Reise in den Schmerz: "Die realen Geister" im Schauspielhaus
Geschrieben hat der 1996 als Nachfahre jüdischer Großeltern in Buenos Aires geborene Autor seinen Text im Rahmen des Hans-Gratzer-Stipendiums, in dessen Rahmen er den Jurypreis erhielt. "Die realen Geister" lobte die Jury als "flammendes Plädoyer, die Gewalt zu stoppen". Nun hat Stephan Kimmig, der zuletzt im Herbst 2024 am Volkstheater Virginie Despentes' "Liebes Arschloch" in Szene gesetzt hat, das Stück zur Uraufführung gebracht. Das wie ein Pilz aus dem weitgehend leeren Raum ragende Wartehäuschen im Bühnenbild von Sigi Colpe steht dabei prototypisch für den zeitlichen Zwischenraum, in dem sich Jason (Iris Becher) befindet. Während der Bühnenhintergrund genauso an eine verkrustete Salzwüste wie an Zellstrukturen erinnert, hat die österreichisch-kurdische Musikerin Scharmien Zandi einen akustischen Raum geschaffen, der vertraute wie unbekannte Sounds ineinanderfließen lässt.
Wertheimer lässt den hier weiblichen Jason bereits kurz nach seiner Ankunft auf seinen Schutzengel treffen, der sich als Göttin Hera entpuppt. Während Iris Becher mit ihrer beigen Fischerweste und der weißen Kappe für eine Expedition gerüstet ist, weiß Florentine Krafft als Hera in hohen Stiefeln und rotem Ledermantel nicht nur alles über die Vergangenheit, sondern fühlt bereits in düsterer Vorahnung die Zukunft heranrollen. Behutsam begleitet sie Jason auf seiner Reise, die ihn nicht nur auf den (projizierten) Zentralfriedhof führen wird, sondern bis an den Strand von Tel Aviv.
Zuvor lernt Jason aber den Hacker und Cyber-Aktivisten Liebeskind (Maximilian Thienen) kennen, der es sich als Teil eines internationalen Netzwerks zur Aufgabe gemacht hat, alte NS-Vermögen aufzuspüren und neu zu verteilen. Ungelenk nähern sich die beiden aneinander an, doch der Countdown läuft. Die Gewaltspirale im Nahen Osten hat sich bereits in Bewegung gesetzt. Dann taucht auch noch ein rätselhafter Fischer auf, der sich in Tiere hineinversetzen kann (in einer Szene trägt Kaspar Locher ein Geweih und brüllt wie ein Hirsch) und den Menschen, die Gewalt und Leid verbreiten, den Tod wünscht. So begibt sich die bunt zusammengewürfelte Gruppe, die aus der Vergangenheit lernen möchte, aber einfach nicht die Lösung findet, bekannte Fehler in der Zukunft zu vermeiden, auf einen unheilvollen Roadtrip.
Kein Entrinnen aus der Endlosschleife von Gewalt
Jason tastet sich, begleitet von den Schatten aus der Vergangenheit, immer tiefer in den Strudel der Geschichte vor, wechselweise unterstützt und irritiert von seinen drei Begleitern, die unterschiedliche Ziele zu verfolgen scheinen. Immer wieder blitzen Parallelen zu antiken Mythen auf, die Geschichte scheint wie eine Endlosschleife aus Gewalt und Verderben. Wertheimers Text bleibt dabei oft verrätselt wie fragmentarisch und führt den Protagonisten unweigerlich an jenen Punkt, "an dem alles wieder explodiert". Es ist der 7. Oktober 2023, Israel wird von der Hamas angegriffen. Und das Leid nimmt einen neuen Anlauf.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R VI C E - "Die realen Geister" von Guido Wertheimer, Uraufführung am Schauspielhaus Wien. Regie: Stephan Kimmig, Bühne und Kostüme: Sigi Colpe, Musik: Scharmien Zandi, Video: Maximilian Wigger. Mit Iris Becher, Florentine Krafft, Kaspar Locher und Maximilian Thienen. Weitere Termine: 1., 11., 12., 13. und 15. Februar sowie am 1., 3., 4. und 5. April. www.schauspielhaus.at)
Zusammenfassung
- Guido Wertheimers Stück 'Die realen Geister' wird am Schauspielhaus Wien uraufgeführt und thematisiert die Suche nach den Geistern jüdischer Vorfahren in einer von Gewalt geprägten Welt.
- Die Inszenierung durch Stephan Kimmig verbindet antike Mythen mit aktuellen Konflikten und endet mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.
- Das Stück wird an mehreren Terminen im Februar und April aufgeführt und lädt das Publikum ein, über die Endlosschleife der Gewalt nachzudenken.