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Ärzte ohne Grenzen: Im Sudan geht es ums Überleben

Im Sudan tobt aktuell eine der größten humanitären Krisen der Welt. Über zehn Millionen Menschen wurden zur Flucht gezwungen, über 25 Millionen leiden unter akutem Hunger. "Es geht nur ums Überleben, den Menschen fehlt es an allem", sagt die Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen (MSF), Laura Leyser, nach einer Reise in den Sudan und Tschad im APA-Interview. Trotz ihres massiven Ausmaßes ist es eine "vergessene Krise", so Leyser.

Viele Hilfsorganisationen hätten sich im Laufe der letzten Monate aus der Region zurückgezogen. Das habe "massive Lücken hinterlassen", die Ärzte ohne Grenzen zu füllen versucht, berichtet Leyser. Gerade in Teilen des Sudan seien außer MSF so gut wie keine anderen Organisationen aktiv, nicht einmal die Vereinten Nationen. Zwar wurden bei einer Geberkonferenz für den Sudan Mitte April diesen Jahres in Paris über zwei Milliarden Euro an Unterstützung zugesichert. "Viele der Zusagen sind aber offenbar bisher nicht materialisiert worden", erklärt Leyser.

An Unterstützung fehlt es aber auch für dem benachbarten Tschad, in den bisher rund 800.000 Menschen aus Darfur (Sudan) geflohen sind. Geflüchtete in den Lagern in der Grenzregion sind nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen komplett von humanitärer Hilfe abhängig. Auch dort werden die Essensrationen immer knapper. "Aktuell gibt es etwa im Camp Aboutengue, in dem knapp 45.000 sudanesische Geflüchtete leben, nur mehr 1.100 Kalorien pro Person, pro Tag, und nur mehr Hirse und Öl", so die österreichische MSF-Geschäftsführerin. "Es geht wirklich nur ums Überleben."

Von der Ernährungskrise sind Kinder und Schwangere am meisten betroffen. "Es war sehr berührend zu sehen, wie viele schwer mangelernährte Kinder in unseren Kliniken betreut werden müssen. Und laut unseren Teams vor Ort steigt die Anzahl, genauso wie die Kinder- und Müttersterblichkeit", berichtet Leyser.

Obwohl der Tschad selbst eines der ärmsten Länder der Welt ist, seien die Grenzen für Geflüchtete "komplett offen gelassen und alle Menschen ohne Hindernisse" ins Land gelassen worden, so die Expertin. Zudem achte der Staat darauf, insbesondere Ressourcen in der Gesundheitsversorgung so gut wie möglich auch mit den Geflüchteten zu teilen. Leyser: "Das war besonders beeindruckend für mich."

Dass in Europa mancherorts darüber diskutiert werde, wie man sich vor einer möglichen Migrationswelle aus der Region schützen könne, ist für die MSF-Österreich-Chefin nicht nachvollziehbar. Denn: "Ich sehe für Europa keine Gefahr." Es sei "augenscheinlich, dass die Menschen nicht einmal genug Geld haben, sich zu ernähren und zu überleben", sagt Leyser. Trotzdem oder genau deshalb habe Österreich und Europa die Verantwortung, humanitäre Unterstützung zu leisten. "Aus Menschlichkeit."

Österreich und die internationale Gemeinschaft müssten zudem viel stärker die Einhaltung von internationalem Recht einfordern. Aktuell werden laut Ärzte ohne Grenzen Zivilisten und Gesundheitseinrichtungen immer wieder gezielt von den Konfliktparteien angegriffen, Hilfslieferungen immer wieder blockiert.

Hauptursache für den Hunger- und Flüchtlingskrise ist der bewaffnete Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF). Seit April 2023 tobt ein erbitterter Machtkampf zwischen De-Facto-Machthaber Fattah al-Burhan und der RSF-Miliz seines Ex-Stellvertreters Mohammed Hamdan Daglo. Grund dafür ist ein Konflikt um die Oberbefehlsgewalt über die Streitkräfte. Die Kämpfe vertrieben rund zehn Millionen Menschen aus ihren Häusern, Tausende wurden getötet.

Ärzte ohne Grenzen, das sich rein aus privaten Spenden finanziert, ist sowohl im Sudan als auch im Tschad seit über 40 Jahren aktiv. Aktuell ist der Einsatz einer der größten weltweit. Insgesamt sind im Sudan etwas über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für MSF im Einsatz, darunter drei aus Österreich entsandt, im Ost-Tschad rund 1.700 (eine Person davon aus Österreich entsandt).

(Das Interview führte Christina Schwaha/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Im Sudan tobt eine der größten humanitären Krisen der Welt mit über zehn Millionen Vertriebenen und 25 Millionen Menschen, die unter akutem Hunger leiden.
  • Ärzte ohne Grenzen versucht, die Lücken zu füllen, die durch den Rückzug anderer Hilfsorganisationen entstanden sind, und hat aktuell über 1.000 Mitarbeiter im Sudan im Einsatz.
  • Rund 800.000 Menschen sind aus Darfur (Sudan) in den Tschad geflohen, wo die humanitäre Lage ebenfalls prekär ist, und die tägliche Kalorienzufuhr im Camp Aboutengue beträgt nur noch 1.100 Kalorien pro Person.