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Scharang: Im Kampf gegen Femizide "Kräfte global bündeln"

Jede dritte Frau in Österreich ist im Laufe ihres Lebens laut Statistik von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen. 2023 wurden hierzulande 72 Menschen ermordet, davon waren 42 Frauen und 30 Männer. "Das ist europaweit einzigartig", betonte Filmemacherin Elisabeth Scharang. In ihrem neuen Projekt "#howtostopfemicide" (Arbeitstitel) behandelt sie Femizide und genderbasierte Gewalt, fragt nach Gründen dafür, aber auch möglichen Lösungen. Eine Reise um die Welt.

Begonnen hat alles 2019, als sich Scharang mit ihrer Kollegin Kristin Gruber die Frage stellte, warum es so viel genderbasierte Gewalt in Österreich gibt. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff "Femizid" im öffentlichen Diskurs kaum vorhanden, berichtet wurde über "Eifersuchts- und Ehedramen, wo es eigentlich um Mord ging", so die Journalistin im APA-Gespräch. "Österreich ist ein sicheres Land, wir haben eine niedrige Kriminalitätsrate." Nach einem genauen Blick auf die Zahlen wurde für sie aber deutlich: "Der öffentliche Raum ist sehr sicher, aber der private Raum ist sehr gefährlich - vor allem für weiblich gelesene Personen."

Das Vorhaben, einen Dokumentarfilm zum Thema zu machen, wuchs im Zuge der Recherche immer weiter an. Schnell wurde klar, dass es eine internationale Perspektive braucht. "Es gibt kein Land, wo keine Femizide verübt werden", sagte Scharang. "Die Gründe dafür sind überall dieselben: patriarchale Strukturen, fatale Rollenbilder." Im ersten Jahr der Recherche habe sie sich "wie unter einer schweren Decke von desaströsen Geschichten" gefühlt. "Wir hatten von Beginn an die Intention, einen Film zu machen, der mehr leistet, als das Unglück dieser Welt beschreiben." Also suchte man nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, aus denen man lernen könne.

Die Reise führte Scharang und Gruber nach Spanien, von Island in die Türkei, von Südkorea bis nach Südafrika, Kenia oder Mexiko. In jedem Land wurde ein Netzwerk mit engagierten Personen aufgebaut, "die unsere Recherchen gegencheckten und den direkten Kontakt zu möglichen Protagonist*innen hatten oder herstellen konnten". Das habe auch die Grundhaltung des Films untermauert: "Wir müssen unser Wissen und unsere Kräfte global bündeln, um Femizide zu stoppen." Viele Personen im Sozialbereich, in der Genderforschung oder im Aktivismus seien zeitlich überfordert und schlecht bezahlt, weshalb sie internationale Vernetzung nicht leisten könnten. "Da habe ich verstanden: Wenn ich schon mit Steuergeld so ein Projekt mache, ist es meine Aufgabe, genau diese Vernetzungsarbeit zu leisten." Das so zusammengetragene Material soll neben dem Film auch in einen mehrteiligen Podcast münden. "Ich habe das Gefühl, ich habe acht Filme gemacht", hielt Scharang fest. "Aber es war notwendig. Diese Arbeit machst du nur ein einziges Mal."

Vor Ort bestimmten zwei Parameter die Drehs: "Du musst präzise sein, was die Bildarbeit betrifft, und offen, was die Gespräche betrifft. Ich lasse mich auf mein Gegenüber ganz ein und bin so gut vorbereitet, dass ich mir vor Ort jede Flexibilität erlauben kann." Außer Frage steht für die Filmemacherin auch, dass ein Film über Femizid "ein Film über alles" sei. "Reden wir über Femizide, reden wir über Kolonialismus, über Auswirkungen des Kapitalismus, über Diskriminierung, über Gender Equality. Es geht um unser Zusammenleben." Das klinge zunächst zwar "superbeängstigend". Aber: "Wir Menschen sind sehr komplex. Ich mache also komplexe Filme, weil wir kompliziert sind, und wir werden uns nicht auf ein- oder zweidimensionale Geschichte reduzieren. So ist das Leben nicht."

In Südafrika lag der Fokus auf Männer- und Burschenarbeit. "Wir haben in Khayelitsha bei Kapstadt gedreht, dem zweitgrößten Township des Landes. Kinder, die ohne Väter aufwachsen, Männer, die keine Bindungen aufbauen können. Welche Spuren hinterlassen Sklaverei, Kolonialismus, Apartheid durch die Generationen in den Familien? Wir konnten bei extrem tollen und innovativen Projekten mit jungen Männern filmen. Projekte, die ich mir auch für Österreich wünsche." Einer "hyperdigitalisierten Gesellschaft" begegnete das Team hingegen in Südkorea. An vielen öffentlichen Orten würden illegal Minikameras installiert, um Frauen mit kompromittierenden Bildern zu erpressen. "Das ist dort ein Massenphänomen." Auf Demos gegen Femizide müssten sich Aktivistinnen unkenntlich machen, um der digitalen Hetze zu entkommen. "Die Industrienation Südkorea hat ein krasses Problem mit Ungleichheit und verkrusteten Traditionen."

Wie aber dieser Misogynie entgegenwirken? "Zusammenschließen", sagte Scharang. Ein starkes Netzwerk sei etwa "We Will Stop Femicide" in der Türkei. Die NGO ist im europäischen Kontext eine der größten Vereinigungen, die gegen Gewalt an Frauen kämpft und landesweit nach jedem Femizid aktiv wird, um etwa den hinterbliebenen Familien juristische Unterstützung anzubieten. Die türkische Regierung habe schon mehrfach versucht, die Gruppierung zu verbieten. Auch die Demonstrationen gegen Femizide werden regelmäßig von offizieller Seite untersagt. Demonstriert wird dennoch. "Bist du Aktivistin in der Türkei, dann bist du furchtlos. Zu sehen, wie sie auf ihrem Recht zu demonstrieren bestanden haben und welch irren Schiss die Polizei hatte vor dem gut organisierten, kraftvollen und friedlichen Protest, war sehr beeindruckend", erinnerte sich Scharang an die Dreharbeiten in Istanbul.

Sie habe auch gesehen: Je restriktiver eine Gesellschaft, desto mehr wachse der Widerstand. In der mexikanischen Grenzstadt Juárez habe sie Mütter getroffen, die ihren Kampf gegen die Untätigkeit von Justiz und Polizei seit 30 Jahren führen. Auf einem zentralen Boulevard in Mexiko-City haben Aktivistinnen wiederum eine Statue von Kolumbus durch Gloria ersetzt: "Eine zweidimensionale, rosafarbene Frauenfigur, die ihre Faust in die Höhe streckt. Sie ist das Symbol für den Protest gegen Femizide. Das wäre, wie wenn wir in Wien die Pestsäule am Graben oder besser noch den Lueger abmontieren und gegen ein feministisches Denkmal ersetzen."

Die Arbeit am Film, der 2026 in die Kinos kommen soll, habe die Regisseurin jedenfalls auf allen Ebenen gefordert. Wie ist sie mit der dabei aufkeimenden Wut umgegangen? "Weinen", so die knappe Antwort. "Mit den Leuten, alleine, manchmal aus Wut, manchmal aus der Grauslichkeit der Umstände heraus. Aber oft auch aus Freude." Da sei das Gefühl, dass sich etwas bewege. "Ich habe so viele beeindruckende Frauen, Transmenschen und queere Personen kennengelernt und so viel Wissen, so viel Kraft und Entschlossenheit erlebt. Das ist durch nichts kaputtzumachen."

Und doch sei es frustrierend zu sehen, dass sich die Dinge nur langsam verändern. "Sind wir einen Schritt weitergekommen, außer dass wir den Begriff Femizid verwenden? Warum gibt es keine breite, öffentliche Debatte über die Gründe von Femiziden und die Auswirkungen patriarchaler Strukturen auf alle Menschen, nicht nur weiblich gelesene Personen?" Die Präsentation neuer Gewaltschutzkonzepte seitens der Regierung wirke für sie wie eine Farce. Die Politik kenne aktuelle Studien, denen zufolge verpflichtende Väterkarenz sowie die aktive Unterstützung eines fürsorglichen Männerbildes Gewalt in Familien und Beziehungen vorbeuge. "Aber die Antwort auf Femizide in Österreich ist immer: mehr Polizei. Frauen wollen nicht beschützt werden, sie wollen Gerechtigkeit. Man nimmt also politisch lieber in Kauf, dass diese Morde stattfinden, anstatt Rollenbilder aufzubrechen."

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Jede dritte Frau in Österreich erlebt im Laufe ihres Lebens körperliche oder sexuelle Gewalt.
  • Im Jahr 2023 wurden in Österreich 72 Menschen ermordet, darunter 42 Frauen, was europaweit einzigartig ist.
  • Elisabeth Scharang arbeitet an einem Projekt namens '#howtostopfemicide', das Femizide und genderbasierte Gewalt thematisiert.
  • Scharang und ihre Kollegin Kristin Gruber reisen weltweit, um ein Netzwerk gegen Femizide aufzubauen und nach Lösungen zu suchen.
  • Der Dokumentarfilm über Femizide soll 2026 in die Kinos kommen und wird von einem Podcast begleitet.