Kamele stehen vor Comeback in Europa
An den Anblick von Neuweltkamelen wie Lamas und Alpakas hat man sich angesichts zahlreicher Zuchtbetriebe hierzulande bereits gewöhnt. Dagegen sieht man die einhöckrigen Dromedare (Camelus dromedarius) und die zweihöckrigen Trampeltiere (Camelus bactrianus), die den Stamm der Altweltkamele bilden, in Europa nur selten.
Nach der Domestizierung des Dromedars in Südostarabien und des Trampeltiers in Zentralasien wurden die beiden Arten in verschiedene Regionen verbreitet und dienten als Pack-, Zug- und Reittiere. Zudem wurde ihr Fleisch und ihre Milch genutzt. Dromedare kommen traditionell in Ländern Afrikas, des Nahen und Mittleren Ostens sowie Südasiens vor, während Trampeltiere auf Zentralasien beschränkt sind, schreibt ein Team um Elena Ciani von der Universität Bari (Italien) in ihrer Publikation, an der auch Pamela Burger vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien mitwirkte.
Zur Zeit des Römischen Reiches begann ihre Nutzung in Europa. Aufgrund ihrer größeren Geschwindigkeit und Ausdauer als Pferde wurden sie zunächst in die römische Armee aufgenommen, spielten bald aber auch eine Rolle in der kaiserlichen Logistik und als Symbol für Reichtum und sozialen Status. Entsprechend wurden Überreste von Dromedaren, Trampeltieren und ihren Hybriden bei Ausgrabungen römischer Stätten in ganz Mittel- und Südosteuropa gefunden, darunter in Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien, Österreich, England, Ungarn und der Schweiz.
Öffentliche Demütigungsrituale
Auch im frühmittelalterlichen Europa waren Kamele von Bedeutung. Sie wurden weiterhin als Lasttiere verwendet, aber auch im Kontext religiöser und adeliger Zeremonien sowie in öffentlichen Demütigungsritualen. "Auf dem europäischen Festland wurden Kamele trotz ihrer historischen Bedeutung Ende des 15. Jahrhunderts selten und kamen ab der Renaissance hauptsächlich in exotischen Sammlungen der europäischen Aristokratie vor", so die Forscherinnen und Forscher.
Aus ihrer Sicht spricht nun einiges dafür, dass Kamele in Europa in nicht allzu ferner Zukunft ein Comeback feiern könnten. "Der Klimawandel und die zunehmende Wüstenbildung in Europa dürften dazu führen, dass die Anpassungsfähigkeit der Kamele an trockene Umgebungen sowie ihre besonderen Verhaltensmerkmale, ihre Milchzusammensetzung und ihre funktionellen Eigenschaften zunehmend geschätzt werden", schreibt das Forscherteam in seiner Arbeit.
Renaissance der Kamelzucht in Europa
Diese Entwicklung zeichnet sich bereits seit einiger Zeit ab. So habe in den vergangenen drei Jahrzehnten die Kamelzucht in Westeuropa eine Renaissance erlebt, mit den Schwerpunkten auf Tourismus und Milchproduktion. So entstanden angesichts der Nachfrage nach Kamelmilch in Europa in mehreren Ländern wie Spanien, Frankreich, Schweiz, Deutschland, Polen, Schweden und Niederlande Kamelmilch-Höfe. Zurückzuführen sei der steigende Bedarf weitgehend auf die wachsende Zahl von Verbrauchern aus Ländern, in denen Kamelmilch ein traditionelles Produkt ist, sowie auf die wachsende Beliebtheit aufgrund vermeintlicher gesundheitlicher Vorteile.
Das Forschungsteam, das im Rahmen der Studie eine interaktive, frei zugängliche Karte mit Standorten und Basisinformationen von Kamelfarmen und -zuchtzentren erstellt hat, rechnet zwar nicht damit, dass die Kamelzucht in Europa in den nächsten Jahrzehnten eine mit anderen wichtigen Nutztieren vergleichbare Bedeutung gewinnen wird. Sie biete aber dennoch "eine interessante Möglichkeiten zur Diversifizierung und Rentabilität landwirtschaftlicher Betriebe".
Genetische Vielfalt gering
Kamelzüchter und -halter würden aber auch vor Herausforderungen stehen: Pamela Burger nennt etwa "kleine Populationsgrößen, zersplitterte und geografisch weit verstreute Zuchtbemühungen und das Fehlen eines auf Kamele zugeschnittenen Rechtsrahmens". Zudem würden Zuchtorganisationen, Zuchtregister und genetische Bewertungssystemen fehlen.
Fortschritte im Bereich der Genomik hätten zwar neue Möglichkeiten für das genetische Management von Kamelen in Europa geschaffen, würden gleichzeitig aber auch Anlass zur Besorgnis geben. Denn die genetische Vielfalt der in Europa beheimateten Tiere ist gering. So verweisen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter etwa darauf, dass die meisten Dromedare in Europa einen gemeinsamen Ursprung auf den Kanarischen Inseln haben könnten.
(SERVICE - Publikation: https://doi.org/10.3390/app15031644; Karte mit Kamelfarmen in Europa: https://go.apa.at/P55Uz0df)
Zusammenfassung
- Kamele könnten in Europa ein Comeback erleben, da der Klimawandel und die Wüstenbildung ihre Anpassungsfähigkeit an trockene Umgebungen zunehmend wertschätzt.
- In den letzten drei Jahrzehnten hat die Kamelzucht in Westeuropa, besonders im Tourismus und in der Milchproduktion, eine Renaissance erfahren.
- Herausforderungen für Kamelzüchter bestehen in der geringen genetischen Vielfalt und fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen.