Nöstlingers "Konrad" als Theater-Anleitung zur Ungezogenheit
Ein grantiger Postler hievt ein 40-Kilo-Paket in die Wohnung der quirlig-chaotischen Frau Berti Bartolotti. "Das Schicksal läutete an der Tür" - liefert der Bote doch ein "Instant-Kind" in einer Konservenbüchse bei der notorischen Produktbestellerin ab, die sich an diese potenziell lebensverändernde Order jedoch gar nicht erinnern kann. Ist der siebenjährige Bub erst einmal mit Nährlösung besprüht, entpuppt er sich im Gegensatz zu Bertis Apartment als erstaunlich aufgeräumt.
Sogleich findet nicht nur die anfangs selbst für Kindertheater-Verhältnisse ein Stück weit überaufgezuckerte Nachbarstochter Kitty (Shirina Granmayeh) Gefallen an dem Buben. Auch Bertis Teilzeitpartner, der konservativ-steife Apotheker Egon (Valentin Späth), drängt forsch in die Rolle des Vaters des angepassten, wohlerzogenen und überdies gescheiten Buben.
Verkörpert wird Konrad von Stefan Rosenthal, der zu Beginn oftmals zu betonen hat, wie man ihm in der Fabrik, in der er kreiert wurde, beigebracht hat, wie sich ein Siebenjähriger zu verhalten hat. Dass sich ein erwachsener Darsteller so offensiv als kleiner Bub bezeichnet, um sich dann vielfach deutlich reifer zu verhalten als seine Zufallseltern, verlangt dem Betrachter doch ein wenig Eingewöhnungszeit ab.
Die verkürzt allerdings Ursula Anna Baumgartner als Frau Bartolotti gekonnt: Vor allem durch sie strömt der Schmäh der 2018 verstorbenen Übermutter der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur, Christine Nöstlinger. Deren "Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" ist im Jahr 1975 in Buchform erschienen. Die stets unangepasste Autorin findet man auf einem kleinen Bild an der Wohnzimmerwand von Berti ebenso, wie etwa Elfriede Jelinek oder die junge Nina Hagen. Berti Bartolotti darf in der Fassung von Britta Kampert und Yüksel Yolcu - der auch für die Regie verantwortlich zeichnet - reichlich impulsiv, unorthodox und freizügig mit Schimpfworten agieren.
Das gefällt freilich nicht nur den jüngeren Besuchern der ab sechs Jahren empfohlenen Produktion. Letztlich gerät das Stück zu einer Art Instant-Familienaufstellung, in der die zusammengewürfelte Truppe in Kurzzeit mehr oder weniger alle Wachstumsschmerzen durchläuft, für das ein Familiensystem sonst viele Jahre Zeit hat. Das geschieht in der mit Pause rund zweistündigen Aufführung mit viel Geschrei und Witz. Der Gezerre um den liebenswerten Konrad, in den jeder seine Weltsicht hineinprojiziert, findet erst ein Ende, als der Entzug des Buben durch die Erzeugerfirma droht.
Die mit Fortdauer des rasant-lauten Stückes deutlich besser eingegroovte Granmayeh als Kitty schreitet zur Tat und hilft dem braven Konrad beim Entwickeln seiner Ecken und Kanten. Dass diese jedem Kind gut tun, ist ein wiederkehrendes Thema in Nöstlingers Werk. Dass sich davon auch ältere Kinder und vor allem Erwachsene viel abschneiden können, wird auch auf der von Ulv Jakobsen ausgestatteten Bühne im Renaissancetheater deutlich spürbar.
(S E R V I C E - "Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" von Christine Nöstlinger im Wiener Renaissancetheater, Neubaugasse 36, 1070 Wien. Fassung: Britta Kampert und Yüksel Yolcu. Regie: Yüksel Yolcu. Mit Stefan Rosenthal, Shirina Granmayeh, Ursula Anna Baumgartner, Valentin Späth u.a. Termine bis 24. Juni. www.tdj.at)
Zusammenfassung
- Konrad kennt keine Schimpfwörter und kann keine Streiche spielen - warum sich das ändern muss, lässt sich an einem flott gestalteten Abend im Rahmen des Theaters der Jugend mitverfolgen.
- Im Wiener Renaissancetheater gerät Christine Nöstlingers "Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" zu einem lauten Plädoyer für die Unangepasstheit.
- Deren "Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" ist im Jahr 1975 in Buchform erschienen.