Keine Rafah-Offensive solange Zivilisten festsitzen
Dies werde Israel aber nicht tun, "während wir die Bevölkerung an Ort und Stelle festhalten". Scholz warnte erneut eindringlich vor einer israelischen Offensive in Rafah, wohin in den vergangenen Monaten Hunderttausende Bewohner des Gazastreifens geflohen sind. Er verwies darauf, dass in der Stadt im Südwesten des Küstengebiets mittlerweile 1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum lebten, die geschützt werden müssten. "Wohin sollen sie gehen?", fragte Scholz.
Die Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen sei nach fünf Monaten Krieg bereits "äußerst hoch, manche würden sagen, viel zu hoch", betonte Scholz. Er habe gegenüber Netanyahu "als Freund Israels meine Bedenken zur Entwicklung dieses Krieges zum Ausdruck gebracht". Am Vormittag hatte er bereits gewarnt, ein groß angelegter Militäreinsatz in Rafah mit vielen Todesopfern würde "jede friedliche Entwicklung in der Region sehr schwer machen".
Netanyahu hatte am Freitag Pläne für eine Offensive in Rafah gebilligt. Beobachter warnen vor verheerenden Folgen eines solchen Angriffs für die Zivilbevölkerung. Auch die USA warnen vor einem Militäreinsatz in Rafah und pochen auf "glaubwürdige" Vorschläge ihres Verbündeten Israel für den Schutz von Zivilisten in der Stadt.
Scholz pochte auch auf eine deutliche Verbesserung humanitärer Hilfe. "Wir können nicht zusehen, wie die Palästinenser verhungern", sagte er. "Es ist viel mehr humanitäre Hilfe nötig, dauerhaft, verlässlich."
Der Kanzler forderte Israel gleichzeitig auf, zu Gesprächen über eine friedliche Lösung bereit zu sein. "Wir brauchen ein Geisel-Abkommen mit einer länger dauernden Waffenruhe", sagte Scholz. Er wisse aber, "wie schwierig es ist, dies mit Hamas-Terroristen zu erreichen".
Das israelische Sicherheitskabinett sollte am Abend zusammentreten, um die Position einer israelischen Verhandlungsdelegation vor ihrer Reise nach Katar festzulegen.
Die radikalislamische Hamas hatte sich am Freitag zu einer sechswöchigen Feuerpause und einem Austausch israelischer Geiseln gegen palästinensische Häftlinge bereit erklärt. Bisher hatte die Palästinenserorganisation einen dauerhaften Waffenstillstand vor jeglicher Geiselfreilassung gefordert.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1.160 Menschen getötet sowie rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bisher mehr als 31.600 Menschen getötet.
Der israelische Regierungschef machte deutlich, dass er trotz der internationalen Kritik und der Warnungen seiner Verbündeten an den Plänen für eine Bodenoffensive in Rafah festhalten werde. "Kein noch so großer internationaler Druck wird uns daran hindern, alle Kriegsziele zu erreichen", sagte Netanyahu laut einem von seinem Büro veröffentlichten Video bei einer Kabinettsitzung.
Israel wolle die Hamas zerstören, die Freilassung aller Geiseln erreichen und sicherstellen, "dass der Gazastreifen keine Bedrohung mehr für Israel darstellt". Um diese Ziele zu erreichen, "werden wir auch in Rafah operieren", betonte Netanyahu.
Die israelische Regierung beschloss unterdessen die Schaffung eines nationalen Gedenktags zu dem beispiellosen Hamas-Angriff. Das Kabinett habe einstimmig entschieden, das künftig alljährlich an die "Katastrophe" erinnert werden solle, die Israel am 7. Oktober getroffen habe, erklärte das Büro von Netanyahu.
Zusammenfassung
- Israels Sicherheitskabinett trifft sich am Sonntag, um über die Bedingungen eines Geiseldeals zu beraten, bevor eine Delegation nach Katar aufbricht.
- Hamas schlägt vor, 42 israelische Geiseln gegen 20 bis 50 palästinensische Gefangene auszutauschen und eine sechswöchige Feuerpause anzubieten.
- Tausende demonstrieren in Tel Aviv für die Freilassung der Geiseln und kritisieren die Regierung; Finanzminister Smotrich lehnt Verhandlungen ab und fordert eine härtere Gangart gegen die Hamas.