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"Song of the Shank": Würdigung eines unglaublichen Lebens

Thomas Wiggins ist eine vergessene Figur der Weltgeschichte, ein Mensch mit einer schier unglaublichen Lebensgeschichte, der doch nach seinem Tod 1908 der kollektiven Erinnerung entschwand. Der US-amerikanische Komponist George Lewis hat dem 1849 als Sklaven in den Südstaaten Geborenen, der als erster Afroamerikaner im Weißen Haus als Musiker auftrat, die reflexive Dramainstallation "Song of the Shank" gewidmet, die am Dienstag bei den Wiener Festwochen Premiere feierte.

Es ist die reduzierte, hermetische Annäherung an einen Menschen, der doch selbst immer eher Schimäre bleibt, mehr Folie als realer Charakter ist. Lewis greift für sein Werk auf ein Libretto des Schriftstellers Jeffery Renard Allen zurück, der dafür seinen eigenen, gleichnamigen Roman adaptiert hat, mit dem er dem von Geburt an blinden Wiggins ein Denkmal setzte. Der Bub wurde als Wunderkind vermarktet, aber anders als viele Weiße nicht als Genie, sondern als Kuriosität. Die Hautfarbe verstellte hier den Blick auf die Kunst.

"Song of the Shank" nun stellt gleichsam eine Reflexion des Romans der, der seinerseits über die Rolle des 1908 verstorbenen Wiggins in der Gesellschaft reflektierte. Das Libretto positioniert den von Gwendolyn Brown gesungenen Ich-Erzähler 100 Jahre nach seinem Tod in der Jetztzeit, in welcher er im anklagenden Duktus über den Blick der Gesellschaft auf ihn metaphorisiert. Nur selten schälen sich aus den poetischen Sprachbildern hie und da Fragmente einer Lebensgeschichte.

Zu diesem Pandämonium des Leids trägt einerseits das Ensemble Modern aus Frankfurt bei, das in scharfen Dissonanzen, meist in die einzelnen Instrumentengruppen zerlegt, Brown antwortet und andererseits der Pianist Hermann Kretzschmar gleichsam als Alter Ego des Pianisten Wiggins. Es ist ein kurzer, beileibe jedoch nicht kurzweiliger Abend, in dem komplexe Sprachgebilde über die Zuschauer hinweghuschen. Trotz der minimalistischen Gestaltung, in der einzig abstrakte Videoprojektionen des Künstlers Stan Douglas den Spielboden darstellen, bleibt diese Arbeit folglich erratisch und beinahe hermetisch, erschließt sich nur in Rückbezug auf den Roman. Dabei hätte Thomas Wiggins durchaus das Zeug zu einer interessanten Bühnenfigur. Der Vergessenheit entrissen wird er mit diesem Abend jedoch vermutlich nicht.

(S E R V I C E - "Song of the Shank" von George Lewis und Jeffrey Renard Allen im Rahmen der Wiener Festwochen, Museumsquartier, Halle G, Museumsplatz 1, 1070. Wien. Regie/Szenografie: Stan Douglas, Dirigent des Ensemble Modern: Vimbayi Kaziboni. Mit Gwendolyn Brown, Hermann Kretzschmar. Weitere Aufführungen am 14. und 15. Juni. www.festwochen.at/song-of-the-shank)

ribbon Zusammenfassung
  • Thomas Wiggins ist eine vergessene Figur der Weltgeschichte, ein Mensch mit einer schier unglaublichen Lebensgeschichte, der doch nach seinem Tod 1908 der kollektiven Erinnerung entschwand. Der US-amerikanische Komponist George Lewis hat dem 1849 als Sklaven in den Südstaaten Geborenen, der als erster Afroamerikaner im Weißen Haus als Musiker auftrat, die reflexive Dramainstallation "Song of the Shank" gewidmet, die am Dienstag bei den Wiener Festwochen Premiere feierte.