Vor Schallenberg-Besuch: Sorge in Vietnam zu Taiwan-Konflikt
Der Krieg in der Ukraine habe "die Welt überrascht", weil man eigentlich die Region Südostasien als Brennpunkt gesehen habe, sagte Nguyen. Nun beschleunige der Krieg das "Wettrüsten" in der Region. Es gebe mehrere Militärmanöver, "die Temperatur steigt", beklagte Nguyen. Abseits vom Taiwan-Konflikt seien sechs Länder in Territorialstreitigkeiten rund um Inseln im Südchinesischen Meer involviert. "Nicht alle diese Länder sind einer friedlichen Lösung verpflichtet", sagte der Diplomat in Anspielung auf China. "Das ist beunruhigend."
Nguyen trat auch dem Eindruck entgegen, sein Land würde der russischen Aggression in der Ukraine indifferent gegenüber stehen. Man habe sich bei den UNO-Resolutionen zur Verurteilung Russlands enthalten, weil bestimmte Formulierungen "nicht dazu beitrugen, einen Frieden zu erzielen", erläuterte der Diplomat. "Wir sind gegen jegliche Form von Krieg. Wir haben genug Kriege erleiden müssen", sagte er in Anspielung auf den Vietnamkrieg, der auch heute noch viele Familien im Land entzweie.
"Wir haben gute Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine", betonte Nguyen. Viele Vietnamesen nehme der Krieg emotional sehr mit, weil sie beide Länder aus persönlicher Erfahrung kennen. So gebe es Vietnamesen, die in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gelebt Russisch studiert hätten. "Jetzt sehen sie, wie zwei Brüder einander schlagen."
Der Krieg in der Ukraine habe die Europäer "schockiert", doch habe er auch eine Vorgeschichte und sei "nicht schwarz und weiß", so Nguyen. "Es gibt keine einfache Lösung in der Ukraine, bei der die eine Seite verliert oder gewinnt. Aus unserer eigenen Erfahrung wissen wir, dass das nicht leicht ist", sagte der Diplomat. Dem Einwand, dass sein Land ein Paradebeispiel für einen vollständigen Sieg in einem Krieg ist, entgegnete Ngyuyen: "Wir haben nie gesagt, dass wir Amerika besiegen wollen. Wir haben sie nach Hause geschickt."
Afrikanische Kollegen fragten ihn immer wieder, "wie ihr euch nach so einem blutigen Krieg wieder mit Amerika zusammensetzen könnt", kommentierte Nguyen die politische und wirtschaftliche Annäherung an die USA. "Ich bin stolz darauf, dass wir das schaffen", sagte der Diplomat, um dann darauf hinzuweisen, dass die gemeinsame Geschichte mit China noch viel grausamer sei. Dieses habe nämlich vor Jahrhunderten versucht, das gesamte vietnamesische Volk auszulöschen. "Aber wir sind nicht verschwunden."
Tatsächlich wird das einst isolierte kommunistische Land heute vom Westen geradezu hofiert. "Unsere beiden Länder stehen einander heute näher als je zuvor", betonte US-Außenminister Antony Blinken am Samstag bei einem Besuch in Hanoi. Wenige Tage nach dem 50. Jahrestag des schmählichen US-Abzugs aus Vietnam unterstrich Blinken dabei sein Bekenntnis "zu einem starken, wohlhabenden, widerstandsfähigen und unabhängigen Vietnam".
Die USA sind ganz eindeutig auf der Suche nach regionalen Verbündeten im Konflikt mit China. Vietnam wird sich aber kaum offen auf die Seite Washington schlagen, um nicht wieder zum blutigen Spielball der Großmächte zu werden. Was die Ukraine derzeit durchmacht, hat das Land nämlich schon mehrmals erleben müssen. "In den vergangenen 40 Jahren wurden wir von vier der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates überfallen", sagte der damalige vietnamesische Außenminister Nguyen Co Thach Ende der 1970er Jahre. Gemeint waren die frühere Kolonialmacht Frankreich, Großbritannien, die USA und China. Ganz untätig war freilich auch die fünfte UNO-Vetomacht Sowjetunion nicht, war sie doch die wichtigste militärische Unterstützerin des im Vietnamkrieg siegreichen kommunistischen Nordens.
Zusammenfassung
- Der Standort bestimmt den Standpunkt: Während Europa im Bann des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine steht, treibt Südostasien die Angst vor einer Eskalation des Taiwan-Konflikts um.
- Die Situation sei "äußerst Besorgnis erregend", sagte der vietnamesische Botschafter Nguyen Trung Kien österreichischen Journalisten im Vorfeld des Besuchs von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Hanoi.