Zu Unrecht in Schubhaft: Republik muss Flüchtling entschädigen
Rahimi K., Flüchtling aus Afghanistan, besuchte im August 2022 Freunde in Linz. Der Trip sollte zehn Tage dauern, wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aber um weitere zehn Tage verlängert. Und zwar in Schubhaft.
Das hätte nicht sein dürfen, stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nun rechtskräftig fest. Die Republik Österreich muss den 25-Jährigen entschädigen, weil die Behörde laut Gericht gravierende Fehler machte. Das PULS 24 vorliegende Erkenntnis des BVwG offenbart, dass Beamte nötige Ermittlungen nicht tätigten und in ihren Argumentationen den politisch aufgeladenen Begriff "Asyltourismus" verwendeten. Das kostet die Republik nun 1.000 Euro, die dem Flüchtling für seine zu Unrecht in Schubhaft gesperrte Zeit bezahlt werden müssen.
Trotz Tickets und Dokuments festgenommen
Doch alles begann eigentlich mit der deutschen Polizei: Als Rahimi K. am 17. August des Vorjahres nach seinem Besuch zurück nach Frankreich wollte und - mit einem Zugticket bis nach Paris - beim Grenzübertritt nach Deutschland kontrolliert wurde, verweigerten ihm Beamte die Einreise und schickten ihn zurück nach Österreich. Hier wurde er festgenommen, da er laut Polizei "kein gültiges Reisedokument" vorzeigen konnte. Nach einer Befragung und der "erkennungsdienstlichen Behandlung" wurde K. am 18. August im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Salzburg in Schubhaft genommen, wo er zehn Tage bleiben musste.
Dabei wurden Fehler gemacht: Das Gericht merkt in seiner Entscheidung an, dass die Behörden in Salzburg schon zu diesem Zeitpunkt eine "Bestätigung für einen positiven Aufenthaltsbescheid in Frankreich" protokolliert hatten, die K. bei sich führte.
Der mittlerweile 25-Jährige hatte 2015 einen Asylantrag in Österreich gestellt, dieser wurde 2018 abgelehnt. Danach reiste der Afghane nach Frankreich, wo er 2018 ebenfalls einen Antrag stellte, dem dort stattgegeben wurde. Dass Frankreich über Asylanträge, die in Österreich abgelehnt wurden, positiv entscheidet, ist keine Seltenheit. Ab diesem Zeitpunkt war K. anerkannter Flüchtling, als solcher darf er auch reisen.
Das alles glaubte man ihm in Österreich nicht. Auch wenn auf dem Ausbildungszertifikat, das K. bei sich hatte, "RECONNU REFUGÉ" - also "anerkannter Flüchtling" - und "Ce document autorise le franchissement des frontiéres de l’espace Schengen" - also "Dieses Dokument berechtigt, Schengen-Grenzen zu überqueren" - stand.
Der Behörde sind also "zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung (...) deutliche Indizien" vorgelegen, dass K. in Frankreich asylberechtigt ist und es ihm erlaubt ist, im Schengengebiet zu reisen, entschied nun das BVwG. Fälschungs- bzw. Verfälschungsmerkmale am Dokument stellte das BFA "sichtlich nicht fest".
Und das Gericht kritisiert: Die Behörde hat "keine weiterführenden Ermittlungen in Bezug auf die Existenz einer Unterkunft bzw. von unterstützungswilligen Bekannten" unternommen und keine Ermittlungsschritte gesetzt, um abzuklären, ob es sich bei dem mitgeführten Dokument um ein von der Republik Österreich anerkanntes Reisedokument handelt. Ebenso wenig habe man ermittelt, ob K. in Frankreich einen Asylstatus habe. Man nahm ihn in Schubhaft, um ihn später nach Frankreich abzuschieben, wohin er sowieso wollte.
Selbst wenn sein Dokument nicht geeignet gewesen wäre, wäre die Schubhaft laut Gericht rechtswidrig gewesen, weil das BFA zumindest "in dubio" - also "im Zweifel" - davon ausgehen hätte müssen, "dass die Gefahr des Untertauchens im gegenständlichen Fall nicht gegeben war und es keiner Inhaftierung bedurft hätte". Auch, weil K., anders als vom BFA fälschlich argumentiert, Kontaktpersonen in Österreich angab, Geld für seinen Aufenthalt hatte und ohnehin nach Frankreich wolle. Die Behörde habe in der Begründung des Schubhaft-Bescheids die Fluchtgefahr "nicht nachvollziehbar dargelegt", so das Gericht.
In so einem "Mandatsverfahren" müssen zwar nicht die Kriterien eines Ermittlungsverfahrens eingehalten werden, "dennoch ist sie (die Behörde, Anm.) in Entsprechung der höchstgerichtlichen Judikatur auch in einem solchen Verfahren nicht von der Verpflichtung entbunden, den maßgeblichen Sachverhalt so weit zu ermitteln, um die sich im Mandatsverfahren stellenden Rechtsfragen auf Basis eines ausreichenden Tatsachensubstrats beantworten zu können", hält das Gericht fest. Das sei in dem Fall nicht passiert.
Fehler erst spät erkannt
Rahimi K. saß also über zehn Tage zu Unrecht in Haft. Entlassen wurde der Flüchtling schließlich am 28. August des Vorjahres. Die staatliche Rechtsvertretung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) habe ihn zunächst mit den Worten vertröstet, da könne man nichts machen, man müsste abwarten, schildert eine Juristin der Vereins "Fairness Asyl" im Gespräch mit PULS 24.
Erst als sich eine Freundin von K. an eben diesen Verein wandte und die Juristin dem PAZ Salzburg nochmal Kopien der Dokumente übermittelte und darauf hinwies, dass K. seinen Ausbildungsplatz in Frankreich verlieren könnte, sollte er nicht pünktlich zu einem Termin erscheinen können, gestand das BFA ein: "Wegfall des Schubhaftgrundes – Aufenthaltsrecht in Frankreich". So stand es neun Stunden nach Einschreiten der Juristin plötzlich in der Entlassungsbegründung.
Gegen den Schubhaftbescheid machte die BBU dann doch eine Beschwerde beim BVwG. Mittlerweile ist das Erkenntnis rechtskräftig. Die Schubhaftbegründung, in der ein BFA-Beamter K. noch unterstellte: "Sie reisen als ein Asyltourist durch den Schengenraum", war nicht rechtmäßig. Rahimi K. hat seine Entschädigung bereits erhalten.
Hohe Fehlerquote bei BFA-Entscheidungen
"Liest man den Schubhaftbescheid des BFA, so merkt man, dass dieser jede Sachlichkeit vermissen lässt. Dieser Fall ist ein Beispiel, wohin Vorurteile zuständiger Stellen führen können", kritisiert "Fairness Asyl" gegenüber PULS 24. "Statt zu ermitteln wurden Behauptungen aufgestellt, die schlichtweg falsch waren. Hier wurden unnötig Ressourcen und Geld verschwendet". Man müsse sich fragen, wie lange K. noch eingesperrt gewesen wäre und ob es mehrere Personen gäbe, "die unnötig in Schubhaft sitzen, weil sie keine oder nicht die richtige Unterstützung haben".
Laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung durch Justizministerin Alma Zadić (Grüne) an Stephanie Krisper (NEOS) gingen von rund 20.500 Einzelentscheidungen, die das BVwG im Vorjahr in Sachen Asyl- und Fremdenwesen traf, 9.700 zugunsten der Beschwerdeführer aus. 47,3 Prozent der BFA-Entscheidungen waren demnach falsch. Wie viele davon Schubhaftentscheidungen betreffen, geht aus den Zahlen allerdings nicht hervor. Eine entsprechende Auswertung wäre laut BVwG auch gar nicht so einfach möglich. Auch das BFA teilt auf PULS 24 Anfrage mit, dass man keine entsprechen Auswertung führe.
Auch auf die Frage, warum der politisch aufgeladene Begriff "Asyltourist" in einer Schubhaftbegründung verwendet wird, bekam PULS 24 keine Antwort. Zu Einzelfällen wolle man "aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft" erteilen. Man könne "aber versichern, dass es in jedem Einzelfall zu einer objektiven Prüfung des relevanten Sachverhaltes kommt". "Grundsätzlich" seien Asylwerber verpflichtet, mit einem Konventionspass zu reisen.
Zusammenfassung
- Ein in Frankreich anerkannter Flüchtling besuchte Freunde in Österreich und wurde - bei der schon angetretenen Heimreise - in Schubhaft genommen.
- Wie das Bundesverwaltungsgericht nun rechtskräftig feststellte, zu Unrecht.
- Eine Erkenntnis, die Einblicke in die Arbeit des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gibt.