Asylkoordination gegen "populistische Abschiebe-Debatten"
Die Folgen des Sturzes von Syriens Diktator Bashar al-Assad seien unabsehbar, betonte Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und der Fachärztin für Psychiatrie Selma Nassan-Agha.
Abdulhkeem Alshater vom austro-syrischen Verein betonte bei dem Medientermin, die Aussagen einiger österreichischer Politiker seien "unmenschlich, respektlos und inakzeptabel". Die betroffenen Syrer und Syrerinnen hätten in Österreich einen "massiven Informationsbedarf", der durch eine "widersprüchliche und populistische Zickzack Kommunikation" des Innenministers ausgelöst worden sei. Einerseits gebe es laut Behörden nicht ausreichend Informationen zur unübersichtlichen Entwicklung in Syrien, um Entscheidungen treffen zu können. Andererseits würden aber Aberkennungsverfahren mit der Begründung eingeleitet, es sei keine politische Verfolgung mehr zu befürchten, so die asylkoordination.
Psychiaterin Nassan-Agha erklärte, das Wechseln von politischem Kleingeld auf den Rücken von Geflüchteten habe Fortschritte, die in jahrelangen Therapien mühsam erarbeitet worden seien, "binnen kürzester Zeit zerstört". Die Regierung torpediere mit ihren ohnehin nicht umsetzbaren Ansagen ihre "spärlichen Integrationsmaßnahmen". Die Verunsicherung über den eigenen Aufenthaltsstatus vor dem Hintergrund der volatilen Lage in Syrien zerstöre die wieder aufgebaute Hoffnung und Perspektiven und verursache "erhebliche Kosten".
Migrationsforscherin Kohlenberger betonte, statt "populistische Abschiebe-Debatten zu führen, wäre es sinnvoll, zur Stabilisierung Syriens beizutragen". "Wichtig ist es, den Menschen nicht zu drohen, sondern eine nachhaltige, freiwillige und gut vorbereitete Rückkehr durchzuführen." Dies hätte auch "demokratiepolitisch Vorteile": Laut Studien würden Rückkehrer, die länger in demokratischen Ländern gelebt haben, diese Werte auch in ihr Land zurückbringen. Dafür brauche es aber eine "nachhaltige" Rückkehr.
Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination betonte, zum jetzigen Zeitpunkt sei bereits die Einleitung von Aberkennungsverfahren rechtlich fragwürdig und der allgemeine Stopp von Familienzusammenführungen unzulässig: "Nicht jede Veränderung der Lage in einem Krisen- bzw. Kriegsstaat rechtfertigt die Aberkennung eines Schutzstatus." Rechtliche Voraussetzung sei eine "wesentliche und dauerhafte" Verbesserung der Lage. Davon könne trotz des Zusammenbruchs der syrischen Armee momentan keine Rede sein, auch der Behördenleiter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) habe von einer "sehr volatilen Lage" gesprochen. Die Behörde könne also den Beweis für die Verbesserung der Lage nicht erbringen, obwohl sie die Beweislast trage.
Abdulhkeem Alshater wies darauf hin, dass die Situation für viele Betroffene völlig unklar sei, auch was deren Herkunftsgebiete betreffe: "Viele kennen ihre Stadt nicht. Ich weiß, dass 80 Prozent meiner Stadt zerstört sind", sagte er. Er könne auch nicht zurück, sofern keine Demokratie garantiert sei. "Wir brauchen keine neue Diktatur", betonte er, Syrien habe ein demokratisches System verdient. Er persönlich komme aus Homs, dort gebe es sehr viele Assad-Anhänger, "die Situation ist eine Katastrophe".
Das Platzen der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS ändere an den Forderungen nichts, sagte Gahleitner-Gertz. Es werde darum gehen, das gemeinsame europäische Asylsystem umzusetzen, egal welche Regierung an die Macht kommen wird. "Wir appellieren an die Besonnenheit der Politiker und Politikerinnen", und daran zu denken, was deren Aussagen bei den Betroffenen für Folge haben. Man solle nicht nur immer an den politischen Mitbewerber denken, sondern daran, wie es den Menschen geht und was "an Desinformation grenzende Aussagen" anrichten können.
Zusammenfassung
- Laut Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination sei bereits die Einleitung von Aberkennungsverfahren rechtlich fragwürdig, da eine wesentliche und dauerhafte Verbesserung der Lage in Syrien nicht gegeben sei.
- Migrationsforscherin Judith Kohlenberger betont die Notwendigkeit einer nachhaltigen und freiwilligen Rückkehrpolitik, die demokratiepolitische Vorteile mit sich bringen würde.