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Türkische Opposition will Imamoglu-Proteste ausweiten

27. März 2025 · Lesedauer 5 min

Eine Woche nach dem Start der Demonstrationen in der Türkei gegen die Inhaftierung des populären Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu ruft die türkische Opposition zu einer Ausweitung der Proteste auf. "In jede Stadt, in die wir kommen, werden wir die größten Kundgebungen in ihrer Geschichte abhalten", sagte der Chef der Partei CHP, Özgür Özel, dem britischen Sender BBC. Die landesweiten Proteste würden auch eine sehr große Demonstration am Samstag in Istanbul umfassen.

Özel sagte, die Proteste würden so lange fortgesetzt, bis entweder vorgezogene Präsidentschaftswahlen angesetzt würden oder Imamoglu aus dem Gefängnis entlassen werde. "In jede Stadt, in die wir kommen, werden wir die größten Kundgebungen in ihrer Geschichte abhalten." Mit der für Samstag geplanten Demo in Istanbul werde die Kampagne der Partei eröffnet, die sich dafür einsetze, dass Imamoglu bei den 2028 anstehenden Wahlen zum nächsten Präsidenten des Landes gewählt werde. Der Glaube an Imamoglu und an die Demokratie werde die Proteste größer und stärker machen. Imamoglu sei verhaftet worden, um zu verhindern, dass er der nächste Präsident der Türkei werde.

Imamoglu gilt als Erdogans potenziell aussichtsreichster Herausforderer bei der für 2028 angesetzten Präsidentenwahl und wurde von der größten Oppositionspartei als Kandidat aufgestellt. Er war am 19. März unter Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen und am Sonntag als Bürgermeister der Millionenmetropole Istanbul abgesetzt worden. Imamoglu selbst bestreitet alle Vorwürfe und wirft der Regierung vor, ihn mit den Ermittlungen politisch kaltstellen zu wollen.

Seit der Verhaftung Imamoglus hat die Opposition Hunderttausende Menschen auf die Straße gebracht - so viele wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Die sogenannten Gezi-Proteste von 2013 hatten sich damals zunächst gegen ein Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park und später gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gerichtet. Die Regierung sprach von einem Umsturzversuch und ließ die Proteste brutal niederschlagen.

Özel sagte, Imamoglu befinde sich im Silivri-Hochsicherheitsgefängnis bei Istanbul in Einzelhaft, sei aber in guter Verfassung und nicht misshandelt worden. Das Korruptionsverfahren gegen Imamoglu sei "eine Masche, um ihn zu diskreditieren". Imamoglu sei verhaftet worden, um zu verhindern, dass er der nächste Präsident der Türkei werde.

Seit Beginn der Proteste wurden laut dem türkischen Innenministerium mehr als 1.400 Menschen bei Demonstrationen festgenommen, von denen knapp 1.000 weiter in Gewahrsam sind. Unter den Verhafteten sind mehrere Journalisten.

Proteste werden vor allem von jungen Menschen getragen

Getragen werden die Proteste insbesondere von jungen Menschen. Studenten und Studentinnen an mehreren Universitäten haben begonnen, Vorlesungen zu boykottieren, wie türkische Medien berichten. Ihren dezentralen Protest organisieren viele über Telegram-Gruppen. Studierende gehörten zu den Ersten, die auf die Straßen gingen - etwa an der Istanbul Universität. Deren Vorstand hatte Imamoglu einen Tag vor seiner Festnahme den Universitätsabschluss aberkannt, den er 1994 an der Universität erlangt hatte - ein solcher Abschluss ist Voraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur.

An den Universitäten des Landes staut sich seit Jahren Frust an. Viele Studierende sind hoffnungslos: Die Inflation hat sie, wie den Großteil der türkischen Bevölkerung, hart getroffen. Viele Absolventen finden keine gut bezahlten Jobs. Viele beklagen eine immer schlechter werdende Forschungs- und Lehrqualität an den zahlreichen von der Regierung gegründeten neuen Universitäten. Seit 2018 ernennt Erdogan zudem die Rektoren der Universitäten, was immer wieder Protest auslöst. Allgemein wird der Regierung eine Günstlingswirtschaft vorgeworfen, die Chancengleichheit massiv untergrabe.

Hinzu kommt eine weitere Krise: Die türkische Lira hat in den vergangenen Jahren massiv an Wert verloren. Ein Euro war 2020 sieben Lira wert, heute sind es knapp 41. Die Mieten sind nicht nur in der Metropole Istanbul stark angestiegen. Die Inflation im Land lag im Februar bei knapp 40 Prozent. Seit Jahren kehren der Türkei hoch qualifizierte Fachkräfte den Rücken - darunter etwa Mediziner und Akademiker. Neben der wirtschaftlichen Krise sorgt auch Erdogans konservative Kulturpolitik für Unmut - viele junge Menschen fühlen sich davon entfremdet.

Unter die Protestierenden mischen sich aber auch viele ältere Menschen, deren Renten die Inflation aufgefressen hat. Sie kennen die Türkei noch ohne Erdogan, viele der jungen Protestierenden nicht. Erdogan regiert das Land seit 2003, erst als Ministerpräsident und nun als Präsident. "Kann man sein Leben mit nur einem Mann verbringen?" ist etwa ein Spruch, den man immer wieder auf den Demonstrationen sieht.

Politikwissenschaftler: "Dies wird ein langer Kampf"

2013 gingen bereits einmal viele junge Menschen in der Türkei auf die Straße. Die Regierung ließ die regierungskritischen, weitestgehend friedlichen Gezi-Proteste brutal niederschlagen. Sie richteten sich damals zunächst gegen ein Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park und später gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Erdogan.

Damals seien die Leute aus Hoffnung protestieren gegangen, nun gingen sie aus Verzweiflung auf Straße, sagt der Politikwissenschaftler Berk Esen, Professor an der Sabanci-Universität in Istanbul. Damals habe die AKP noch die Mehrheit der Wähler hinter sich gehabt. Allerdings sei Erdogan, anders als damals, mittlerweile durch keine Gewalt im Staat mehr zu stoppen.

In einem gemeinsamen Beitrag mit der Politikwissenschaftlerin Sebnem Gumuscu im "Journal of Democracy" schreiben sie als Resümee: "Damit Erdogans autokratische Eskalation Erfolg hat, müsste das Regime die Führung der CHP lähmen und das türkische Volk zwingen, seine demokratische Handlungsfähigkeit aufzugeben. Eines ist jedoch klar: Dies wird ein langer Kampf."

Zusammenfassung
  • Ekrem Imamoglu, Istanbuls Bürgermeister, wurde am 19. März wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen, was landesweite Proteste auslöste.
  • Die türkische Opposition plant, die Proteste auszuweiten, bis Imamoglu freigelassen oder vorgezogene Präsidentschaftswahlen angesetzt werden.
  • Mehr als 1.400 Menschen wurden bei den Protesten verhaftet, darunter viele junge Menschen, die über Telegram-Gruppen organisiert sind.
  • Die wirtschaftliche Krise in der Türkei, mit einer Inflation von knapp 40 Prozent und einem Euro, der knapp 41 Lira wert ist, erhöht die Unzufriedenheit.
  • Politikwissenschaftler sehen die Proteste als langfristigen Kampf gegen Erdogans autokratische Eskalation, die seit den Gezi-Protesten 2013 anhält.