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Unruhe in deutscher Regierung nach Wahl in Niedersachsen

Nach der niedersächsischen Landtagswahl rufen führende Politiker von SPD und Grünen dazu auf, Ruhe in der Bundesregierung (SPD, Grüne, FDP) zu wahren. "Das würde ich jedem Partner in der Koalition raten, sich nicht an anderen abzuarbeiten", sagte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, Montagfrüh in der ARD. Zuvor hatte Grünen-Chef Omid Nouripour SPD, Grüne und FDP gemahnt, sie sollten zusammenzustehen.

Auslöser für die Unruhe ist, dass die Liberalen am Sonntag in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und aus dem Landtag in Hannover geflogen sind. "Es ist bedenklich, dass die FDP es nicht geschafft hat", sagte Nouripour Montagfrüh auf NDR-Info. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte den Koalitionspartnern in Berlin noch am Abend schwere Vorwürfe gemacht und angekündigt, dass die Liberalen an diesem Montag in den Parteigremien über die Konsequenzen debattieren würden. "Die Stimme der FDP in dieser Koalition muss noch deutlicher zu erkennen sein", sagte er in der ARD. "Wir müssen verhindern, dass linke Projekte in dieser Koalition umgesetzt werden."

Auch FDP-Chef Christian Lindner sieht die Bundesregierung nach der Landtagswahl in Niedersachsen unter Zugzwang. Die Koalition habe "an Legitimation verloren", sagt Lindner in Berlin. Insofern müsse die Balance von sozialem Ausgleich, ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft neu ausgelotet werden. Viele unserer Unterstützerinnen und Unterstützer fremdeln mit dieser Koalition", sagte Lindner. "Wir sind in der Ampel-Koalition aus staatspolitischer Verantwortung, nicht weil SPD und Grüne uns von den inhaltlichen Überzeugungen so nahe stünden."

Niedersachsens FDP-Generalsekretär Konstantin Kuhle appellierte unterdessen an die Liberalen im Bund, den Frieden in der Koalition nicht zu gefährden. Nun eine Krise in Berlin zu provozieren, wäre das, was die Rechtsextremen sich wünschten und Kremlchef Wladimir Putins Ziel von Chaos in den Demokratien entspreche, sagte Kuhle am Montag in Hannover. Das Regierungshandwerk in der Berliner Ampel müsse besser werden, die FDP müsse aber in der Koalition verbleiben, sagte Kuhle, der auch Vize-Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion ist.

SPD-Chefin Saskia Esken setzt weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit mit der FDP in der Ampel-Koalition. "Ich habe Verständnis für die Sorgen und das Leid der FDP nach dem gestrigen Wahlergebnis", sagte Esken am Montag MDR-Aktuell. "Aber wir haben bisher die Möglichkeit gehabt, ein eigenes Profil darzustellen und am Ende doch zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, die man auch als gemeinsame Erfolge vertreten kann. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch weiterhin so arbeiten können."

Die SPD hat die Landtagswahl in Niedersachsen klar gewonnen. Ministerpräsident Stephan Weil kann nun wie erhofft mit den Grünen ein neues Regierungsbündnis eingehen. Sein bisheriger Koalitionspartner, die CDU, fuhr das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten ein. Landeschef Bernd Althusmann räumte die Niederlage ein und kündigte noch am Sonntagabend an, sein Amt abzugeben. Er forderte eine offene Analyse seiner Partei, auch über die Politik der CDU im Bund. Geschaut werden müsse sowohl auf die Bundestagswahl 2021 wie auch auf "die vergangenen 16 Jahre".

Die AfD legte stark zu und schaffte ein zweistelliges Ergebnis. Die Linke scheiterte erneut an der Fünf-Prozent-Hürde. Es sei es bedrückend, dass die AfD ein so gutes Ergebnis eingefahren habe, sagte der Grünen-Vorsitzende Nouripour. Die Antwort auf den Protest sei gute Politik. CDU-Generalsekretär Mario Czaja machte für das Erstarken der AfD die Uneinigkeit in der Regierung in Berlin verantwortlich. Er sehe "ein heftiges Gegeneinander in dieser Koalition", sagte Czaja am Montag im ARD-Morgenmagazin.

Als Zugpferd wirkte bei der SPD in Niedersachsen nach Angaben von infratest dimap vor allem der Amtsbonus für Ministerpräsident Stephan Weil. Die Sozialdemokraten konnten zudem vor allem bei älteren Frauen zulegen, während die Grünen ihren Stimmenanteil bei jüngeren Wählerinnen und Wähler deutlich verbesserten. Der SPD-Politiker Weil sprach sich noch am Sonntagabend für eine Koalition mit den Grünen aus. Deren Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg befürwortet ebenfalls eine rot-grüne Koalition im Land.

"Wir werden in der aktuellen Krise vor allem einen Landesrettungsschirm schnellstmöglich auf den Weg bringen", sagte Hamburg am Montag gegenüber der dpa. Außerdem werde ihre Partei ein "Investitionspaket" in den Mittelpunkt rücken. "Wir wollen Niedersachsen und die niedersächsische Wirtschaft klimaneutral aufstellen, das wird ein großer Schwerpunkt sein. Wir werden auch einen Schwerpunkt auf soziale Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit legen."Am strittigsten könne der Bereich Mobilitätswende werden, erklärte die Grünen-Politikerin weiter. "Da haben wir mit der SPD eine Partei, die doch noch sehr aufs Auto schaut, und wir wollen eher in Richtung Mobilitätswende gehen, also mehr Bahn und Bus, mehr Radverkehr. Da könnte es dann auch knirschen", sagte sie.

Der Wahlkampf war geprägt von den Folgen des russischen Einmarschs in die Ukraine. Im Zentrum standen die Energiekrise sowie die Sorgen vieler Bürger angesichts hoher Preise für Gas, Strom und Lebensmittel. Landespolitische Themen spielten eine Nebenrolle.

SPD und CDU hatten vor der Wahl klargestellt, dass sie ihre 2017 eher widerwillig eingegangenen Koalition nicht fortsetzen wollen. Stattdessen kündigten beide Parteien an, jeweils mit den Grünen regieren zu wollen.

Nach Auszählung aller Wahlkreise und dem im Internet veröffentlichten vorläufigen Ergebnis kommt die SPD auf 33,4 Prozent der Stimmen (2017: 36,9). Die CDU verbucht mit 28,1 Prozent ihr schlechtestes Landesergebnis seit mehr als 60 Jahren (2017: 33,6).

Die Grünen legen dagegen deutlich zu und landen mit 14,5 Prozent bei einem Rekordergebnis (2017: 8,7). Auch die AfD gewinnt stark hinzu und erreicht 10,9 Prozent (2017: 6,2). Die FDP scheitert mit 4,7 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde (2017: 7,5), die Linke erneut mit 2,7 Prozent (2017: 4,6).

Nach den Mandatsberechnungen von ARD (23.00 Uhr) und ZDF (23.45 Uhr) kommen die SPD mit 57 Sitzen und die Grünen mit 24 Sitzen gemeinsam auf eine absolute Mehrheit im Landtag. Die CDU erreicht 47 Sitze, dahinter liegt die AfD mit 18 Mandaten.

Der 63-jährige Weil, seit fast zehn Jahren Regierungschef, peilt nun seine dritte Amtszeit an. "Die Wählerinnen und Wähler haben der SPD den Regierungsauftrag erteilt - und niemand anders sonst", sagte er. "Wenn ich die Chance habe, möchte ich gerne eine rot-grüne Landesregierung bilden", sagte er am Sonntag auf Phoenix. Weil hatte schon vor knapp zehn Jahren ein rot-grünes Bündnis geschmiedet, das sich auf nur eine Stimme Mehrheit stützte und 2017 an einer grünen Abweichlerin scheiterte.

Die Grünen wollen nun wieder Regierungsverantwortung übernehmen, wie Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg sagte. "Wir werden alles dafür geben, als Grüne künftig Niedersachsen für die nächsten fünf Jahre wieder zu gestalten und zukunftsfest aufzustellen." CDU-Spitzenkandidat Althusmann sagte, die CDU habe verloren. "Dieses Votum nehmen wir demütig an." Die SPD habe einen klaren Regierungsauftrag.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach der niedersächsischen Landtagswahl rufen führende Politiker von SPD und Grünen dazu auf, Ruhe in der Bundesregierung zu wahren.
  • Zuvor hatte Grünen-Chef Omid Nouripour SPD, Grüne und FDP gemahnt, sie sollten zusammenzustehen.
  • Auslöser für die Unruhe ist, dass die Liberalen am Sonntag in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und aus dem Landtag in Hannover geflogen sind.
  • Auch die AfD gewinnt stark hinzu und erreicht 10,9 Prozent.