Vranitzky: EU-Zustimmung in Österreich "kein Ruhekissen"
"Es ist richtig und wichtig, Europapolitik in Österreich so zu betreiben, dass integrationsablehnende und integrationsfeindliche politische Strömungen nicht in einem Maße überhand nehmen, dass das ganze System infrage gestellt wird", sagte Vranitzky. Auch von der entstehenden neuen Bundesregierung wünsche er sich, das Europathema der Bevölkerung "in einer Art und Weise näherzubringen, dass sie jede Art von Euroskepsis vermeiden". Man solle auch nicht zurückfallen in eine Zeit, in der man bei Unangenehmem die Schuld nach Brüssel geschoben habe und sich Erfreuliches als eigene Leistung an den Hut gesteckt habe.
"Das Schlechteste, was man tun kann, ist sich zurückzulehnen und zu sagen: Dieses Bürokratiemonster in Brüssel, das ist uns unsympathisch, wir lassen uns nicht bevormunden", kritisierte Vranitzky. "Wenn wir es als Bevormundung empfinden, dann heißt es, sich hinsetzen und nachzudenken darüber, was tun wir, damit wir nicht, so wie manche glauben, bevormundet werden." Die österreichische Politik, die "vielleicht in den letzten Jahren etwas leiser getreten" sei, sei in den EU-Gremien vertreten und könne in diesen ihren Beitrag leisten, damit diese nicht wie "in einem Gläsernen Palast" agierten.
Auch gelte es, das Prinzip "Einheit in Vielfalt" hochzuhalten. Die Bevölkerung werde dem europäischen Einigungsprojekt nämlich dann positiv gegenüber stehen, "wenn sie sicher sein kann, dass der Österreicher nicht auf einmal ein Portugiese werden muss und der Portugiese kein Finne und der Finne kein Belgier".
Vranitzky räumte ein, dass Österreich auf EU-Ebene mitunter aus der Reihe tanzt. "Ja, es ist so, es gibt einige österreichische Eigenheiten, um nicht zu sagen Besonderheiten", sagte er etwa in Hinblick auf den Alpentransit, bei dem die österreichische Politik auch nach 30 Jahren "weiter kämpfen muss". Zur Neutralität sagte er, dass diese "Bestandteil unserer Bundesverfassung" sei und man diese "nicht einfach vergraben" könne. Gleichwohl gebe es heute eine "vollkommen geänderte Sicherheitslage in Europa" und durch den geltenden EU-Vertrag auch eine "neue Beistandsarchitektur". Beistand heiße auch, "dass man selber in der Lage sein muss mit anderen zusammenzuarbeiten". Zwar sei dies bisher noch nicht ausdiskutiert, "aber ich glaube, es gibt schon Möglichkeiten, unter Beibehaltung der Neutralität trotzdem auch Beiträge zu leisten".
Die Europäische Union dürfe nicht ihren Schwung verlieren, gemeinsam in der Welt aufzutreten, forderte Vranitzky. "Dieser Schwung ist nicht selbstverständlich, sondern sogar gefährdet." Einzelne Mitgliedsstaaten würden nämlich den europäischen Idealen "nicht so ohne weiteres folgen", die Rückkehr des Nationalistischen und innenpolitische Situationen gefährdeten "das gemeinsame Werk".
Vranitzky zeigte sich optimistisch, dass integrationsfeindliche oder autoritäre Tendenzen in einzelnen Mitgliedsstaaten zurückgedrängt werden können. "Die Antwort für die Zukunft wird dort liegen, in den einzelnen Ländern immer wieder für die Prinzipien der liberalen Demokratie einzutreten und zu kämpfen", betonte er. Gerade in osteuropäischen Ländern habe man gesehen, dass auch andere politische Entwicklungen möglich sind, verwies er auf die "eindeutige Richtungsänderung" bei der polnischen Parlamentswahl im Vorjahr oder die aktuellen Umfragewerte in Ungarn.
Der frühere Kanzler sprach sich für eine Zurückdrängung des nationalen Vetorechts auf EU-Ebene und eine gemeinsame EU-Außenpolitik aus. Letzteres werde zwar "nicht über Nacht eintreten", doch müsse daran gearbeitet werden, weil die Europäische Union dann in der Weltpolitik ernster genommen werde. "Ein Kontinent mit nicht ganz einer halben Milliarde Einwohner sollte sich nicht zufrieden damit geben, dass er außenpolitisch von den anderen großen Playern in der Welt nicht wahrgenommen wird oder nicht ernst genug genommen wird."
Befragt zu den Auswirkungen des bevorstehenden Machtwechsels in den USA auf Europa sagte Vranitzky: "Vorauseilende Verzweiflung ist der schlechteste Ratgeber." Auch würde "ein starkes und einiges Europa nicht so gebannt auf Entwicklungen sonst wo in der Welt starren", sondern auf Basis des eigenen soliden und stabilen Zusammenhalts "eigene politische Wege gehen".
Vranitzky hatte als Bundeskanzler (1986-97) entscheidenden Anteil am EU-Beitritt Österreichs, der am 1. Jänner 1995 erfolgte. "Mehrere Beweggründe sind ausschlaggebend dafür, dass der Beitritt auch nach 30 Jahren ein richtiger Schritt der Österreicherinnen und Österreicher war", verwies er auf die Teilnahme am europäischen Friedensprojekt, die wirtschaftlichen Vorteile durch den Abbau von Handelshemmnissen sowie das stärkere Auftreten gegenüber den großen weltpolitischen Blöcken. Der EU-Beitritt sei für Österreich "auch psychologisch ein wichtiger Schritt" gewesen, nämlich in die westeuropäische Staatengruppe. So habe er sich vor dem Beitritt immer über ein Schild am Flughafen von Zürich geärgert, auf dem gestanden sei: "Osteuropa, Israel und Österreich". Mit dem Beitritt habe diese Tafel "keine Bedeutung mehr" gehabt.
Spezifische Nachteile der EU-Mitgliedschaft sieht Vranitzky keine. Man sei durch sie aber "nicht automatisch gefeit vor irgendwelchen Krisen". Die internationale Finanzkrise der Jahre 2008-09 etwa habe auch Österreich erlebt, doch weil es keine eigene kleine Währung mehr hatte, sondern Teil des Euroraumes sei, sei man vor Spekulationen gefeit gewesen. Eben dies sei auch der große Vorteil der Gemeinschaftswährung Euro.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
Zusammenfassung
- Franz Vranitzky, Ex-Bundeskanzler, warnt davor, die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft in Österreich als selbstverständlich zu betrachten und fordert eine aktive Förderung durch die Politik.
- Er zeigt sich besorgt über nationalistische Tendenzen, die das europäische Einigungsprojekt gefährden könnten, und betont die Wichtigkeit, integrationsfeindliche Strömungen zu bekämpfen.
- Vranitzky spricht sich für die Reduzierung des nationalen Vetorechts und eine stärkere gemeinsame EU-Außenpolitik aus, um die EU international ernster zu nehmen.
- Er hebt die Vorteile der EU-Mitgliedschaft hervor, wie den Schutz vor Spekulationen durch den Euro während der Finanzkrise 2008-09.
- Vranitzky betont die Bedeutung des Prinzips 'Einheit in Vielfalt' und kritisiert die Schuldzuweisungen an die EU für unliebsame Entscheidungen.