E-Control kennt den Gazprom-Vertrag, warum Nehammer nicht?
Seit Beginn des Ukraine-Krieges steht die Abhängigkeit Österreichs von Gas aus Russland im Fokus des Landes. Über Jahre hinweg wurde sie aufgebaut. Bisher macht Österreich wenig Anstalten, aus dem Gazprom-Vertrag aussteigen zu wollen. Man wisse nicht, ob dies möglich sei, weil man den geheimen Vertrag nicht kenne, heißt es vonseiten der Regierung. Aber ist das so oder fehlt lediglich der Wille?
Kreml-Chef Wladimir Putin und Bundeskanzler Sebastian Kurz waren 2018 dabei, als Ex-OMV-Chef Rainer Seele und der Chef der russischen Gazprom Alexey Miller feierlich den Vertrag zwischen der OMV und der russischen Gazprom für die Gasversorgung bis 2040 verlängerten. Dieser eine Vertrag hätte ursprünglich bis 2028 laufen sollen, vorsorglich wurde er gleich 12 Jahre verlängert.
Die OMV liegt zu 31,5 Prozent im Besitz der Republik Österreich. Verwaltet wird dieser Anteil durch die Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG). Trotz dieser Beteiligung gab Kanzler Nehammer im PULS 24 Interview an, dass niemand der Regierenden scheinbar den Inhalt des Liefervertrags mit der russischen Gazprom kennt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wich erst vor wenigen Tagen einer Frage nach dem Inhalt des Vertrags in einem ATV-Interview aus.
"Wenn wir gewusst hätten, was im Jahr 2022, 2023 passiert, dann hätte man manche Entscheidungen anders getroffen", sagt sie. Juristinnen und Juristen müssten nun entscheiden, ob ein Ausstieg möglich sei. Gleichzeitig meinte sie aber auch, mehr Transparenz bei den Verträgen würde sie begrüßen. Langfristig solle sich Österreich von Gas und Gasimporten aus Russland unabhängig machen.
Karoline Edtstadler im Interview
Experten: Unkenntnis unwahrscheinlich
Expert:innen und Brancheninsider meinen, es scheint wenig glaubwürdig, dass die Regierung nicht weiß, was ihre Vorgänger unterschrieben haben. Zuletzt beleuchtete der Investigativ-Journalist Michael Nikbakhsh in seinem Podcast "Dunkelkammer" den Verbleib des Vertrages der OMV und der Gazprom. Bekannt ist, dass er Anfang der 2000er-Jahre aufgesetzt wurde und vier Vorgänger hatte. Er dürfte eine "Take-or-Pay"-Klausel enthalten, das heißt Österreich muss auch dann an Russland zahlen, wenn kein Gas fließen würde.
Auch in der Vergangenheit war der Inhalt der Verträge geheim, die ÖBAG berief sich darauf, dass es sich um privatwirtschaftliche Verträge handelt. Nikbakhsh bekam von der OMV die Auskunft, dass der Vorstand, der Aufsichtsrat und Menschen, die mit der Erstellung und dem Vertragsmanagement zu tun haben, über die Inhalte Bescheid wissen würden. Dabei handle es sich aber um vertrauliche Informationen, die nicht an Dritte weitergegeben werden dürften.
Ein Kanzler-Anruf reicht
Auch die E-Control kennt laut Rückfragen des Journalisten die Rahmenbedingungen des Vertrags. Das wurde auch gegenüber PULS 24 bestätigt. Die Aufsichtsbehörde ist zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich, ein Anruf des Bundeskanzlers könnte reichen, um zumindest die Rahmenbedingen zu erfahren, merkt Nikbakhsh in seinem Podcast an. Auch der ehemalige OMV-Vorstandsvorsitzende Gerhard Roiss bekräftigte in einem Interview im Februar 2023, dass es schwer nachvollziehbar sei, dass der Bundeskanzler den Vertrag nicht kennen würden.
Ausstieg wohl möglich, aber Wille fehlt
Warum eigentlich die Frage nach dem Inhalt des Gazprom-Vertrags? Die Regierung präsentiert den Vertrag indirekt als unkündbar. Gegenüber der Zeitung "der Standard" erläutern Brigitta Lurger, Professorin für internationales Privatrecht an der Universität Graz und der Rechtsanwalt Stefan Geisthardt, dass das Kündigungsrecht nicht vollkommen ausgehebelt werden kann. Bestimmungen über ein Vertragsende dürften wahrscheinlich enthalten sein. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Aufsichtsrat damit nicht beschäftigt hat, geht gegen Null", zitiert die "Presse" einen Insider.
Mögliche Bedingungen für einen Vertragsausstieg könnten festgelegte Lösesummen oder Mindestliefermengen sein. Österreich könnte demnach kündigen, wenn Russland seine Verträge brechen würde - das dürfte aber noch nicht passiert sein, da Österreich immer russisches Gas erhielt. An sich könnte aber auch der Krieg schon Grund genug sein, um den Vertrag auf Basis eines gebrochenen Vertrauensverhältnisses zu kündigen, mutmaßen Jurist:innen.
Energiepolitische Abhängigkeit als Strategie
Weil der Vertrag geheim ist, sei es laut Roiss nicht klar, ob ein Ausstieg nur nicht möglich ist, weil es an politischem Willen fehlt. Das ist aber keine neue Entwicklung. Zuletzt hatte die Austrian Energy Agency (AEA) analysiert, warum Österreich an der "russischen Gasleine" hängt. Von Beginn der Lieferverträge in den 1960er Jahren an hatte die österreichische Politik Verantwortung abgelehnt.
Bereits damals sei auf privatwirtschaftliche Angelegenheiten verwiesen worden. Verantwortlich waren die Sowjetische Mineralölverwaltung (SMV) und die Österreichische Mineralölverwaltung (ÖMV) - der Vorgänger der OMV. Vor diesem Abhängigkeitsverhältnis wird also bereits seit 60 Jahren gewarnt, so Herbert Lechner der ehemalige wissenschaftliche Leiter der AEA. Nur stieß man auf taube Ohren - oder gewollte Unkenntnis.
Zusammenfassung
- Wer bestimmt Österreichs Energiepolitik? Trotz ÖBAG-Beteiligung wissen die Regierenden nicht, was in dem Vertrag zwischen Österreich und Russland steht.
- Laut neuen Recherchen dürfte dessen Inhalt sehr wohl der E-Control bekannt sein.