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Schau in Wien zeigt Schaffen von "Körperkünstlerin" ORLAN

Als junge Frau trat Mireille Suzanne Francette Porte in einem ihrer ersten Werke buchstäblich aus dem Rahmen. Davor gebar sie als 17-Jährige bereits in einer anderen inszenierten Fotografie ihr künstlerisches Selbst und bestimmte so ihre neue Identität. In den 70ern brach sie mit ihrem Geburtsnamen, nennt sich fortan ORLAN. Die Sammlung Verbund zeigt nun die erste ORLAN-Schau in Wien. "Man muss immer wieder aus dem Rahmen steigen und sich emanzipieren", so die Künstlerin.

"Ich bin ORLAN, jeder Buchstabe wird groß geschrieben, denn ich möchte nicht, dass man mich in Reih und Glied zwängt", betonte die 75-Jährige bei einer Pressekonferenz. Ihre Arbeit richtet sich gegen die klischeehafte Darstellung der Frau als Muse und Model - ein Credo, das in der Ausstellung "ORLAN - Six Decades" in der Vertikale Galerie auch plakativ an der Wand prangt.

"Ich bin keine Künstlerin, die künstlerischen Praktiken, Techniken und Technologien unterworfen ist", führte ORLAN weiter aus. "Ich möchte Dinge sagen, die für unsere Zeit wichtig sind, Phänomene unserer Zeit in Frage stellen. Deshalb ist es sehr schwierig, mich in eine Schublade zu stecken, obwohl ich oft in jene der Performance-Kunst gesteckt werde." Natürlich erregen gerade diese große Aufmerksamkeit. Etwa jene Performance, als sich ORLAN 1977 in die Kunstmesse FIAC in Paris schmuggelte und für fünf Francs Zungenküsse anbot. Ihre dortiges Anprangern der Stereotype der Frau als Heilige und Prostituierte sorgte für einen Skandal. In der Schau sind Szenen dieser Performance zu sehen.

ORLANs "Material ist von Anfang an der menschliche Körper", erläuterte Kuratorin Gabriele Schor. "Sie beginnt schon früh, in der Öffentlichkeit zu performen." So ist in "Six Decades" etwa das Gewandwechseln zwischen ORLAN und Passanten dokumentiert, eine Aktion, "um die Flexibilität von Identitäten zu zeigen", sagte Schor. Mitte der 70er-Jahre verkaufte ORLAN ihre "Körperteile" auf einem Markt mit ironischer "Reinheitsgarantie ORLAN ohne Farb- und Konservierungsstoffe". Eine Tafel bei einer entsprechenden "Körperteile"-Skulptur in der Ausstellung fragt: "Ist das mein Körper, gehört mein Körper eigentlich mir?"

In den 90ern erlangt ORLAN Berühmtheit mit chirurgischen Performance-Eingriffen, denen eine Etage in der Schau gewidmet ist. Sie setzt bei neun Eingriffen ihren Körper bei vollem Bewusstsein als künstlerisches Material ein, live übertragen in Museen. "Schönheits-OPs sind ein gesellschaftliches Phänomen, ich habe sie genau gegenteilig eingesetzt und sie aus der eigentlichen Bedeutung gerissen", erklärte die Künstlerin. Durch Operationen wollte sie nie Schönheit zu erreichen, "sondern ganz im Gegenteil, Hässlichkeit, Monstrosität, ich wollte dadurch nicht begehrenswert sein." Man hielt sie damals für verrückt, heute würden ihr Leute sagen, an ihren Schläfen eingesetzte Beulen-Implantate würden ihr "wahnsinnig gut" stehen. "Das beweist das, was ich schon immer gesagt habe: Schönheit ist eigentlich ein Diktat, eine geografisch und historisch verankerte Ideologie."

Derzeit interessiert sich ORLAN für moderne Techniken, etwa für Augmented Reality. In der Ausstellung ist eine Serie zur Peking Oper sehen. "Frauen dürfen in dieser nicht auftreten, immer noch nicht. Männer spielen die Rollen von Frauen. Ich wollte mit meinem Avatar aus den Werken herauskommen und dieselben akrobatischen Bewegungen wie die Künstler in der Peking Oper darstellen." Mittels Handy und QR-Code lässt sich das beobachten, wenn man die Kamera auf die Bilder hält.

ORLAN, Vertreterin der feministischen Avantgarde, hat "ein Leben lang gegen Stereotype angekämpft", wie sie es formulierte. Deshalb prangerte sie auch eine "bedenkliche Entwicklung" an: "Influencerinnen holen diese Stereotypen zurück und geben ihnen eine Bühne". Es sei jedenfalls wichtig, weiter zu kämpfen: "Denn wenn man aufhört, war alles umsonst, dann beginnt Unkraut wieder zu wachsen. Männer und Frauen müssen das gemeinsam tun. Ich bin Feministin, aber ich liebe Männer, vor allem gute Menschen, Männer, die nicht schreien, niemanden belästigen, niemanden vergewaltigen, niemanden töten, weder Inzest begehen, noch pädophil sind. Alle anderen sind Schweine. Das muss man laut und deutlich sagen. Und das muss aufhören."

(S E R V I V E - "ORLAN - Six Decades" in der Vertikale Galerie der Sammlung Verbund am Hof, 22. März bis 30. Juni, Öffnungszeiten: geführte Rundgänge jeden Mittwoch, 18.30 Uhr, und Freitag, 16 Uhr, Anmeldungen erforderlich sammlung@verbund.com oder +43(0)50313-50044, Eintritt frei. Dazu erschienen ein gleichnamiger Katalog. http://go.apa.at/00TdJUkM)

ribbon Zusammenfassung
  • Davor gebar sie als 17-Jährige bereits in einer anderen inszenierten Fotografie ihr künstlerisches Selbst und bestimmte so ihre neue Identität.
  • "Ich bin keine Künstlerin, die künstlerischen Praktiken, Techniken und Technologien unterworfen ist", führte ORLAN weiter aus.
  • Mitte der 70er-Jahre verkaufte ORLAN ihre "Körperteile" auf einem Markt mit ironischer "Reinheitsgarantie ORLAN ohne Farb- und Konservierungsstoffe".