Schau erzählt alternative Science Fiction(s) im Weltmuseum
Es ist eine ungewöhnliche, aber eines ethnografischen Museums überaus würdige Ausstellung. "Wir in Europa sind nicht die einzigen Menschen, die sich überlegt haben, wie es weitergehen soll", führte Direktor Jonathan Fine bei der Pressekonferenz am Dienstag in die größte Weltmuseum-Sonderausstellung des Jahres ein. "KünstlerInnen aus der ganzen Welt haben das Werkzeug von Science-Fiction aufgegriffen, um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Es ist eine Einladung, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht nur dystopisch ist, sondern generativ und verändernd."
24 Künstler und Künstlerinnen bespielen sechs Räume. "Jeder Raum hat ein eigenes Thema, eine eigene These." Es seien "zum Nachdenken anregende Werke", die man bewusst zunächst ohne große Informationen auf die Besucher wirken lassen wolle. QR-Codes ermöglichen das Aufrufen dazugehöriger Künstlerstatements. "Wir sind dabei ein bisschen Richtung Kunstausstellung gegangen."
Gleich mehrfach begegnet man in der von den Science-Fiction-Filmarchitekten KAWA (aktueller Film: "Rubikon") designten Schau dem Thema Weltraum - zunächst als kulturelle Aneignung indigener Traditionen durch Hollywood und "Star Wars", danach durch die Weiterverarbeitung dieser Popkultur-Einschreibung in "Functivismus"-Performances (von "Fun-Activism") von Rory Wakemup, von denen eindrucksvolle Figurinen zu sehen sind. Raumfahrt müsse aber nicht unbedingt als Eroberung oder Kolonisierung des Weltraums, sondern könne auch als soziales Experiment verstanden werden, hieß es. So begegnet man dem ersten syrischen Kosmonauten, der heute als Geflüchteter in Istanbul lebt, oder der folkloristisch anmutenden Installation "Autonomous InterGalactic Space Program" von Rigo 23 aus Mexiko.
"Gerade die westliche Science-Fiction erzählt die Zukunft als Technologie-Fortschreibung und damit auch als Fortschreibung von kolonialen Ambitionen", sagte Kuratorin Ute Marxreiter, die sich als Fan alternativer Science-Fiction und des Afrofuturismus outete. Die Ausstellung widme sich "Stimmen derer, die in diesen Erzählungen ausgeschlossen sind". Ob man das von Ekow Nimako aus 100.000 schwarzen Legosteinen zusammengesetzte Modell einer afrikanischen Zukunftsstadt ("Kumbi Salah 3020 CE") nun als Hoffnung oder Warnung auffassen soll, bleibt jedem selbst überlassen.
Kurator Tobias Mörike erinnerte daran, dass die Aufgabe ethnologischer Museen ursprünglich in die Vergangenheit gerichtet waren: "Für mich war es spannend, die übliche Sichtweise umzudrehen." Seine Kollegin Claudia Augustat erweiterte die Perspektive noch einmal: "Im Augenblick hat man den Eindruck, dass man auf eine Apokalypse zusteuert. Dabei wird vergessen, dass es Menschen gibt, die die Apokalypse schon erlebt haben." Wiederholt seien bereits Zivilisationen ausgelöscht worden. "Wenn wir dabei nicht nur die Menschen im Blick haben, sondern auch Pflanzen, Wälder, Tiere, Flüsse, sind wir bei indigenen Sichtweisen." Und nicht nur diese finden sich in der Ausstellung mehrfach - etwa in den hoch interessanten Arbeiten, die Wilfred Ukpong in vielen Workshops mit Jugendlichen im Nigerdelta entwickelte. In seinen Videos "Future-World-Exv" verbindet sich exemplarisch Kolonialismuskritik, Science-Fiction und Afrofuturismus.
Die Selbstzerstörung des Menschen ist nicht ident mit dem Untergang der Welt. Die Biokünstlerin Fara Peluso rückt im Verein mit einem Klangkünstler und einer Wissenschafterin der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko in ihrer Installation "Tecuitlatl" Algen und die Veränderungen ihrer Lebensumstände durch den Menschen ins Zentrum. Alleine um diese Installation zu verstehen, braucht es mehr Zeit als einen kurzen Ausstellungsrundgang. Aber so geht es den Menschen ja meist, wenn sie sich mit den Konsequenzen ihres Handelns beschäftigen sollen: keine Zeit! Im Weltmuseum sollte man sie sich nehmen. Nicht unbedingt, weil die hier auch gezeigten alternativen Vorschläge zur Heilung so erfolgversprechend wären. Sondern weil man wohl nicht so bald so viele verschiedene nicht-europäische Zukunftserzählungen auf einem Raum begegnen wird.
Die Eroberung des Weltraums als Abenteuer und technologische Herausforderung wäre heute abgelöst durch eine Fluchtbewegung ins All, der "Suche nach einem Planeten B", sagte Augustat. Ins All führt auch die Installation SpaceMosque, mit der ab 21. April die Ausstellung im Theseustempel im Volksgarten ergänzt wird: Dort greift der pakistanisch-amerikanische Künstler Saks Afridi die Frage auf: Was wäre, wenn alle unsere Gebete erhört werden?
(S E R V I C E - "Science Fiction(s). Wenn es ein Morgen gäbe", Ausstellung im Weltmuseum Wien, Heldenplatz, 30. März 2023 bis 9. Jänner 2024, täglich außer Mittwoch 10 bis 18 Uhr, Dienstag 10 bis 21 Uhr, Katalog deutsch/englisch: 112 Seiten, 25 Euro, www.weltmuseumwien.at/ )
Zusammenfassung
- Das ist seit geraumer Zeit aufgrund multipler Krisen nicht mehr so sicher.
- "Wenn es ein Morgen gäbe" heißt daher entsprechend vorsichtig der Untertitel einer Ausstellung, mit der das Weltmuseum Wien ab Donnerstag "Science Fiction(s)" erzählt: eine komplexe, anregende Schau.
- 24 Künstler und Künstlerinnen bespielen sechs Räume.
- Nicht unbedingt, weil die hier auch gezeigten alternativen Vorschläge zur Heilung so erfolgversprechend wären.