SS-Treuelied bei Begräbnis: Gericht gab FPÖ recht
Nach Ansicht des Richters wurde mit mehreren Artikeln der Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt. Die Kläger bekamen eine Entschädigung von insgesamt 20.250 Euro zugesprochen.
"Standard" legte Berufung ein
Die FPÖ-Nationalratsabgeordneten Harald Stefan und Martin Graf sowie der freiheitliche Klubdirektor Norbert Nemeth hatten sich gegen die mediale Berichterstattung zur Wehr gesetzt, die ihr Rechtsvertreter Christoph Völk im Grauen Haus als "infam und rufmörderisch" bezeichnete.
Für "Standard"-Anwalt Michael Pilz wurde hingegen "ein wahrer Sachverhalt berichtet". Er meldete gegen das Urteil volle Berufung an. Völk gab vorerst keine Erklärung ab. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.
"Wenn alle untreu werden" für FPÖ-Politiker kein Nazi-Liedgut
Ausgangspunkt war ein Begräbnis eines langjährigen Burschenschafters der "Olympia", der am 27. September 2024 am Hernalser Friedhof zu Grabe getragen wurde. Dabei wurde auf dessen Wunsch hin das Lied "Wenn alle untreu werden" intoniert.
Ein Video davon wurde dem "Standard" zugespielt, der in weiterer Folge berichtete, die bei der Trauerfeier anwesenden FPÖ-Politiker Graf, Stefan und Nemeth hätten sich nicht entfernt, obwohl am offenen Grab das so genannte SS-Treuelied gesungen worden sei.
Der freiheitliche Justizsprecher Harald Stefan und Klubdirektor Norbert Nemeth - Martin Graf war bei der Verhandlung nicht anwesend, er hatte sich krankheitsbedingt entschuldigt - betonten in ihren Zeugenbefragungen im Grauen Haus, bei dem von Max Schenkendorf ursprünglich als Gedicht verfassten Lied handle es sich um ein über 200 Jahre altes Volks- und Studentenlied.
Dieses sei nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verfasst worden. Man habe seinerzeit damit der Niederlage gegen Napoleon und dem Untergang des Kaiserreichs 1805/1806 "nachgetrauert". Für sie habe das Lied keinen Bezug zum Nationalsozialismus und zur SS, die das Lied für sich reklamiert und "missbräuchlich" abgeändert hätte.
"Für mich war das niemals ein verbotenes Lied"
Er kenne das Lied seit seiner Studentenzeit aus Kommersbüchern und schätze es, weil es für "Bundesbrüderlichkeit und Freundschaft" stehe, sagte Stefan, der seinen Angaben zufolge bis 2017 Mitglied der Burschenschaft "Olympia" war: "Für mich war das niemals ein verbotenes Lied."
Bei der Behauptung des "Standard", auf dem Begräbnis sei bewusst eine in der NS-Zeit abgeänderte und von der SS genutzte Version intoniert worden, handle es sich um eine Unterstellung, die er zurückweise: "Ich hätte niemals eine veränderte Version gesungen, um wem zu huldigen." Grundsätzlich hätte er an dem Begräbnis gar nicht teilgenommen, wenn er damit Gefahr gelaufen wäre, "dass ich am NS-Verbotsgesetz anstreife."
"Für uns ist das ein Lied, das die Bundesbruderschaf besingt", hielt der freiheitliche Klubdirektor Nemeth fest, der Mitglied der "Olympia und der "Vandalia" ist. Das Lied habe "mit dem Dritten Reich überhaupt nichts zu tun. Das ist eine schwere Unterstellung, die ich zurückweise. Es steht für Bundesbrüderlichkeit und Lebensfreundschaft." Am Grab sei "die Fassung aus 1819" gesungen worden.
"Der Standard" hatte umfassend über die Vorgänge am Hernalser Friedhof berichtet, die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt seit Ende Dezember gegen die drei FPÖ-Politiker wegen des Verdachts auf nationalsozialistische Wiederbetätigung im Sinn des § 3g Verbotsgesetz. Abgesehen davon habe er "massive Probleme, beruflich und privat" infolge der medialen Veröffentlichungen erlitten, führte Stefan aus, der im Zivilberuf eine Notariatskanzlei betreibt.
Für Erstgericht wurde "ungenaue Verdachtslage" berichtet
Für das Erstgericht erfüllten die inkriminierten, in der Printausgabe, online und auf den Social Media-Accounts des "Standard" veröffentlichten Artikel mehrheitlich den Tatbestand der üblen Nachrede. Es sei eine "ungenaue Darstellung der Verdachtslage" erfolgt, stellte Richter Daniel Potmesil fest.
Aus dem im Verhandlungssaal abgespielten Video, das das Absingen des Lieds dokumentiert, hätte nach Dafürhalten des Richters hervorgehen müssen, dass die dritte Strophe weggelassen und an einer Stelle statt "Reue" "Treue" gesungen wurde - dieser Fassung hatte sich die SS bedient. Ob am Grab "Reue" oder "Treue" gesungen wurde, war allerdings aufgrund der schlechten Tonqualität und den Geräuschen von prasselndem Regen "nicht feststellbar", wie Potmesil darlegte.
Gesungen wurde "Wenn alle untreu werden" zur Gänze. Insofern sei es dem "Standard" nicht gelungen, den Tatverdacht zu "verstärken", es sei die in der Nazi-Zeit abgeänderte Version dargeboten worden.
Jemanden in die Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut zu rücken, sei "ein klassisches unehrenhaftes Verhalten", bemerkte der Richter in der Urteilsbegründung. Das müsse man sich nicht gefallen lassen, "wenn es nicht stimmt."
FPÖ-Hafenecker spricht von "herber Niederlage" für Standard
Als "herbe Niederlage" für den "Standard" bezeichnete FPÖ-Generalsekretär und -Mediensprecher Christian Hafenecker die erstinstanzliche Entscheidung. Die Zeitung sei "von der eigener Nazikeule sinnbildlich gerichtlich erschlagen" worden.
Man sehe dem vom "Standard" angemeldeten Rechtsmittel gelassen entgegen. "Wer an einem offenen Grab mit Trauergästen mit versteckter Kamera politisches Kleingeld schlagen möchte, ist von zweifelhaftem Charakter und von seriösem Journalismus meilenweit entfernt", meinte Hafenecker in einer Aussendung.
Zusammenfassung
- "Der Standard" ist am Wiener Landesgericht im Zusammenhang mit der Berichterstattung über drei FPÖ-Politiker, denen die Teilnahme an einem Begräbnis vorgeworfen worden war, bei dem ein SS-Lied gesungen worden sei, nach dem Mediengesetz verurteilt worden.
- Nach Ansicht des Richters wurde mit mehreren Artikeln der Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt. Die Kläger bekamen eine Entschädigung von insgesamt 20.250 Euro zugesprochen.
- Die FPÖ-Nationalratsabgeordneten Harald Stefan und Martin Graf sowie der freiheitliche Klubdirektor Norbert Nemeth hatten sich gegen die mediale Berichterstattung zur Wehr gesetzt.
- "Standard"-Anwalt Michael Pilz meldete gegen das Urteil volle Berufung an.
- Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.