Eurovignette: Österreich zeigt sich enttäuscht
Ein Kernpunkt bei der Lkw-Maut ist der Übergang von der aktuellen zeit- auf eine kilometerbasierte Vignette. Demnach sollen ab 2030 keine Vignetten mehr verkauft werden dürfen, die Lkw die Nutzung von Straßen für einen bestimmten Zeitraum erlauben.
Stattdessen sollen künftig die tatsächlich zurückgelegten Kilometer maßgeblich für die Berechnung der Gebühr sein. Ausnahmeregelungen sind jedoch in begründeten Fällen möglich. In den kommenden Jahren sollen außerdem unterschiedliche Straßengebühren je nach CO2-Ausstoß der Lkw und Busse erhoben werden. Je geringer der CO2-Verbrauch ist, desto billiger soll es werden.
Aus österreichischer Sicht interessant ist die Möglichkeit, auf stark belasteten Strecken einen 50-prozentigen Zuschlag auf die Lkw-Maut einheben zu können. Allerdings müssen dem die Nachbarländer - im Fall des Brenners also Italien und Deutschland - zustimmen. Außerdem gibt es eine Möglichkeit, einen 15-prozentigen Zuschlag auf die Lkw-Maut einzuheben, um damit Öffis oder die Rollende Landstraße querzufinanzieren.
Neuerungen für Busse und Autos
Die neuen Bestimmungen sehen auch Neuerungen für Busse und Autos vor. Für Autofahrer soll es künftig standardmäßig auch kurz gültige Vignetten geben: etwa für einen Tag, eine Woche oder zehn Tage. Zudem müssen ab 2026 umweltfreundliche Fahrzeuge bei den Mautkosten bevorzugt werden. Die Mitgliedstaaten können bei Autos und Kleinbussen wählen, ob sie ein Vignetten- oder Mautsystem nutzen wollen.
Die EU-Länder müssen auch mit den neuen Regeln keine Gebühren für die Nutzung ihrer Straßen erheben. Wollen sie das jedoch tun, so müssen sie sich an die EU-Regeln halten. Die Mitgliedstaaten haben schon zugestimmt. Nun haben sie zwei Jahre Zeit, die Bestimmungen in nationales Recht zu übernehmen.
Kritik aus Österreich
Der Beschluss des EU-Parlaments in Straßburg am Donnerstag zur Eurovignetten-Richtlinie hat in der heimischen Politik zu harscher Kritik geführt. Als vertane Chance haben österreichische EU-Abgeordnete die vom Europaparlament am Donnerstag beschlossene Neufassung der Lkw-Mautregeln (Eurovignette) kritisiert. Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) bezeichnete die Richtlinie trotz "einzelner Verbesserungen" als "Enttäuschung".
Gewessler: EU habe "ihre Chance vertan"
"Ich finde es bedauerlich, dass die EU hier ihre Chance vertan hat, weitere Möglichkeiten für faire Bedingungen zwischen Schiene und Straße zu beschließen", hielt Gewessler in einer Aussendung fest. Sie sah die Lösung, um der Transitlawine entgegen treten zu können, in einem erhöhten Mautzuschlag für Bergregionen - wie etwa in Tirol. Ein solcher "würde die Nutzung der Bahn für den Güterverkehr deutlich attraktiver machen und gleichzeitig wichtige Finanzmittel für die Entlastung der Bevölkerung generieren", meinte sie. Österreich werde seine Bemühungen jedenfalls weiter fortsetzen.
Platter: Derzeitige Verkehrspolitik führt "in die Sackgasse"
In einer ersten Reaktion bekräftigte Platter indes einmal mehr, an den Anti-Transitmaßnahmen wie den Sektoralen Fahrverboten, Wochenendfahrverboten und Blockabfertigungen festhalten zu wollen. Die EU müsse endlich erkennen, "dass ihre derzeitige Verkehrspolitik in die Sackgasse führt und der Unmut der Menschen über den Transit immer größer wird". "Von Straßburg aus" sei heute eine Entscheidung getroffen worden, "die regionale Notwendigkeiten völlig außer Acht lässt", kritisierte der Landeschef. "Massiv belastete Regionen können nur durch eine effektive Verlagerungspolitik von der Straße auf die Schiene entlastet werden", war Platter überzeugt.
Politik in Tirol enttäuscht
Auch Platters Stellvertreterin und Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe (Grüne) zeigte sich am Donnerstag auf APA-Anfrage enttäuscht, dass die "so dringend notwendige Verkehrswende" nicht "mit einer ökologisierten Wegekostenrichtlinie" eingeläutet worden sei. Mit einer höheren Bemautung des Transitverkehrs - wie im ursprünglichen Entwurfsvorschlag vorgesehen - hätte " die so erlangte Kostenwahrheit die Verlagerung auf die Schiene" vorantreiben können. Der "Einfluss der mächtigen Transport- und Logistiklobbys" habe dies aber verhindert, kritisierte sie. Die nun beschlossene Form der Wegekostenrichtlinie würde Tirol "noch mehr Lkw-Verkehr bescheren", prognostizierte die grüne Politikerin. Sie appellierte, nun "trilaterale Lösungen mit Deutschland und Italien" zu suchen.
Der SPÖ-Verkehrssprecher im Tiroler Landtag, Philip Wohlgemuth, zeigte sich ebenfalls mit der EU-Entscheidung nicht einverstanden. ÖVP und Grüne machte er jedoch mitverantwortlich. "Vermeintliche Machtworte" von Gewessler und Platter seien "ungehört" geblieben, die Tiroler EU-Abgeordnete Barbara Thaler (ÖVP) habe sich als EVP-Verhandlerin "in keinster Weise durchsetzen" können. Auf Landesebene nahm er die schwarz-grüne Landesregierung in die Pflicht, die der Tiroler Bevölkerung eine Entlastung vom Transitverkehr versprochen hatte. "Vier Jahre lang sind diesen Ankündigungen keine Taten gefolgt", meinte Wohlgemuth.
"Hiobsbotschaft"
Für den FPÖ-Abgeordneten Gerald Hauser ist der Eurovignetten-Beschluss eine "Hiobsbotschaft" aus Straßburg. Dem Osttiroler war ein besonderer Dorn im Auge, dass eine Lkw-Mauterhöhung nur mit Zustimmung der Nachbarländer eingeführt werden kann. Damit werde "eine Preiserhöhung auf der Brennerstrecke unmöglich, weil Deutschland und Italien bereits in der Vergangenheit stets gegen eine Mauterhöhung" gewesen seien. Österreich habe innerhalb der EU "kaum die Gelegenheit, sich durchzusetzen", meinte er.
Ein wenig überraschendes, aber umso enttäuschenderes Ergebnis sah auch der Tiroler NEOS-Verkehrssprecher Andreas Leitgeb. Bemühungen aus Tirol, noch Änderungen zu erwirken, seien "vergebens" gewesen. "Die Gesundheit und Sicherheit der Tiroler_innen hat man heute dem Wohlwollen von Industrie und Frächtern geopfert. Niemand braucht sich künftig wundern, wenn wir an unseren Notmaßnahmen und Fahrverboten festhalten, um nicht völlig im Schwerverkehr zu ersticken." Die Landtagsabgeordnete der Tiroler Liste Fritz, Andrea Haselwanter-Schneider, stieß ins selbe Horn und meinte, dass Tirol nicht "um eine drastische Antwort" herumkommen werde. Die Schweiz habe vorgezeigt, wie man eine Reduktion des Transitverkehrs erreichen könne, nämlich durch "drastische Tariferhöhungen, ein entsprechendes Angebot auf der Schiene, strenge Kontrollen und Fahrverbote". "Platter, Felipe, Gewessler und Co. hätten schon lange die Ärmel hochkrempeln müssen", hielt sie fest.
"Viel Lärm um wenig"
Als "viel Lärm um wenig" bezeichnete Transitforum Austria-Tirol-Obmann Fritz Gurgiser die Debatte rund um die Eurovignette. Deswegen würden nicht mehr Lkw auf der Brennerroute unterwegs sein, wie nun allenthalben gesagt werde. "Wie denn auch? Es gibt ohnehin keinen Platz mehr. Da müssten sie die Autobahn schon vierspurig ausbauen", erklärte Gurgiser gegenüber der APA und ergänzte: "Das ist eine Eurovignette und keine Tirol-Vignette". Mehr Lkw würden zudem nur dann fahren, wenn die Tiroler Maßnahmen wie Blockabfertigung und Fahrverbote wieder aufgehoben würden. Dahingehend sollten nunmehr ganz im Gegenteil die "Daumenschrauben angezogen" werden, verlangte der Transitform-Chef. Was der Beschluss vom Donnerstag allerdings darstelle, sei die Fortschreibung eines "kranken Wirtschaftssystems". Die Verlagerung auf die Schiene werde so ad absurdum geführt: "Das ist ein Killerargument für die Nord-Süd-Verlagerung auf die Eisenbahn".
WKÖ mit Kritik
Auch die Wirtschaftskammer (WKÖ) bezeichnete die Richtlinie als "wenig zufriedenstellend". Laut Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr, wurden "Chancen auf eine stärkere Harmonisierung der Mautsysteme innerhalb der EU" nicht genützt. Der WKÖ sei es nun wichtig, "dass es weder in Österreich noch auf EU-Ebene zu Doppelbesteuerungen von CO2 kommt"." Überschneidungen zwischen der Wegekosten-Richtlinie und anderen Instrumenten zur Bepreisung von CO2-Emissionen aus dem Fit-for-55-Paket, wie etwa dem geplanten Emissionshandel, oder höhere Energiesteuern sind unbedingt zu verhindern", forderte er. Außerdem hätte er sich eine stärkere Verpflichtung zur Zweckbindung der Mauteinnahmen gewünscht. "Sie müssen in den Straßenverkehrssektor reinvestiert werden", meinte Klacska.
Zusammenfassung
- Das Europaparlament hat am Donnerstag neue Maut-Regeln (Eurovignette) beschlossen.
- Der Beschluss des EU-Parlaments in Straßburg am Donnerstag zur Eurovignetten-Richtlinie hat in der heimischen Politik zu harscher Kritik geführt.
- Die EU-Länder müssen auch mit den neuen Regeln keine Gebühren für die Nutzung ihrer Straßen erheben.