Vandekeybus begeisterte bei ImPulsTanz mit Lehmschlacht
Es braucht nicht viel, um das Spannungsfeld zwischen Ober- und Unterwelt zu skizzieren, in dem die 4.000 Jahre alte Hymne einer Priesterin an die sumerische Göttin Inanna spielt, die als Grundlage des Stückes diente: An der linken Bühnenrampe thront ein Lehmwall, diagonal im Hintergrund erhebt sich eine Leinwand, die der Choreograf höchstselbst als Live-Kameramann mit in poetisches Sepia getauchten Bildern bespielt. Dazwischen tut sich im Laufe der 90 Minuten nichts weniger als die Menschheitsgeschichte auf, die sich zwischen dem Streben nach Fortschritt und der Neugier nach dem Jenseits sukzessive aufreibt.
Vandekeybus' Compagnie Ultima Vez windet und erhebt sich, stürzt und verrenkt sich zu der feingliedrigen und doch druckvollen elektronischen Komposition Calvos', während Olivier de Sagazan den Lehmhaufen beständig abbaut, indem er zunächst sich selbst damit zur Skulptur formt und schließlich Figur für Figur in seinen unterweltlichen Bann zieht. Dabei entstehen nicht nur immer mehr lehmverschmierte Tänzer, sondern beeindruckende Installationen, wenn etwa Köpfe in Windeseile mithilfe von Lehmschichten vereint werden, Bäuche und Brüste wachsen oder mit schwarzen und roten Farbtupfern gänzlich neue Lebewesen entstehen. Selbst vor Feuer schreckt dieser Wächter der Unterwelt nicht zurück - ein Bild, das zu den Höhepunkten dieses spannungsreichen Abends gehört.
Die titelgebenden "Mes" sind übrigens "göttliche Weisungen für das Leben" als "Bausteine von Kultur und Zivilisation", die die Göttin Inanna - ganz in weiß gekleidet - dem Gott Enki (Vandekeybus) stiehlt. Bei ihrem Abstieg in die Unterwelt, in der sie auf all ihre Besitztümer verzichten muss, trifft sie schließlich auf ihre Schwester Ereshkigal - ihr dunkles, unterbewusstes Alter Ego. In ihrem Zusammentreffen entlädt sich schließlich die Energie der Extreme. Am Ende ist jegliche Erinnerung an die Leichtigkeit der Oberwelt verloren, der Lehm auf der Haut getrocknet und der Pakt mit dem Jenseits besiegelt. Lang anhaltender Jubel für eine außergewöhnliche Produktion, die leider nur noch einmal (am Sonntag) zu erleben ist. Dafür feiert Vandekeybus mit der Uraufführung "Scattered Memories" noch das 35-Jahr-Jubiläum seiner Compagnie, zu sehen am 27. und 29. Juli ebenfalls im Volkstheater.
(S E R V I C E - ImPulsTanz: "Hands do not touch your precious Me" von Wim Vandekeybus (Choreografie), Charo Calvo (Musik) und Olivier de Sagazan (künstlerische Gestaltung) im Volkstheater. Weiterer Termin: 24. Juli, 21 Uhr. Infos und Tickets unter www.impulstanz.at)
Zusammenfassung
- Es ist eine denkbar magische Kollaboration: Für "Hands do not touch your precious Me" hat sich der belgische Choreograf Wim Vandekeybus mit dem kongolesisch-französischen Künstler Olivier de Sagazan und der spanischen Komponistin Charo Calvo zusammengetan und eine mystisch-archaische Produktion geschaffen, die am Freitagabend im Volkstheater das ImPulsTanz-Publikum begeisterte. Mit Sicherheit einer der Höhepunkte des diesjährigen Festivals.