Ukrainische Flüchtlinge in Moldau "Teil der Gemeinschaft"
Das Land hat umgerechnet auf die Bevölkerung die meisten ukrainischen Flüchtlinge untergebracht. Moldau steht nun ein harter Winter bevor. Seit bald neun Monaten herrscht im Nachbarland Ukraine Krieg. Die Energiekosten sind explodiert, die Inflation auf über 30 Prozent gestiegen. Beinahe 27 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Erst am Dienstag hatten russische Raketenangriffe auf die Ukraine auch Auswirkungen auf Moldau. In Teilen des Landes gab es Stromausfälle. Hunderttausende Einwohner aus mindestens zehn Bezirken des Landes, einschließlich der Hauptstadt Chisinau, waren von dem Blackout betroffen. Eine Stromleitung war aus Sicherheitsgründen unterbrochen worden, schrieb der moldauische Vizepremierminister Andrei Spinu auf Facebook.
Die größte Nichtregierungsorganisation in der ehemaligen Sowjetrepublik ist die österreichische Hilfsorganisation Concordia. Sie hat rund 220 Mitarbeiter und ist an 46 Orten tätig. Am Mittwoch hatten alle Einrichtungen der NGO wieder Strom. Concordia hat sich für den bevorstehenden Winter gerüstet und Holz sowie Generatoren sowie dafür benötigten Treibstoff angekauft. Sowohl die Versorgung der Bevölkerung als auch der vielen Vertriebenen stellt Moldau vor eine große Herausforderung. Ein Teil der dringend benötigten Hilfsgelder stammt aus Österreich, über die Aktion "Nachbar in Not" hat die NGO Concordia bereits rund 347.000 Euro erhalten, für die Winterhilfe sind noch einmal 330.000 Euro beantragt. "Ich sehe, dass die Hilfe angekommen ist", sagte Vorstandsvorsitzende Ulla Konrad bei einer Reise mit Journalisten in Moldau. Sie war auch im April im kleinen Nachbarland der Ukraine. Mittlerweile gebe es eine bessere Übersicht, die Mitarbeiter sind eingespielt. Die geflüchteten Menschen wollen in der Nähe ihrer Heimat bleiben, sie verbindet die Sprache, es gibt kulturelle Beziehungen, berichtete Konrad.
Die Hilfsbereitschaft im ärmsten Land Europas ist groß, ebenso die finanzielle Überforderung. Mehr als 600.000 Menschen aus der Ukraine sind bereits nach Moldau geflohen, rund 95.000 geblieben, rund die Hälfte davon sind Kinder. Die Aufnahmebereitschaft in der moldauischen Bevölkerung ist weiter da. Die kulturelle Nähe und das Fehlen von Sprachbarrieren erleichterten die Integration, viele Menschen in der ehemaligen Sowjetrepublik sprechen rumänisch und russisch, die Ukrainer sprechen ukrainisch und russisch. "Ich habe noch nirgends so viel Gastfreundschaft erlebt, wie hier", sagte ein UNHCR-Mitarbeiter im Auffangzentrum nahe des Grenzübergangs Palanca, der schon in zahlreichen Ländern für das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen tätig war. Flüchtlinge aus der Ukraine werden von der Grenze zu dieser Busstation gebracht, registriert, versorgt und warten dort auf ihre Weiterreise. Am Dienstag reisten beispielsweise laut UNHCR-Daten 2.437 ukrainische Flüchtlinge in Moldau ein.
Das kleine Dorf Tudora im Südosten des Landes liegt direkt an der Grenze zur Ukraine und ist nur wenige Minuten vom Grenzübergang Palanca entfernt. Rund 1.500 Menschen leben dort, dazu kommen rund 140 Flüchtlinge aus dem Nachbarland. "Sie sind Teil der Gemeinschaft", sagte Veronica Mocan, Leiterin des dortigen Concordia-Sozialzentrums. Viele Familien im Dorf haben aus der Ukraine Vertriebene aufgenommen, etwa auch die 59-Jährige Rosca, die selbst aus der Ukraine stammt und seit 16 Jahren in Moldau lebt. Ihr Bruder kämpft in ihrer Heimat an der Front, ihre Tochter lebt in der Hafenstadt Odessa. Rosca hat eine Mutter und ihr Kind bei sich aufgenommen. "Ich bin stolz, dass ich als Freiwillige helfen kann", sagte die Frau im Gespräch mit der APA, während sie sich beim Sozialzentrum um ein Lebensmittel- und Hygienepaket anstellte. "Ich bin für die Hilfe sehr dankbar, ohne sie würde es sich nicht ausgehen", sagte die Frau. Von November bis März erhalten mehr als 13.000 Menschen von der NGO die Winter-Nothilfe-Pakete, die pro Familie monatlich neben 250 Euro Geld für die Bezahlung der explodierenden Energiekosten auch Lebensmittel- und Hygieneartikel enthalten. Um 330 Euro pro Monat kann man einer Familie durch den Winter helfen, sagte Concordia-Vorstandsvorsitzende Konrad.
Die NGO hat bereits Stunden nach Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine in Tudora Unterkünfte für Flüchtlinge geschaffen. In einem Haus im Dorf sind aktuell 38 Vertriebene untergebracht. Die 51-Jährige Arina ist mit ihrem 17-jährigen Sohn und der sechsjährigen Tochter bereits seit 29. Februar dort untergebracht. "Das ist unser zweites Zuhause", sagte sie und zeigte sich dankbar über die "herzliche Hilfe". Der Mann der Meinungsforscherin ist bereits vor dem Krieg gestorben, ihr Stiefvater lebt in Odessa. Die Frau hofft, dass sie demnächst in einer Fabrik, die neu eröffnet wird, im Rajon Stefan Voda Arbeit findet. Gemeinsam mit ihren zwei Kindern wohnt sie nun in einem kleinen Zimmer mit einer Ausziehcouch und einem Sessel, der am Abend zu einem Bett umfunktioniert wird. Sie will hier bleiben, "nahe der Heimat", bis der Krieg vorbei ist und sie wieder nach Hause zurückkehren kann.
(S E R V I C E - Informationen zu den Spendenmöglichkeiten online unter https://www.concordia.or.at/spenden/)
Zusammenfassung
- Dennoch wurden und werden in dem Land Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen aufgenommen.
- Der Großteil der vertriebenen rund 95.000 Menschen ist bei Familien untergekommen - nur rund 3.500 Ukrainerinnen und Ukrainer leben in staatlichen Unterkünften.
- "Sie sind Teil der Gemeinschaft", sagte Veronica Mocan, Leiterin des dortigen Concordia-Sozialzentrums.
- In einem Haus im Dorf sind aktuell 38 Vertriebene untergebracht.