Assad weg - und jetzt? Wer in Syrien welche Interessen hat
"Das Regime ist implodiert, da war nichts mehr", beschreibt es Nahost-Expertin Gudrun Harrer im PULS 24 Interview. 54 Jahre Assad-Herrschaft - 2000 übernahm Sohn Bashar von seinem Vater - sind seit den frühen Morgenstunden Geschichte. Der ganze Assad-Apparat sei wie ein "Kartenhaus zusammengebrochen".
In 13 Jahren Bürgerkrieg konnte Assad stets auf die Unterstützung wichtiger Partner zählen - allen voran Russland und der Iran. Der Iran war aufgrund des Konflikts mit Israel und der Lage der Hisbollah mit sich selbst beschäftigt, so Harrer. Und auch Russland hat mit dem Ukraine-Krieg bekanntlich andere Sorgen. Dennoch: "Was am meisten überrascht, ist, dass Russland überhaupt nicht darauf vorbereitet war", sagte die Nahost-Expertin.
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Video: Nahost-Expertin Harrer - Assads "Regime ist implodiert"
Wer hat Assad gestürzt?
Besonders im Rampenlicht steht nun Abu Mohammed al-Golani, der nun vermehrt unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Sharaa auftritt. Er ist der Chef der Hayat Tahrir al-Sham (HTS). Diese Gruppierung stammt aus einem früheren Zweig des Terrornetzwerks Al-Kaida in Syrien, der Al Nusra Front. Jahrelang hatte Golani im Verborgenen agiert. Heute steht er im Rampenlicht, gibt Erklärungen ab und spricht mit internationalen Medien. Das FBI hat ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt.
Laut Harrer hat al-Golani zwar versucht, "sich gemäßigt zu geben." Aber: Die Herrschaft in Idlib "war ein sehr autoritäres und sehr islamisches System."
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Assad ist aber nicht nur von al-Golani gestürzt worden. "Es ist nicht die HTS allein", so Nahost-Experte und Politikwissenschafter Thomas Schmidinger im PULS 24 Interview. Denn Damaskus sei "nicht von der HTS eingenommen worden, sondern von der lokalen Bevölkerung befreit". Kleinere säkulare Gruppen im Süden des Landes seien hier laut Schmidinger entscheidend gewesen.
Video: Assad gestürzt - "Es ist nicht die HTS allein", so Nahost-Experte Schmidinger
Doch neben der HTS gebe es noch mehrere problematische Gruppen. Er spricht hier von "pro-syrischen Proxies", etwa der Syrische Nationale Armee (SNA), die von der Türkei unterstützt wird. "Während alle anderen gegen das Assad-Regime gekämpft haben", hat die SNA "Kurden und ihre Verbündeten, die sogenannten Syrisch Demokratischen Kräfte angegriffen". Auch am Sonntag kam es hier zu schweren Gefechten.
Wie kann es weiter gehen?
"Bis jetzt war die Machtübergabe weitestgehend friedlich", so Schmidinger. Der erst vor kurzem eingesetzte Ministerpräsident Mohammed Jalali erklärte sich zu einer friedlichen Übergabe bereit, er soll die staatlichen Einrichtungen vorerst weiter beaufsichtigen. Doch wie, diese Frage ist offen. Es sei "theoretisch schon vorstellbar", dass es eine Kooperation der verschiedenen Kräfte geben könnte; "das wäre das Idealszenario", sagte der Nahost-Experte.
Würde al-Golani sich hier als Führungsfigur ins Spiel bringen und Syrien "allein beherrschen, wird das so ohne weiteres nicht funktionieren". Auch für Harrer ist es noch "völlig offen", wie eine neue Führung aussieht und wie diese vor allem legitimiert ist. Demokratische Wahlen wirken derzeit jedenfalls noch weit entfernt. Es sei jedoch zu befürchten, dass Rebellen- und Islamisten-Gruppen mit völlig unterschiedlichen Interessen "aufeinander losgehen".
Welche internationalen Interessen bestehen?
Auch Interessen aus der Region und der Welt könnten noch eine entscheidende Rolle spielen. Etwa, wie stark die Türkei Truppen im Kampf gegen die Kurden unterstützt und wie Russland die für sie strategisch wichtigen Militärbasen in Syrien schützen will. Für Harrer ist auch entscheidend, wie der Iran damit umgeht, dass "dessen Achse des Widerstands langsam zusammenfällt."
Hier kommt auch Israel ins Spiel. Die Golanhöhen sind offiziell syrisches Gebiet, das von Israel besetzt wird. Eine UNO-Blauhelm-Mission hat eine Pufferzone eingerichtet. Israel gab offiziell an, nicht eingreifen zu wollen, es gibt aber Berichte von israelischen Angriffen, etwa auf Waffenlager der syrischen Armee.
In all diesem Chaos hat auch der Islamische Staat (IS) profitiert, der noch einige kleine Gebiete in der syrischen Wüste kontrolliert. Davor warnten bereits die USA und kündigten an, ihre Präsenz in Ost-Syrien aufrechtzuerhalten.
Sollten sich die USA aus Syrien zurückziehen, wie es der künftige US-Präsident Donald Trump bereits forderte, sollte sich allerdings auch die Europäische Union Gedanken machen, mahnte Schmidinger: "Denn wir wären massiv davon betroffen, wenn sich Syrien jetzt nicht stabilisiert". Dadurch könnte eine weitere Fluchtwelle ausgelöst werden. Doch auch arabische Länder könnten ein Interesse haben, "dass die Türkei nicht völlig das Kommando übernimmt".
Zusammenfassung
- Mit dem überraschenden Sturz des Regimes von Langzeit-Machthaber Bashar al-Assad steht Syrien vor einer ungewissen Zukunft.
- Viele verschiedene Gruppierungen müssen sich auf eine gemeinsame Zukunft einigen.
- Experten schätzen die Lage bei PULS 24 ein.