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Trostgewitter: Thielemann leitete Brahms-Requiem in Salzburg

Die musikalische Antwort auf das Trauma, die Krise, den Verlust, ist das Requiem. Es verhandelt Schmerz und Heilung, Abschied und Trost, Endlichkeit und Ewigkeit. Bei den Salzburger Festspielen, bereits in der Ouverture Spirituelle, die das Festival einleitet, standen bisher schon Totenmessen von Mozart, von Biber - und am Freitag auch jene von Johannes Brahms auf dem Programm. Christian Thielemann dirigierte "Ein deutsches Requiem" als erstes Philharmonisches dieses Sommers.

Das Brahms-Requiem, im Orchester, aber auch im Chor groß besetzt und mit zwei Gesangssolisten ergänzt, ist keine klassische Totenmesse, schon gar keine liturgische. Es ist, wie schon der Name sagt, deutsch - im Gegensatz zu lateinisch - und bezieht seine Texte nicht aus dem festen katholischen Messritus, sondern collagiert seine Zitate frei aus der Luther-Bibel. Es verzichtet auf die Christusfigur und den Auferstehungstopos und bezieht sich lieber auf Psalmen, Briefe und die Johannes-Offenbarung in der zutiefst persönlichen Lesart des Johannes Brahms. Nicht die Toten stehen im Zentrum, sondern die Hinterbliebenen. Allgemeiner noch, die Leidenden.

"Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden", hebt der Chor zum Einstieg so leise und dabei mit so packender emotionaler Wucht an, dass sich die Frage nach dem Beitrag der Kunst in einer Welt voller Krisen und Traumata einfach in Luft, in tiefes Atemholen auflöst. Trost ist der Schlüsselbegriff dieses Requiems, wiederkehrend und mit den Mitteln der Musik sofort wahr gemacht. Diese Mittel sind hier alles andere als einfach. Christian Thielemann waltet nicht nur über ein gewaltiges Künstleraufgebot, vor allem ordnet und schichtet er ein komplexes musikalisches Geflecht, stimmt Muster, Farben, Intensitäten in vielfachen Zirkeln aufeinander ab.

Thielemanns Zug zum Ziel, die garantierte Wirksamkeit weit aufgespannter Bögen, kommt hier zu ihrem Recht, führt als Kompass durch das große Wogen. Wer das Requiem als schlankes, ziseliertes Hineinhorchen erleben möchte, ist bei ihm an der falschen Adresse. Hier kann man sich dem effektvoll skulptierten Donnern der Musik aussetzen und wird sicher hindurchgetragen - auch wenn sich genau zum Ende des Konzerts das tatsächliche Gewitter über der Salzburger Innenstadt entladen wird.

Der Wiener Singverein war schon 1867 bei der Uraufführung der ersten drei Teile des Requiems dabei, auch 1871 als Brahms selbst erstmals alle sieben Sätze dirigierte. Gesanglich ergänzt wurde der Chor diesmal um die Solisten Elsa Dreisig mit einem einprägsam gestalteten Sopranpart im fünften Satz und mit Michael Volle, der sich mit dem Chor in das spannungsvolle Zwiegespräch des ersten Korintherbriefs begab. "Siehe ich sage euch ein Geheimnis", so Volle und setzt sich fast mit einem Flüstern gegen die Hundertschaften auf der Bühne durch, ehe sich die Choralfuge Bahn bricht. "Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo dein Sieg?"

Im Verlauf der Salzburger Festspiele, bei denen die Wiener Philharmoniker auch als Opernorchester im Dauereinsatz sind, stehen fünf philharmonische Konzertprogramme an: nach dem Brahms-Requiem, dessen zweite Aufführung am morgigen Sonntag in der ORF 2-matinee live übertragen wird, auch noch mit Andris Nelsons, Riccardo Muti, Franz Welser-Möst und Jakob Hrusa am Dirigentenpult.

(S E R V I C E - Brahms-Requiem mit den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann am 30. Juli live auf ORF 2, 11 Uhr sowie zeitversetzt auf Arte Concert, 20 Uhr; www.salzburgerfestspiele.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die musikalische Antwort auf das Trauma, die Krise, den Verlust, ist das Requiem.
  • Bei den Salzburger Festspielen, bereits in der Ouverture Spirituelle, die das Festival einleitet, standen bisher schon Totenmessen von Mozart, von Biber - und am Freitag auch jene von Johannes Brahms auf dem Programm.
  • Christian Thielemann dirigierte "Ein deutsches Requiem" als erstes Philharmonisches dieses Sommers.