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Regisseur Terry Gilliam hasst "die Verrücktheit da draußen"

Als Teil der Komikergruppe Monty Python prägte er das Humorverständnis einer ganzen Generation, später drückte er Hollywood mit schrägen Filmen wie "12 Monkeys" oder "Fear and Loathing in Las Vegas" seinen Stempel auf: Kultregisseur Terry Gilliam hat sich noch nie um Erwartungshaltungen oder Trends geschert. Das hat sich auch kurz vor seinem 83. Geburtstag nicht geändert, wie sich im APA-Gespräch anlässlich einer Retrospektive im Wiener Gartenbaukino zeigt.

APA: Herr Gilliam, wenn Sie Ihr filmisches Werk in so geballter Form präsentiert sehen, was ist da Ihr erster Gedanke?

Terry Gilliam: Mein erster Gedanke ist: Wer hat diese Filme gemacht? Irgendjemand muss in meinem Leben ziemlich fleißig gewesen sein. (lacht) Es ist ein Schock, dass ich das bereits seit fast einem halben Jahrhundert tue. Ich wünschte, ich hätte mehr gedreht.

APA: Wie ist es, Ihre alten Arbeiten wieder zu sehen?

Gilliam: Normalerweise schaue ich mir meine Filme nicht an, wenn sie abgedreht sind. Mir ist es lieber, Jahre später zu ihnen zurückzukommen und sie wie eine andere Person zu sehen, die sie zum ersten Mal entdeckt. Das habe ich zuletzt ein paar Mal gemacht, und ich bin ehrlich gesagt beeindruckt von einigen Sachen. (lacht) Jene Arbeiten, die wirklich schmerzhaft zu drehen waren, kann ich nur schwer genießen, weil diese Erinnerungen zurückkommen. Aber wir haben etwa eine 4K-Version von "Die Abenteuer des Baron Münchhausen" gemacht, den ich lange nicht gesehen habe. Das ist ein verdammt guter Film! Dabei sehe ich normalerweise nur die Fehler in meinen alten Arbeiten. Es gibt aber keinen Film, für den ich mich schämen würde.

APA: Ihre Filme sind stets in der Grenzregion von Realität und Traum, manchmal Albtraum, angesiedelt. Was ist an diesem Zustand so besonders?

Gilliam: Es ist eine gesunde Art, dein Leben zu führen. Du brauchst Träume, aber verliere dich nicht zu sehr in ihnen - sonst wirst du vom Bus erwischt, wenn du beim Überqueren der Straße nicht auf beide Seiten schaust! Diese Spannung zwischen Fantasie und Träumen einerseits sowie der Realität andererseits macht das Leben erst interessant.

APA: Einen Film zu drehen, ist harte Arbeit, und zwar in vielerlei Hinsicht. An "The Man Who Killed Don Quixote" haben Sie beinahe 30 Jahre gearbeitet. War dessen Fertigstellung 2018 vielleicht Ihr größter Erfolg?

Gilliam: Ich denke nicht, es ist einfach ein weiterer Film, den ich gemacht habe - es hat nur sehr lange gedauert. (lacht) Frustrierend waren hingegen die Kritiker, die gefragt haben: War das 30 Jahre seines Lebens wert? Die Antwort lautet natürlich: Nein! Eigentlich war es wie eine Operation, bei der mir ein Tumor entfernt wurde. Dieses Projekt hat so viel Platz in meinem Leben eingenommen. Dabei spiegelt der Prozess genau das wieder, worum es in "Don Quijote" geht. Das Buch handelt ja nicht von Träumen, sondern seiner noblen Idee der Welt, nur wird er von der Realität immer wieder auf den Boden geworfen. Aber er steht jedes Mal wieder auf. Genau diese Erfahrung musste ich auch machen.

APA: Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis: nie aufzugeben und sich nicht unterkriegen zu lassen?

Gilliam: Arbeitest du an einem Film, dann hoffst du natürlich, dass alle Beteiligten deine Vision teilen. Aber manchmal haben sie ganz andere Vorstellungen. Oft sind das jene Menschen, die sich in einer Machtposition befinden. Nun gut, dann muss ich in den Krieg ziehen! Ich muss dafür kämpfen, und zwar nicht nur um meinetwillen, sondern für die Schauspieler, die Setdesigner, die Techniker - alle, die den Film ermöglicht haben. Meine Einstellung ist: Wir haben einen Film gemacht, versaut das jetzt nicht!

APA: In Ihren 2015 erschienenen Memoiren "Gilliamesque" beschreiben Sie Ihren Weg vom Cartoonisten zum Komiker und Filmemacher, von den USA nach England. Waren all diese Schritte essenziell für den Künstler Terry Gilliam, wie wir ihn heute kennen?

Gilliam: Ob essenziell oder nicht, diese Schritte gab es einfach. (lacht) Ich hatte eigentlich nie eine Karriere, so bin ich mein Leben nicht angegangen. Die Hälfte der Zeit wusste ich nicht, was ich eigentlich tun wollte. Entweder hat der Wind mich in die eine Richtung geblasen, oder es hat sich irgendwo eine Tür geöffnet. "Oh, das schaut interessant aus, da gehe ich mal durch!" So war es schon immer. Letztlich wollte ich mich einfach überraschen.

APA: Sie beschreiben in Ihrem Buch auch die vibrierende Atmosphäre der 60er- und 70er-Jahre, die zu vielen gesellschaftlichen Veränderungen geführt hat. Was denken Sie, wenn Sie sich den Zustand unserer Welt heute anschauen?

Gilliam: Die Welt ist langweilig geworden, alles wird immer restriktiver. Schauen Sie sich nur die sogenannten Aktivisten an! Ich bin kein Aktivist, ich bin ein Inaktivist. Viele Menschen sind sehr wütend, sie sind aber nicht wirklich intelligent. Sie schreien über die Geschichte, aber es ist zu spät - man kann die Geschichte nicht ändern. Dabei wissen sie nicht mal, worüber sie eigentlich sprechen. Sie sagen nur: Kolonialismus ist schlecht, Ende des Gesprächs. Nein. Es ist gibt gute Aspekte des Kolonialismus und schreckliche Aspekte, das ist einfach die Realität. Die Ansichten dieser Menschen sind sehr eng gefasst, dabei verwenden sie Wörter wie inklusiv. Aber wenn sie sagen "Ich habe recht, alle anderen liegen falsch", dann ist das nicht sehr inklusiv.

APA: Dann gehe ich davon aus, dass Sie Ihre Ansichten zu #MeToo, die vor einigen Jahren für Kontroversen sorgten, nicht geändert haben?

Gilliam: Nein. Das ist einfach ein hysterischer Mob geworden. Einige Leute, die keine schlechten Menschen sind, sich aber vielleicht irritierend verhalten haben, haben deswegen ihre Jobs verloren. Das reicht aber nicht. Harvey Weinstein ist ein Monster, das habe ich schon immer gesagt. Aber es gab auch andere. John Lasseter von Pixar hat seinen Job verloren, weil er offenbar zu viel umarmt hat. Umarmen ist kein Verbrechen, das ist kein sexueller Übergriff. Es ist vielleicht lästig, aber mehr nicht. Und das Leben ist voller lästiger Menschen, damit muss man zurechtkommen, ohne gleich eine Hexenjagd anzuzetteln.

APA: 2006 haben Sie Ihre US-Staatsbürgerschaft abgegeben. Ein Grund dafür war die Präsidentschaft von George W. Bush. Nun könnte im nächsten Wahlkampf Präsident Joe Biden gegen Donald Trump antreten. Wie sehen Sie die Situation in Ihrer alten Heimat?

Gilliam: Ich habe nichts mehr damit zu tun! Ich wasche meine Hände in Unschuld, genau wie Pontius Pilatus. (lacht) Es ist natürlich verrückt. Wenn Trump tatsächlich der republikanische Präsidentschaftskandidat wird, ist das doch lächerlich, weil er viele der derzeit gegen ihn laufenden Gerichtsverhandlungen verlieren wird. Er ist ein sehr gefährlicher Mensch. Biden hat unterdessen einen halbwegs anständigen Job gemacht, bekommt aber zu wenig Anerkennung dafür.

APA: Kommen wir abschließend zurück zum Film: Arbeiten Sie aktuell an einem neuen Projekt?

Gilliam: Ich habe ein Drehbuch mit dem Titel "Carnival at the End of Days". Gott entscheidet sich darin, die Menschheit auszulöschen, weil sie seinen wunderschönen Garten Erde ruiniert hat. Eine einfache Geschichte, eine Komödie. (lacht) Es herrscht einfach eine Verrücktheit da draußen. In den 60ern beispielsweise haben die Leute neue Dinge entdeckt, haben neue Lebensweisen ausprobiert, es war ein großes Wow. Heute ist es genau das Gegenteil, alles wird enger. Und ich hasse es. Es ist erschreckend, wenn junge Menschen heute nicht mehr wissen, was der Holocaust ist. Die Geschichte sollte für alle offenkundig sein. Wie hat es Mark Twain gesagt? "Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich."

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  • Als Teil der Komikergruppe Monty Python prägte er das Humorverständnis einer ganzen Generation, später drückte er Hollywood mit schrägen Filmen wie "12 Monkeys" oder "Fear and Loathing in Las Vegas" seinen Stempel auf: Kultregisseur Terry Gilliam hat sich noch nie um Erwartungshaltungen oder Trends geschert. Das hat sich auch kurz vor seinem 83. Geburtstag nicht geändert, wie sich im APA-Gespräch anlässlich einer Retrospektive im Wiener Gartenbaukino zeigt.