngere Diagnose von mehreren deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten kommt dagegen zum Schluss, dass auch im ungünstigsten Fall heuer kein Gasengpass mehr drohe und im kommenden Jahr auch nur in eher ungünstigen Szenarien.
Davon unabhängig würde ein andauernder Lieferstopp die Preise wohl weiter steigen lassen. Die von den gedrosselten Lieferungen betroffenen Unternehmen müssen diese schon jetzt zu deutlich höheren Preisen anderweitig am Markt beschaffen. Auch private Verbraucher müssen sich laut Bundesnetzagentur auf deutlich steigende Gaspreise einstellen. Man unterstütze ausdrücklich die Aufforderung, so viel Gas wie möglich einzusparen.
Chronologie der Gasknappheit
24. Februar 2022 - Die russische Armee marschiert im Zuge des seit Wochen schwelenden Ukraine-Konflikts in seinem Nachbarland ein. Die Europäische Union (EU) kündigt unverzüglich scharfe Sanktionen gegen den Aggressor an. Nach Österreich, das rund 80 Prozent seiner Gaslieferungen aus Russland bezieht, fließt das Gas nach der Invasion bis auf weiteres ungebremst weiter.
Ende Februar und März 2022 - Der Krieg führt, auch aufgrund der verhängten Sanktionen, zu Erschütterungen an den internationalen Rohstoffmärkten. Neben den Preisen für Güter wie Getreide, Düngemitteln und Treibstoff schießen die Gaspreise in die Höhe. In der EU und Österreich entspinnt sich unterdessen eine Debatte zu möglichen Alternativen für russisches Erdgas. Ziel ist es, schnellstmöglich von Russland unabhängig zu werden.
23. März 2022 - Russland kündigt an, Gaslieferungen in die EU nur mehr gegen Rubel zu akzeptieren. Zahlungen in Dollar oder Euro sollen nicht mehr angenommen werden. Die Lieferungen bleiben laut dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aber weiter in vollem Umfang aufrecht.
24. März 2022 - Der österreichische Nationalrat beschließt angesichts niedriger Füllstände eine strategische Gasreserve. Der Speicherstand beträgt zu diesem Zeitpunkt rund 15 Prozent.
29. März 2022 - Die Gaspreise im Großhandel befinden sich auf Rekordhöhe. Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) stieg für April gegenüber dem Vormonat von hohem Niveau ausgehend um 6,5 Prozent. In der Wirtschaft werden massive Auswirkungen für Betriebe befürchtet. Die hohen Preise heizen nicht zuletzt auch die Inflation an.
30. März 2022 - Als Reaktion auf die Rubel-Ankündigung rufen zunächst Deutschland und später auch Österreich die Frühwarnstufe im dreistufigen Notfallplan für die Gasversorgung aus. Mit der ersten Stufe wird das Überwachungs- und Monitoring-System verschärft.
April 2022 - Nach den Enthüllungen russischer Gräueltaten im ukrainischen Butscha intensiviert sich die Debatte um die Energieabhängigkeit von Russland. Ein nicht unumstrittenes Öl-Embargo gegen Russland wird in den Raum gestellt. Österreich ist kaum von russischem Öl abhängig.
27. April 2022 - Der russische Staatskonzern Gazprom stoppt alle Gaslieferungen nach Bulgarien und Polen. Als Grund wird deren Weigerung, sich den neuen Zahlungsmodalitäten zu unterwerfen, angeführt. Nach Österreich fließt das Gas uneingeschränkt weiter. Die Regierung kündigt unterdessen an, für die strategische Gasreserve bis zu 6,6 Mrd. Euro aus dem Budget zur Verfügung zu stellen. Bis zur Heizsaison sollen die Speicher zu 80 Prozent gefüllt sein.
18. Mai 2022 - Die Bundesregierung beschließt weitreichende Maßnahmen zur Befüllung der Erdgasspeicher. Ungenutzte Gas-Speicherkapazitäten müssen abgegeben werden und der strategisch wichtige Gasspeicher Haidach in Salzburg soll an das österreichische Gasnetz angeschlossen werden.
21. Mai 2022 - Russland stellt seine Gaslieferungen nach Finnland ein.
24. Mai 2022 - Die Regierung kauft die ersten 7,7 Terawattstunden (TWh) Gas für die strategische Reserve an und nimmt dafür 958 Mio. Euro in die Hand.
30. Mai 2022 - Die EU verständigt sich auf ein Öl-Embargo gegen Russland. Effektiv betrifft das Embargo unmittelbar mehr als zwei Drittel aller Ölimporte aus Russland. Erdgas wird bis auf wenige Einschränkungen weiter importiert. Indes stoppt Russland jedoch auch seine Lieferungen in die Niederlande.
16. Juni 2022 - Gazprom reduziert seine Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream nach Deutschland. Auch Österreich ist mit reduzierten Gaslieferungen aus Russland konfrontiert. Zunächst wird 30 Prozent weniger geliefert, in weiterer Folge sind es nach Angaben des heimischen Öl- und Gaskonzerns OMV bis zu 50 Prozent weniger. Die Gasspeicher sind zu diesem Zeitpunkt zu rund 40 Prozent gefüllt.
23. Juni 2022 - Deutschland ruft infolge der gesunkenen Liefermengen und der anhaltend hohen Preise die Gas-Alarmstufe aus - die zweite Stufe im Notfallplan. Die politische Führung fürchtet um die Versorgungssicherheit. Österreich bleibt bei der Frühwarnstufe.
1. Juli 2022 - Die Speicherbefüllung läuft schleppend. Nach Angaben von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) gehen die Einspeicherraten deutlich zurück. Die Regierung kündigt an, sich über die aktuelle Lage und mögliche Maßnahmen zu beraten.
5. Juli 2022 - Die Regierung behält die Frühwarnstufe des Gas-Notfallplans bei - vorerst, wie Gewessler betont. Denn mit der Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 erwarte Österreich ein "kritisches Ereignis".
11. Juli 2022 - Die angekündigte Wartung der Nord-Stream-Pipeline beginnt. Experten und Beobachter befürchten, dass Russland weitere Gas-Lieferungen auch nach der Ende der rund zehntägigen Wartung zurückhalten könnte.
Zusammenfassung
- Seit Montagfrüh läuft die Wartung der Pipeline Nord Stream 1. Die wesentliche Frage ist: für wie lange?
- Mit Sorge wird in Westeuropa die Frage gestellt, ob der russische Energiekonzern Gazprom nach dem Ende der Wartung wieder in vollem Umfang Gas nach Westen pumpen wird.
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Nord-Stream 1-Wartung können Sie jetzt auf PULS 24 lesen.