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Sebastian Kurz: Der gefallene Superstar

Jüngster Außenminister, jüngster Kanzler. Sebastian Kurz hat es früh weit gebracht - nun ist er erneut gestolpert.

Viele Superlative hat Sebastian Kurz erreicht. Aber mit 35 zum zweiten Mal Altkanzler ist wohl keines, auf das der ehemals jüngste Außenminister, ÖVP-Obmann und Regierungschef Wert gelegt hat. Ein Inseratenskandal in seinem Umfeld kombiniert mit Korruptionsermittlungen gegen ihn selbst war zu viel. Kurz geht schmachvoll ab, auch wenn er sich mit seinem Wechsel in den Parlamentsklub quasi in den Wartesaal begibt.

Zu schwerwiegend sind die Vorwürfe gegen das System Kurz, das ihn im Rekordtempo an die Spitze der Regierung gespült hatte. Das Image des Saubermanns ist weg, auch wenn Kurz möglicherweise strafrechtlich die Ermittlungen wegen mittlerweile dreier Delikte überstehen sollte. Denn auch wegen Falschaussage im U-Ausschuss steht ja noch eine Anklage im Raum. Immerhin er geht auf Nummer sicher. Sollte doch in der Justiz alles gut gehen, könnte er auf den Ballhausplatz zurückzukehren versuchen.

Unrechtsgefühl fehlt offenbar

Allzu viel Unrechtsgefühl schien den abtretenden Kanzler ja auch heute Abend nicht zu plagen. Vielmehr bemühte er sich darum, sich als unschuldig darzustellen und von engsten Weggefährten abzurücken. Doch jetzt in der Stunde des Skandals rückte auch die Partei von ihm ab, nicht vor, aber hinter den Kulissen. Die Flucht nach vorne war für Kurz der einzige noch einigermaßen gesichtswahrende Weg.

Kurz fühlt sich wohl tatsächlich verfolgt von der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die er der linken Reichshälfte zurechnet, und für die ist der ÖVP-Chef tatsächlich eine Art Gottseibeiuns. Dass er persönlich etwas falsch gemacht haben könnte, kam dem Kanzler freilich bei den laufenden Ermittlungen bisher eher weniger in den Sinn. Entweder fühlt er sich fehlinterpretiert oder hatte gar nichts damit zu tun.

Erfolgsgeküsster Berufspolitiker

Es muss wohl für den erfolgsgeküssten Berufspolitiker auch besonders hart sein, nun derart im Aus zu stehen. Zwar wurde der damalige JVP-Jüngling teils weit unter der Gürtellinie verhöhnt, als er mit gerade einmal Mitte 20 - von Michael Spindelegger entdeckt - im Integrationsstaatssekretariat eincheckte, seither ging es aber fast nur noch bergauf. Zwar bei der politischen Konkurrenz wohl vor allem ob seiner Erfolge unbeliebt, eroberte er die Herzen der Österreicher im Sturm. Da hätte es vermutlich gar keine behübschten Umfragen gebraucht.

Kurz kann auf Augenhöhe kommunizieren, ist höflich bis zuvorkommend, auch nicht humorlos und strahlt trotz noch immer junger Jahre durchaus das Gefühl aus, großen Aufgaben gewachsen zu sein. Ideologie plagt den VP-Chef nicht, weshalb es für ihn auch kein Problem war, geschmeidig von Schwarz auf Türkis bzw. koalitionär von Blau auf Grün umzuswitchen. Die stramme Ausländerpolitik könnte durchaus politischem Kalkül geschuldet sein, ebenso wie die Zuneigung zur Autofahrenden Landbevölkerung.

Pläne im kleinen Umfeld geschmiedet

Zu den Stärken des VP-Chefs wurde stets gezählt, dass er gerne alles unter Kontrolle hat, mit seinem kleinen Umfeld Pläne schmiedet und die auch durchzieht, gerne aber auf Nummer sicher geht. Die jüngste Affäre passt durchaus in diesen Kontext, auch wenn Kurz von den Aktivitäten seiner teils späteren Mitstreiter nichts gewusst haben will. Dass jetzt gerade Außenminister Alexander Schallenberg ihm nachfolgen soll, ist durchaus pikant. Denn auch der ist ein langjähriger enger Weggefährte, auch wenn er offenkundig in die Skandale in keiner Weise verwickelt ist.

Ibiza

Schon einmal ist Kurz aus dem Kanzleramt gestolpert, als er Opfer rot-blauer Rachegelüste im Ibiza-Nachbeben wurde. Damals standen die Chancen, mit des Wählers Willen wieder am Ballhausplatz einzukehren, aber deutlich günstiger. Da gab es keine Razzia am Amtssitz des Bundeskanzlers und keine Vorwürfe wegen Falschaussage, Bestechlichkeit und Untreue. Und auch das Pandemie-Management machte Kurz nur anfangs Freunde, sein Auf/Zu-Kurs sorgte an beiden Enden der Besorgnis-Skala für Unmut. Auch wenn es heute noch kein Abschied für die Ewigkeit sein soll, wird eine Rückkehr schwer gelingen.

In der eigenen Partei hat man wohl nachgedacht, ob mit dem einstigen Heilsbringer noch ein türkis-schwarzer Staat zu machen ist. Unumstritten wie einst, als er verlässlich für bundespolitischen Rückenwind sorgte, war er soundso nicht mehr - nicht nur wegen der Affären, sondern wohl auch, weil es bei den Wahlen in Oberösterreich und vor allem in Graz nicht so klappte wie erwünscht. Zwar kürte ihn die Partei erst vor ein paar Wochen mit mehr als 99 Prozent wieder zu ihrem Chef, doch wie schnell der Fall in der Politik gehen kann, sieht man nicht erst bei Kurz.

Bleibt in der Politik

Ganz aus der Politik verschwinden will der VP-Chef nicht. Ob die Grünen mit ihm als Klubchef überhaupt in der Regierung weitermachen, ist unklar. Kanzler wird er fürs erste auch bei einer Neuwahl eher nicht mehr und selbst bei Einstellung der Ermittlungen oder Freisprüchen werden die anderen Parteien wohl alles mögliche tun, aber Kurz nicht noch einmal ins Amt hieven.

Ihm bleibt der Vorteil seiner Jugend. Es gäbe für den 35-Jährigen genug Zeit, sich ein neues Leben abseits der Politik aufzubauen, vielleicht beginnend mit dem Abschluss seines Jus-Studiums. Vater wird er auch demnächst. Seine langjährige Lebensgefährtin Susanne Thier erwartet ihr erstes Kind. Vielleicht bleibt auch ein wenig Zeit für Hobbys. Klettern gehört dazu. Eine Aufwärtsbewegung hat er wohl dringend nötig.

Zur Person

Sebastian Kurz, geboren am 27. August 1986 in Wien. 2007-2012 Vorsitzender der Wiener JVP, 2009-2017 Obmann der Bundes-JVP. 2010-2011 Abgeordneter zum Wiener Landtag. Ab Juni 2011 Staatssekretär für Integration, ab Dezember 2013 Außen- und ab März 2014 Außen- und Integrationsminister. Seit Mai 2017 ÖVP-Obmann, von Dezember 2017 bis Mai 2019 und seit Jänner 2020 Bundeskanzler.

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