APA/HELMUT FOHRINGER

Nach Hamas-Terror: Erdoğan übt bei Nehammer-Besuch Kritik an Israel

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Dienstagnachmittag den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in der Hauptstadt Ankara getroffen. Man wolle kooperieren, doch es gibt viele Differenzen - auch im Umgang mit dem Hamas-Terror.

Der türkische Präsident Erdoğan übte bei Nehammers Besuch in Ankara Kritik an Israel  - die Reaktionen auf den Terror der Hamas seien überzogen.

Gaza: Erdoğan gegen Ende der Hilfsleistungen

Er meinte, dass der "Konflikt" zwischen Israel und den Palästinensern gelöst werden müsse. Deshalb habe er bereits Kontakt zu Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und Israels Präsident Yitzhak Herzog aufgenommen. Seiner Meinung nach sollte es einen palästinensischen Staat mit der Hauptstadt Ostjerusalem und einen "fairen Frieden" geben - er setze sich also für eine Zweistaatenlösung ein.

Denn die Gefahr sei groß, dass sich der Konflikt ausweite. Ziel sei es, dass die Region zur Ruhe komme. "Wir rufen alle Seiten auf, hierbei Verantwortung zu übernehmen", erklärte Erdoğan weiter, der betonte, dass er gegen ein Ende der Hilfsgelder für Gaza sei.

"Wo sind die Menschenrechte?", fragte er bezüglich der Unterbrechung der Wasserleitungen nach Gaza. Israels Reaktionen findet der türkische Präsident überzogen - und war Israel Menschenrechtsverletzungen vor. 

Nehammer verurteilte "Terror"

Der österreichische Bundeskanzler hatte hingegen bereits am Vormittag Terror "aufs Schärfste" verurteilt - er kündigte die Vorbereitung von Evakuierungen von Österreichern aus Israel an. Den Stopp der Hilfsleistungen an Gaza habe man sich gut überlegt, versicherte er Erdoğan. Man wolle die Zahlungen auf neue Beine stellen.

 

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Ukraine: Erdoğan telefoniert mit Putin

Bezüglich des Ukraine-Kriegs wollte Erdoğan noch Dienstagabend mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefonieren. Denn der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine könne nur durch Diplomatie beendet werden. Zudem setze er sich dafür ein, dass der Getreidedeal weiterlaufe.

Differenzen um EU-Beitritt

Nehammer stimmte Erdogan hinsichtlich der Ukraine zu und betonte, dass bei der Migration der EU-Türkei-Deal weitergeführt werden solle. Differenzen gab es hingegen hinsichtlich eines möglichen EU-Beitritts der Türkei. Erdoğan betonte nach einem Meeting im Präsidentenpalast vor Journalisten, dass die EU nur mit einer Teilnahme der Türkei vollständig sei. Nehammer sagte, dass die Europäische Union nicht die "geeignete Zukunftsvariante" für Ankara sei.

Dennoch habe Österreich "größtes Interesse" an einer Kooperation mit der Türkei. Konkret nannte der Kanzler Migration, Wirtschaft und Terrorbekämpfung.

"Man ist eben für einander da"

So seien der Kampf gegen die Schlepperei und der Grenzschutz wichtig. Nehammer erklärte, dass es selbstverständlich gewesen sei, dass Österreich nach dem schweren Erdbeben in der Türkei Soldaten zur Unterstützung geschickt habe. "Man ist eben für einander da, auch wenn es schwierig wird."

Bei einem Wirtschaftsforum lobte er die langen Beziehungen der beiden Länder, vor allem auch wirtschaftlich. So habe das heimische Exportvolumen im Vorjahr 4,6 Milliarden Euro ausgemacht, was eine Steigerung von rund 20 Prozent bedeute. Außerdem hätten "letztes Jahr" rund 420.000 Österreicher Urlaub im Land am Bosporus gemacht.

Kocher in der Türkei: "Nein zu EU-Beitrittsverhandlungen"

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) bezeichnete die Türkei "als das Land der Fachkräfte". Vor Journalisten meinte Kocher, dass der Fachkräfteaustausch in beide Richtungen erleichtert werden solle. Laut Wirtschaftsminister sind in der Türkei 1.500 österreichische Unternehmen aktiv, darunter 250 mit eigenen Niederlassungen oder Produktionsstätten. Zudem sei die Türkei der zwanzigst wichtigste Exportpartner Österreichs (2022) und liege bei den Importländern auf Rang 17 (2022).

Im Rahmen des Treffens meinte der türkische Industrieminister Mehmet Fatih Kacır, dass gute Beziehungen die Voraussetzung für wirtschaftliche Kooperation seien. Begleitet wurden Nehammer und Kocher von einer hochrangigen österreichischen Wirtschaftsdelegation.

Für Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), der den Kanzler ebenfalls begleitet und am Nachmittag seinen Amtskollegen Ali Yerlikaya traf, ist die Türkei "ein wichtiger Gesprächspartner im Kampf gegen die illegale Migration". Denn laut Karner haben rund 80 Prozent der in Österreich ankommenden Migranten einen "direkten oder indirekten Bezug" zur Türkei. Außerdem würden immer mehr Türken Asyl in Österreich beantragen, bis Ende August wären dies knapp 3.000 Menschen gewesen, erklärte der Innenminister bei einem Pressebriefing.

Erstes Treffen seit Schüssel

Vor der Türkei-Reise war Karner noch in Wien mit dem griechischen Minister für Einwanderung und Asyl, Dimitris Kairidis, zusammengetroffen. Am Rand der "Vienna Migration Conference 2023" besprachen die Minister laut griechischen Regierungsangaben den erhöhten Migrationsdruck, dem beide Länder ausgesetzt seien.

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Kairidis und Karner hätten den gemeinsamen Willen, die europäischen Grenzen zu schützen besprochen, sowie die Bedeutung von Rückführungen für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Asylsystems. Beide bekräftigten demnach ihr Vertrauen an europäische Lösungen für die gemeinsamen Herausforderungen der Migration. Die jeweiligen Beziehungen der beiden Länder zur Türkei seien ebenfalls ein Thema gewesen.

Der Besuch Nehammers war der erste eines österreichischen Kanzlers bei einem türkischen Präsidenten seit dem Jahr 2001. Damals empfing Präsident Ahmet Necdet Sezer ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel.

ribbon Zusammenfassung
  • Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Dienstagnachmittag den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Hauptstadt Ankara getroffen.
  • Erdogan betonte nach einem Meeting im Präsidentenpalast vor Journalisten, dass die EU nur mit einer Teilnahme der Türkei vollständig sei.
  • Nehammer sagte, dass die Europäische Union nicht die "geeignete Zukunftsvariante" für Ankara sei. Dennoch habe Österreich "größtes Interesse" an einer Kooperation mit der Türkei.
  • Konkret nannte der Kanzler Migration, Wirtschaft und Terrorbekämpfung. Erdogan pflichtete bei und meinte, dass der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern gelöst werden müsse.
  • Bezüglich des Ukraine-Kriegs wollte Erdogan noch Dienstagabend mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefonieren.
  • Der türkische Präsident Erdoğan übte bei Nehammers Besuch in Ankara Kritik an Israel  - die Reaktionen auf den Terror der Hamas seien überzogen.