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Erdoğan in Berlin: Umstrittener Austausch auf gefährlichem Pflaster

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird am Freitag in Berlin empfangen. Damit betritt ein Hamas-Sympathisant das deutsche Kanzleramt, der Antisemitismus in Deutschland weiter anfachen könnte. 1.500 Polizisten schützen den Staatsbesuch, eine Ausladung war für Olaf Scholz keine Option. Aber warum eigentlich?

Erstmals seit drei Jahren wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag Deutschland besuchen. Der Zeitpunkt, aber nicht nur der, ist höchst umstritten. Er landete gegen Mittag am Berliner Flughafen, in der deutschen Hauptstadt herrscht während des Besuchs höchste Sicherheitsstufe

Mehrere Demos sorgen für Straßensperren

2.800 Polizist:innen aus mehreren deutschen Bundesländern wurden zusammengezogen, Teile der Berliner Innenstadt werden zeitweise gesperrt. Das gilt für die Gebiete rund um das Schloss Bellevue, wo Erdoğan zunächst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier traf, das Kanzleramt, wo Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem türkischen Präsidenten Abendessen wird, und das Gebiet um die türkische Botschaft am Tiergarten. 

Mehrere Demonstrationen könnten in Berlin für Ausnahmezustand sorgen. Auf die Straße gehen werden unter anderem pro-kurdische Aktivist:innen, die gegen ein Verbot der PKK demonstrieren wollen, aber eben auch anti-israelische Proteste sind geplant. Letztere sind es, die in Deutschland Kritik am Besuch Erdoğans und daran, dass dieser genau jetzt stattfindet, laut werden ließen. 

Hamas-Sympathisant im Kanzleramt

Schließlich wird Scholz im Kanzleramt mit Erdoğan einen Hamas-Sympathisanten willkommen heißen, auch wenn es kein besonders herzlicher Empfang sein dürfte. Während Erdoğan Israel zuletzt als "Terrorstaat" beschimpfte, für die radikalislamistische Hamas hingegen verharmlosende Worte wie "Freiheitskämpfer" fand, betonten Scholz und Steinmeier zuletzt immer wieder, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei. Die Hamas wird hier eindeutig als Terrororganisation eingestuft. 

Immer wieder kam es zuletzt auch in Deutschland zu anti-israelischen Demonstrationen, wo mitunter auch antisemitische Parolen skandiert wurden. Es wird befürchtet, dass der Besuch des türkischen Präsidenten und der Raum, der ihm just zu diesem Zeitpunkt gegeben wird, diese Stimmung weiter anfachen könnte. 

"Gefährlicher Sprengstoff"

Die Worte Erdoğans seien "gefährlicher Sprengstoff" auch in Deutschland, sagte etwa Burak Çopur, Politikwissenschaftler und Leiter des Zentrums für Radikalisierungsforschung und Prävention in Essen, zum WDR. "Bislang sah man vor allem arabischstämmige Menschen auf den Straßen. Ich befürchte, dass Erdogan mit seiner antiisraelischen Rhetorik auch in Deutschland Öl ins Feuer gießt und seine Anhänger auf die Straßen treibt", sagte Çopur der "Neuen Zürcher Zeitung". 

Can DundarOdd ANDERSEN / AFP

Can Dundar

Der türkische Exil-Journalist Can Dündar sagte der Deutsche Presse-Agentur, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hätte das Treffen zumindest verschieben müssen. Die Bundesregierung spiele nach den Regeln des türkischen Präsidenten. "Erdoğan ist der Gewinner dieses Spiels, schon bevor der Besuch stattfindet", sagte der frühere Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet". "Deutschland musste sich vor ihm verbeugen, in dem Wissen, dass er ein Hamas-Unterstützer ist und Israel als Terrorstaat bezeichnet." 

In Deutschland würden Demonstrationen zur Unterstützung der Hamas untersagt. "Aber gleichzeitig laden sie einen Hamas-Anhänger ein und rollen den roten Teppich für ihn aus. Das ist schräg, eine Art von Doppelmoral."

"Ein Hobby-Antisemit"

"Er ist ein Antisemit, er ist ein Islamist, und er ist rachsüchtig – aber an erster Stelle ist er an Macht interessiert. Wenn er glaubt, dass seine Macht gefährdet ist, wird er heute das eine sagen und morgen das Gegenteil. Wenn Sie so wollen: ein Hobby-Antisemit", sagte der Journalist Deniz Yücel in der "Neuen Zürcher Zeitung". Die deutsche Außenpolitik sei bei autoritären Regimen zu sehr von dem Satz "wir brauchen die halt" geprägt. Dabei brauche die Türkei auch den Westen. "Es ist eine wechselseitige Abhängigkeit, und Deutschland hat keinen Grund, sich immer so von Erdoğan gängeln zu lassen", so Yücel.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, Erdoğan könne kein Partner für die deutsche Politik sein. Und der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, ging noch weiter. Er forderte, der Besuch hätte abgesagt werden müssen. Er fragte sich, was das "Nie wieder" deutscher Politiker sonst noch wert sei. 

"Das Leben ist kein Ponyhof"

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) kritisierte ebenfalls, dass Erdoğan über deutsche Moscheen Einfluss nehme. "Man muss wissen, wenn man Staatsverträge mit seinen Vertretern in Deutschland schließt, dann lässt man Erdogan in deutsche Schulen. Dann wird dieses Gift des Antisemitismus in Deutschland weiterverbreitet", sagte er. Den türkischen Präsidenten auszuladen, hielte er aber für falsch. "Das Leben ist kein Ponyhof. Dazu gehört eben auch, dass man sich mit Zeitgenossen treffen muss, die sehr ungewöhnliche, skurrile, manchmal absurde Meinungen haben". 

Cem ÖzdemirAFP

Cem Özdemir

So argumentierte das auch ein Regierungssprecher: "Wenn wir uns nur darauf zurückziehen, mit denjenigen zu sprechen, mit denen wir übereinstimmen in unseren Werten, haben wir relativ viele freie Tage." Die Türkei ist eben ein NATO-Land, Erdoğan hat Kontakte zur Hamas und spielt auch bei Russlands Krieg gegen die Ukraine eine Vermittlerrolle. 

Scholz selbst wählte im Vorfeld des Treffens vorsichtige Worte: Man werde "wie immer über die Dinge reden, die da zu besprechen sind. Auch über unterschiedliche Ansichten". Der deutsche Bundeskanzler will das Gespräch unter anderem nutzen, um auf eine Wiederbelebung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei hinzuarbeiten. 

Am Nachmittag ist bei dem umstrittenen Treffen auch eine Pressebegegnung geplant. Ob Fragen zugelassen werden, war im Vorfeld nicht bekannt. In Deutschland ist die Erwartungshaltung gegenüber Olaf Scholz hoch. Eine Ausladung Erdoğans stand für die Regierung wohl nie zur Debatte, es wird aber erwartet, dass Scholz in Richtung des türkischen Präsidenten deutliche Worte findet. 

ribbon Zusammenfassung
  • Geschützt von einem Großaufgebot der Polizei wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag erstmals seit drei Jahren Deutschland besuchen.
  • Der Besuch ist wegen der Verbalattacken Erdogans auf Israel und seine Verteidigung der von der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas umstritten.
  • Außerdem wird befürchtet, Erdogan könnte den Antisemitismus in Deutschland weiter anfachen.
  • Scholz will das Gespräch unter anderem nutzen, um auf eine Wiederbelebung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei hinzuarbeiten.
  • Erdogan trifft am frühen Nachmittag zunächst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Anschließend steht ein Abendessen mit Scholz auf dem Programm.
  • Vorher ist eine Pressebegegnung geplant. Unklar ist weiterhin, ob dabei Fragen zugelassen werden.