APA/APA/Wiener Volksoper/Barbara Pálffy

Volksopern-"Entführung" bürstet die Rollen gegen den Strich

Mozarts Singspiel "Die Entführung aus dem Serail" stellt Opernhäuser vor eine Reihe an Herausforderungen, muss die Sängerriege doch lange Sprechpassagen im Idealfall über Krippenspielniveau bewältigen und zugleich ein Umgang mit der exotisierenden Darstellung des Orients gefunden werden. In der letzten Premiere der Saison hat sich nun die Volksoper an das Werk gewagt und dieses in die Hände des gebürtigen Türken Nurkan Erpulat gelegt. Und der packt den Stier bei den Hörnern.

Erpulat nimmt ein wenig den Schleier der Nostalgie von der Erzählung vom verkitschten Orient und dem treuen Okzident, der sich aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts über Mozarts Türkenoper aus 1782 gelegt hat. Dafür wurde der Autor Suleiman Masoni beauftragt, die Sprechtexte durch neue Passagen zu ergänzen. Da hält die als Sklavin verkaufte Blonde ein flammendes Plädoyer für das Matriarchat und darf gegen die Männer austeilen ("Ein Schwanz, der einen Rattenschwanz an Problemen nach sich zieht"). Und ihr Partner Pedrillo debattiert mit Aufseher Osmin über Demokratie und Kulturaustausch, wobei man sich am Ende darauf einigt, dass die Chinesen an allem schuld sind.

Auch die Figurenzeichnungen bürstet Erpulat gegen den Strich. Stefan Cerny ist als Osmin ein sexy Muskelmann mit Tattoos im androgynen Rock und nicht wie sonst meist üblich ein alternder Depp. Dass am Ende Cerny als Star des Abends aussteigt, liegt jedoch nicht zuletzt am flexiblen Bass mit solider Tiefe des Wieners. Ebenfalls im eleganten Federrock kommt die Sprechrolle des vom TV-Schauspieler Murat Seven interpretierten Bassa Selim daher.

Dagegen stinken die Westler ab - und das leider zuweilen nicht nur im Bezug auf das Outfit. Während die Türken im flamboyanten Outfits daherkommen, sind die Europäer im dezenten Schwarz gekleidet. Volksopern-Liebling Rebecca Nelsen zeigt als Konstanze respektable Koloraturen im Nonnenhabit, während das junge Ensemblemitglied Hedwig Ritter ihre kratzbürstige Blonde mit äußerst scharfem Timbre intoniert, während Timothy Fallon als Belmonte mit eher engem Tenor wenig Liebhaberaura verströmt.

Dafür gelingen Regisseur Erpulat und seiner Bühnenbildnerin Magda Willi immer wieder humorvolle Slapstickelemente und symbolbeladene Bilder, wenn etwa eine überdimensionale Vulva-Feige als Hintergrund für eine schwül-orientalische Orgie im Fellini-Stil dient. Am Ende wird die vierte Wand gänzlich durchbrochen, und Murat Seven, selbst mit türkischem Migrationshintergrund, tritt aus der Rolle des Bassa Selim und hält einen emotionalen, postkolonialen Appell an die Gleichheit der Menschen. "Die Entführung" bleibt auch in dieser Fassung ein nicht unproblematisches Stück, aber immerhin wird in der Volksoper der Versuch unternommen, dem beizukommen.

(S E R V I C E - "Die Entführung aus dem Serail" von Wolfgang Amadeus Mozart in der Volksoper, Währinger Straße 74, 1090 Wien. Dirigent: Alfred Eschwé, Regie: Nurkan Erpulat, Bühnenbild: Magda Willi, Kostüme: Aleksandra Kica, Textfassung: Sulaiman Masomi. Mit Bassa Selim - Murat Seven, Konstanze - Rebecca Nelsen, Blonde - Hedwig Ritter, Belmonte - Timothy Fallon, Pedrillo - Daniel Kluge, Osmin - Stefan Cerny. Weitere Aufführungen am 20., 23., 26. und 30. Juni sowie am 15., 18., 23. und 27. Mai 2024. www.volksoper.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Ebenfalls im eleganten Federrock kommt die Sprechrolle des vom TV-Schauspieler Murat Seven interpretierten Bassa Selim daher.