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"Stammzellen": In neuem Roman werden Menschen zu Bäumen

23. März 2025 · Lesedauer 4 min

Dendrose und Klimadendron: Zwei Begriffe führt die Autorin Alina Lindermuth in ihrem Buch "Stammzellen" ein. Einer ist ein medizinischer, der andere ein botanischer. Beide sind Erfindungen, die ordentlich Sprengstoff in sich tragen. Dendrose bezeichnet die allmähliche Baum-Werdung von Menschen, die sich pandemieartig über die Welt verbreitet, Klimadendron das, was die Wissenschaft dazu herausfindet: Das irritierende Phänomen hat mit menschlichen Eingriffen ins Klima zu tun.

Sie wollte "versuchen, die Größe der Klimakatastrophe begreifbar zu machen", hat die 32-jährige in Wien lebende Villacherin, die ihren dritten Roman am Montag im Wiener Café Central vorstellt, im Gespräch mit der APA bekannt. "Mein Anspruch war es, die Gefahren erlebbar zu machen. Die Metamorphose von Mensch zu Baum vermittelt für mich dieses Gefühl." In "Stammzellen" geht es also um die Bedrohung der gesamten menschlichen Existenz - im Kleinen wie im Großen.

Beide Aspekte versucht Lindermuth in ihrem Roman einzufangen. Ihre Hauptfigur Ronja ist eine junge Ärztin in einer Kleinstadt namens Farnburg, die sich freiwillig in ein multidisziplinäres "Dendro-Team" gemeldet hat, das zur Betreuung von an Dendrose erkrankten Menschen und ihren Angehörigen in die Häuser kommt. Beratung steht dabei im Vordergrund, von Behandlung kann keine Rede sein: Es gibt keinerlei gesicherte Erkenntnisse darüber, was die Krankheit auslöst und wie sie bekämpft werden könnte.

Ronja verliebt sich in den Sprachwissenschafter Elio, der sich mit Sprichwörtern befasst, wird Teil seiner Familie und beginnt sich häuslich einzurichten. Über allem schwebt die ständige Angst, es könnte auch ein Familienmitglied von der rätselhaften Krankheit befallen werden. Oder gar man selbst. Ronja spürt immer wieder ein Kribbeln in den Füßen und reagiert mit Panik. Eine in der weltweit unter Hochdruck angelaufenen Dendrose-Forschung tätige Freundin beruhigt sie - und versorgt sie mit den neuesten Erkenntnissen der Forschungs-Community.

Private Auswirkungen statt philosophische Betrachtungen

In diesen Passagen scheint sich Lindermuth die medizinische Forschung in der Corona-Krise zum Vorbild zu nehmen. Und tatsächlich ergibt die Zusammenführung und Auswertung weltweit gesammelter riesiger Datenmengen einige Korrelationen: Dendrosen treten dort auf, wo die Menschen die Natur besonders aus dem Lot gebracht haben. "Stammzellen" geht es aber nur am Rande um gesellschaftliche Schuldzuweisungen oder philosophische Betrachtungen. Es geht nicht um die Frage, ob die Natur nun zurückschlägt, sich an den Menschen für ihre Ausbeutung rächt, sondern um konkrete Auswirkungen dieses Schreckensszenarios. Deswegen rückt die Autorin die Krise ganz nahe an ihre Hauptfiguren heran.

Ronja und Elio bekommen ein Kind. Tochter Hedi gilt ihre ganze Liebe. Eines Tages entdeckt die Mutter zwischen den Zehen der Kleinen eine raue Stelle. Trockene Haut oder erste Anzeichen für eine Verholzung? Nach etlichen medizinischen Tests steht fest: Die schlimmsten Befürchtungen treffen ein. Die weltweite Katastrophe trifft das Paar exakt in dem Moment, in dem die medizinische Forschung erste Schritte für künftige Gegenmaßnahmen und Therapien in Aussicht nimmt. Für Hedi kommt dies alles zu spät. Ihre Metamorphose ist nicht aufzuhalten. Sie wird künftig nicht im Kinderzimmer spielen, sondern im Garten stehen. Als wohl behüteter Baum.

Einpflanzung statt Begräbnis

Gerade dort, wo die Geschichte völlig durchgeknallt klingt, nach auf Speed geschriebener Science-Fiction, überzeugt "Stammzellen" am meisten. Das junge Paar, das trotz einiger Verschiedenheiten zusammengefunden hat, muss sich einer extremen emotionalen Herausforderung stellen. Die Einpflanzung des Tochter-Bäumchens in den Garten gleicht einem Begräbnis. Und wie bei jedem Abschied gehen die Betroffenen sehr unterschiedlich damit um.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Alina Lindermuth: "Stammzellen", Kremayr & Scheriau, 272 Seiten, 25 Euro, Buchpräsentation am Montag, 24. März, 19 Uhr, im Café Central, Wien 1., Herrengasse 14, Moderation: Nicole Kiefer, https://alinalindermuth.at)

Zusammenfassung
  • Alina Lindermuths neuer Roman 'Stammzellen' behandelt die Verwandlung von Menschen in Bäume, ein Phänomen, das als Dendrose bezeichnet wird und sich pandemieartig ausbreitet.
  • Die Hauptfigur Ronja, eine Ärztin, erlebt die persönliche Tragödie, als ihre Tochter Hedi erste Anzeichen der Dendrose zeigt und schließlich zum Baum wird.
  • Der Roman konzentriert sich auf die emotionalen Auswirkungen der Krankheit und die Herausforderungen, denen sich die betroffenen Familien stellen müssen.