HTS-Chef al-Golani: Wer ist der Mann, der Assad stürzte?
Am Freitag gab Abu Mohammed al-Golani dem US-Nachrichtensender CNN ein großes Interview, gab sich staatsmännisch. Er ist der Anführer einer Gruppierung aus dem Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und verbündeten Islamisten, Aufständischen und Rebellen.
Nach Jahren, in denen der Bürgerkrieg in Syrien festgefahren war, hat die Jihadisten-Gruppierung binnen kürzester Zeit das Regime von Langzeit-Diktator Bashar al-Assad gestürzt. Doch wird jetzt alles besser, wird Syrien "frei", wie es al-Golani für Damaskus erklärt hat? Das FBI hat immer noch ein 10-Millionen-Dollar-Kopfgeld auf ihn ausgelobt.
Ehemaliger Al-Kaida Ableger
Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ist der frühere Zweig des Terrornetzwerks Al-Kaida in Syrien. Jahrelang hatte Golani im Verborgenen agiert. Heute steht er im Rampenlicht, gibt Erklärungen ab und spricht mit internationalen Medien.
Den Turban der Dschihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 trug, legte er nach und nach ab - zugunsten einer Militäruniform.
Rhetorik gemildert
Seit seinem Bruch mit Al-Kaida im Jahr 2016 versucht Golani, sein Image zu glätten und sich moderater zu zeigen. Experten und westliche Regierungen überzeugt das nicht. Sie stufen die HTS als Terrorgruppe ein.
Der Wissenschafter Thomas Pierret von Frankreichs nationalem Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen "pragmatischen Radikalen". 2014 sei Golani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und verweist darauf, dass er sich damals gegen die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) habe durchsetzen wollen. Seitdem habe er "seine Rhetorik gemildert".
Der 1982 geborene Golani wuchs in Mazzeh auf, einem betuchten Stadtteil von Damaskus. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und war ein guter Schüler. Während der aktuellen Offensive fing er an, seinen bürgerlichen Namen zu nutzen: Ahmed al-Sharaa.
Familiäre Wurzeln auf dem Golan
2021 sagte er dem US-Fernsehnetzwerk PBS, dass sein Kampfname Bezug nehme auf die Wurzeln seiner Familie auf den Golanhöhen. Seinen Angaben zufolge war sein Großvater nach der israelischen Besetzung der Gegend im Jahr 1967 zur Flucht gezwungen worden.
Nach einem Bericht der Website Middle East Eye fühlte sich Golani erstmals nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zum Gedankengut der Jihadisten hingezogen. Er habe an "geheimen Predigten und Podiumsdiskussionen in abgehängten Vororten von Damaskus" teilgenommen.
Vom Irak wieder zurück in die Heimat
Nach der US-geführten Invasion im Irak verließ er Syrien, um im Nachbarland zu kämpfen. Im Irak schloss sich der heutige HTS-Chef Al-Kaida an und wurde anschließend fünf Jahre inhaftiert.
Im März 2011, als die Revolte gegen Assads Regierung in Syrien begann, kehrte er in sein Heimatland zurück und gründete die Al-Nusra-Front - den syrischen Ableger von Al-Kaida, aus dem später die HTS hervorging.
2013 weigerte er sich, Abu Bakr al-Baghdadi, dem späteren Emir des IS, die Treue zu schwören. Stattdessen versicherte er dem Emir von Al-Kaida, Ayman al-Zawahiri, seine Loyalität.
Im Mai 2015 gab Golani an, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen auszuführen. Auch erklärte er, dass es im Fall einer Niederlage Assads keine Angriffe aus Rache gegen die alawitische Minderheit geben werde, der Assads Familie entstammt.
Abgrenzung zu Al-Kaida
Als Golani die Verbindungen zu Al-Kaida kappt, erklärt er, dies zu tun, um dem Westen keine Gründe zu geben, seine Organisation anzugreifen. Nach Angaben von Pierret hat er seitdem versucht, sich auf den Weg zu einem "aufstrebenden Staatsmann" zu begeben.
Im Nordwesten Syriens zwang Golani rivalisierenden islamistischen Gruppen im Jänner 2017 einen Zusammenschluss mit der HTS auf und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib.
HTS baute in den von ihr kontrollierten Gegenden eine zivile Regierung auf und richtete eine Art Staat in Idlib ein, während sie zugleich ihre Rivalen zerschlug.
Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen
HTS wurden in dieser Zeit von Bewohnern und Menschenrechtsgruppen brutales Vorgehen gegen Andersdenkende vorgeworfen - die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein.
Womöglich im Wissen um die Angst und den Hass, den seine Miliz hervorrief, hat Golani sich an die Bewohner von Aleppo gerichtet, um ihnen zu versichern, dass ihnen nichts passieren werde. In Aleppo gibt es eine große christliche Minderheit. Außerdem rief er seine Kämpfer dazu auf, die Sicherheit in den nun eingenommenen Gebieten zu gewährleisten.
Das sei zunächst einmal ein politisch gutes Vorgehen, erklärte Aron Lund von der Denkfabrik Century International. "Je weniger Panik auf lokaler und internationaler Ebene herrscht und je mehr Golani wie ein verantwortungsbewusster Akteur und nicht wie ein toxischer Jihad-Extremist erscheint, desto einfacher wird seine Aufgabe. Ist er völlig aufrichtig? Sicherlich nicht", sagte er. "Aber es ist das Klügste, was man im Moment sagen und tun kann."
Zusammenfassung
- Abu Mohammed al-Golani, Anführer der Islamisten, die die Assad-Familiendynastie in Syrien gestürzt haben, hat einen Imagewandel nach außen getragen.
- Aber wer ist der Mann, der Jihadisten-Turban für Militär-Uniform getauscht hat?
- Und wie gefährlich ist er?
- Er gibt sich pragmatisch und staatsmännisch.
- Aber das FBI hat immer noch ein 10-Millionen-Dollar-Kopfgeld auf ihn ausgelobt.