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Eskalation in Bosnien: Was ist da los?

Nationalismus steht in Bosnien-Herzegowina an der Tagesordnung. Doch angesichts der derzeitigen Drohungen und Vorhaben Milorad Dodiks, dem serbischen Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, fürchten viele neue Gewalt.

Bosnien-Herzegowina, in der ersten Hälfte der neunziger Jahre Schauplatz des blutigsten Krieges in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, ist in der Folge trotz des Dayton-Friedensvertrages (Ende 1995) nie ein gut funktionierender Staat geworden. Bosnien ist politisch-administrativ seit damals in drei Teile geteilt. Nun steigen erneut Befürchtungen, dass sich die Situation weiter dramatisch verschlechtern könnte.

Was war Auslöser der Eskalation?

Auslöser für die erneute Eskalation ist der seit Jahren für seinen Separatismus bekannte serbische Nationalist Milorad Dodik, Vertreter der Serben in Bosniens dreiköpfiger Staatsführung. Für Besorgnis sorgt nun Dodiks Ankündigung, die Zustimmung der der Republika Srpska zu einer Reihe von Gesetzen, die die gemeinsamen Streitkräfte, Steuern und auch Justiz Bosnien-Herzegowinas betreffen, rückgängig zu machen.

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Milorad Dodik

Er will auch erneut eine eigene Armee auf die Beine stellen. Eine solche war 2005 aufgelöst worden, Dodik kündigte nun an, das Parlament der Republika Srpska im November neuerlich damit zu befassen. Dodik strebt seit Jahren die Unabhängigkeit der Repuplika Srpska von Bosnien an.

Wie wahrscheinlich ist Krieg?

Angesichts der Abspaltungsbestrebungen in der bosnischen Republika Srpska warnte der Spitzenvertreter der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo, Christian Schmidt, vor einer gefährlichen Eskalation. "Bosnien-Herzegowina sieht sich mit seiner schwersten existenziellen Bedrohung der Nachkriegsperiode konfrontiert", schrieb der Diplomat in seinem jüngsten Bericht an den UNO-Weltsicherheitsrat. Auch in den sozialen Medien äußerten zahlreiche Menschen ihre Furcht vor erneuter Gewalt.

Der amerikanische Beauftragte für die Westbalkan-Region, Gabriel Escobar, zeigte sich nach einem getrennten Treffen mit allen drei Mitgliedern der Staatsführung - neben Dodik auch der Bosniake Sefik Dzaferovic und der Kroate Zeljko Komsic - hingegen optimistisch. Er sehe keine unmittelbare Kriegsgefahr in Bosnien-Herzegowina.

Die Wahrscheinlichkeit für Krieg sei derzeit tatsächlich sehr gering, sagt auch Südosteuropa-Experte David Florian Bieber von der Universität Graz gegenüber PULS 24. Aber die politische Situation könnte weiter eskalieren. Gegen den Krieg spreche, dass das angrenzende Kroatien ein NATO-Mitglied, die EU in Bosnien militärisch präsent sei und Dodik von Serbien wohl keine militärische Rückendeckung bekommen würde, so Bieber.

Gibt es eine politische Lösung?

Nein. Der amerikanische Beauftragte für die Westbalkan-Region, Gabriel Escobar, sagte nach seinem Treffen mit Dodik zwar, es seien Möglichkeiten erörtert worden, dass dieser jene Schritte zurücknimmt, die auf eine Abspaltung der Serbischen Republik (RS) abzielten. Dodik selbst interpretierte das Gespräch aber gänzlich anders: Er habe dem Amerikaner klargemacht, dass sich seine Politik im Rahmen des Dayton-Friedensabkommens von 1995 bewege. Für Dodik bedeutet das unter anderem auch eine eigene Armee bzw. eine weitreichende Selbstständigkeit der serbischen Entität.

Dodiks Ziel sei ein "langsames Auflösen des Staates", sagt Südosteuropa-Experte Bieber. Er teste seine Grenzen aus, mache dann wieder einen Schritt zurück und weite damit das für ihn Mögliche seit Jahren immer weiter aus.

Warum eskaliert die Lage gerade jetzt?

Dodik mache das in einer Regelmäßigkeit mit graduellen Verschärfungen seit 15 Jahren, sagt Bieber. Er suche immer wieder Gelegenheiten dafür. Nun habe er vor allem die Schwäche der EU und die Erneuerung des EU-Friedensmandats in Bosnien (Militärmission EUFOR Althea) ausgenützt.

Warum ist die EU geschwächt?

"Die EU hat die Zügel schleifen lassen", sagt Bieber. Der EU-Erweiterungsprozess habe an Dynamik verloren und sei für Bosnien und Serbien keine wirkliche Alternative mehr. Generell habe das Engagement in der Region nachgelassen. Es fehle die Klarheit, was man erreichen wolle und Reaktionen wie etwa Sanktionen. Dafür sei die EU nicht geeint genug: Während sich Länder wie Österreich für die EU-Erweiterung einsetzen, sind Länder wie Frankreich oder die Niederlande dagegen.

Wer unterstützt Dodik noch?

Generell versucht der 62-jährige bosnisch-serbische Politiker, der sich in den letzten Jahren laut seinen Kritikern mehr in Belgrad als in Banja Luka aufhielt, neuerdings, den Kreis seiner Verbündeten zu erweitern. Seit Jahren gilt Dodik als der Mann Russlands in Bosnien-Herzegowina. Auch wenn Serbiens Präsident Aleksandar Vučić immer wieder beteuert, dass die territoriale Integrität Bosniens von Belgrad unterstützt wird, ist es mehr als klar, dass Dodik und die Republika Srpska in Serbien als Bestandteil der sogenannten "serbischen Welt" empfunden werden.

Welche Rolle spielt Russland?

Russland unterstützt Dodik offiziell. Warum? Hauptsächlich, weil man am Westbalkan Unruhe stiften wolle, sagt Bieber. Man wolle verhindern, dass Bosnien oder Serbien der NATO beitreten.

Erst bei der Abstimmung über die Verlängerung der Militärmission EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina verlangte Moskau, um im UN-Sicherheitsrat kein Veto einzulegen, dass sich der seit August in Sarajevo befindende neue internationale Beauftragte Christian Schmidt nicht an das hohe Gremium wenden durfte. Schmidt hatte davor vor einer "gefährlichen Eskalation" und der "schwersten existenziellen Bedrohung" gesprochen. Dodik feierte das gar als persönlichen Sieg. Moskau möchte Schmidts Amt generell Abschaffen.

Andere EU-Mitglieder unterstützen Dodik offiziell: Am Samstag vor einer Woche erfolgte ein Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán bei dem bosnisch-serbischen Politiker in Banja Luka. Ein Treffen Orbans mit anderen bosnischen Politikern oder ein Besuch in Sarajevo blieben aus. Orban unterstütze Dodik wegen ihrer gemeinsamen nationalistischen und antimuslimischen Weltsicht, so Bieber. Orban wolle die EU schwächen. Einen Tag später folgte auch ein Treffen Dodiks mit Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša, der sich in der Vergangenheit für neue Grenzen am Balkan ausgesprochen hatte.

Welche Rolle nimmt Österreich ein?

Österreichs Rolle sei ambivalent, sagt Südosteuropa-Experte David Florian Bieber. Einerseits setze man sich für den EU-Beitritt der Balkanstaaten ein. Andererseits hätte die offene Unterstützung der FPÖ für die Separation der Republika Srpska und die "unkritische Beziehung" von Sebastian Kurz (ÖVP) zu Serbiens Präsident Aleksandar Vučić "Narben hinterlassen".

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Das sei laut Bieber "nicht leicht". Ansatzpunkte könnten aber in einer engeren Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA liegen. Der EU-Erweiterungsprozess könnte wieder ernsthaft angegangen werden. Zudem sollte die EU mit Mitteln und Anreizen oder eben auch mit Sanktionen reagieren und den Positionen Ungarns und Sloweniens Absagen erteilen. Anstatt der Separatisten sollte man mehr auf multiethnische, zivilgesellschaftliche Initiativen als Ansprechpartner in Bosnien setzen, so der Experte.

ribbon Zusammenfassung
  • Nationalismus steht in Bosnien-Herzegowina an der Tagesordnung. Doch angesichts der derzeitigen Drohungen und Vorhaben Milorad Dodiks, dem serbischen Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, fürchten viele neue Gewalt.