Regisseur Tykwer: "Unser Job ist, die Schönheit zu retten!"
APA: Sie waren nun fast zehn Jahre gänzlich im Serienuniversum von "Babylon Berlin" abgetaucht. Viele hatten schon Angst, dass das Kino Sie verloren hat...
Tom Tykwer: Wenn man ernsthaft eine Serie dreht, kommt man an der Tatsache nicht vorbei, dass das Jahre dauert. Das ist, wie wenn man einen Roman schreibt - da ist man auch länger verhaftet, als wenn man einen Band mit Kurzgeschichten herausbringt. Aber ich hatte tatsächlich nicht richtig eingeschätzt, was das bedeutet, als wir anfingen, "Babylon Berlin" zu entwickeln. Insgesamt beschäftigt mich das Ganze jetzt schon zwölf Jahre.
APA: Und Sie sind der "Babylon"-Welt nie überdrüssig geworden?
Tykwer: Man wird ein krasser Fachidiot und ist wie gefangen in einem Kosmos. Dabei bin ich eigentlich jemand, der mit jedem Projekt gerne zu neuen Orten und Themen aufbricht, denn aus seiner Haut kommt man ja eh nicht heraus. Und im Falle von "Babylon Berlin" ist es so, dass man immer in den 1930ern in derselben Stadt mit demselben Personal ist - nur halt immer ein Jahr später. Ich habe lernen müssen, das zu umarmen. Aber einen fünfzigstündigen Film zu machen, ist ja auch schön. Heute ist das eine zentrale Säule in meiner Arbeit.
Teilnahme an der Kino-Renaissance
APA: Weshalb nun aber doch wieder die Rückkehr zum Kino?
Tykwer: Ich wollte schon so lange wieder zurück zum Kino, weil das Kino ja eine Renaissance feiert und auch das künstlerische Kino wieder da ist. Und ich wollte so gerne mal wieder von uns reden und nicht von der Generation meiner Großeltern. Wir bewegen uns alle am Rande der Überforderung und wissen nicht, wie wir mit der chaotischen und angestrengten Gegenwart umgehen sollen.
APA: Haben Sie hier vom Format der Serie gelernt?
Tykwer: Beide Formen befruchten sich gegenseitig. Wir haben durch die Serien das serielle Erzählen gelernt und können in einer Erzählung abbiegen, auf einer Nebenfigur verharren. Das ist ein unheimlicher Gewinn, und das Kino kann wieder mehr riskieren.
APA: "Das Licht" beinhaltet nun praktisch alle großen Fragen unserer Gegenwart. Ist der Film für Sie Ihr Opus magnum?
Tykwer: Das habe ich mir zumindest nicht vorgenommen. Ich wollte einen Gegenwartsfilm machen, der einbezieht, wie wir - die komischen Bewohner von Westeuropa - es aushalten im Heute. Das geht nicht ohne eine Vielstimmigkeit und eine breite thematische Aufstellung. Wir werden bombardiert von einem Dutzend akuter Konflikte. Das habe ich so noch nie erlebt in meinem Leben. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass sich das Karussell dieser Erde so schnell und zugleich so eng an uns gebunden dreht. Und dem sind wir ausgeliefert - es sei denn, wir beschäftigen uns damit und machen etwas daraus.
Vom Kleinen zum Großen
APA: Diesen holistischen Ansatz entwickeln Sie aus dem absoluten Nukleus der Kleinfamilie heraus. Stand die Beschäftigung mit diesen Individuen für Sie am Anfang?
Tykwer: Der Nukleus Familie scheint ein geschlossenes System zu sein. Aber darin sind alle in ihrem eigenen Tunnelsystem und Lichtjahre voneinander entfernt. Wenn es darum geht, diese Fragilität der Gegenwart aufrichtig zu erzählen, muss man aus dem Persönlichen schöpfen. Und ich habe eine Familie und Kinder, die jetzt erwachsen werden und beginnen, Kassensturz zu machen. Sie zeigen uns, was wir hinterlassen haben und sind damit alles andere als zufrieden. Diesen Konflikt erlebe ich selber und kann ihn deshalb wohl auch glaubhaft erzählen. Ich fühle mich allen Charakteren nah und kann mich auf deren Subjektivität einlassen. Ich verstehe auch die Wut der jungen Leute.
APA: Weil sich die Generationen heute nicht mehr so fern sind wie früher?
Tykwer: Wir sind in einer offenen Lebenskultur großgeworden und haben das an unsere Kinder weitergegeben. Deshalb gibt es ein anderes Band, das uns verbindet. Es gibt ein näheres Verständnis, umso direkter sind aber die Vorwürfe: Wir durchschauen Euch und wissen, Ihr habt Chancen verspielt, die Ihr nicht hättet verspielen dürfen. Und diese Position ist profund und damit viel schmerzhafter.
APA: Der Weg, wie sich die Menschen in Ihrem Film wieder öffnen, führt über eine Licht-Apparatur. Welche Funktion hat das Gerät in Ihren Augen?
Tykwer: Das ist letztlich eine neue Form der Lichttherapie, die ich kennengelernt habe. Da wird eine spirituelle Erfahrungsdimension mit einem Hightech-Gerät verbunden. Und genau das ist für mich auch das Kino. Es ist eine Hightech-Lichtmaschine, die hochemotionale Prozesse in Gang setzt. Insofern ist die Apparatur im Film ein Spiegel des Kinos.
Regen als Metapher
APA: Sie zeigen als Wahlberliner Berlin im Dauerregen. Ein idyllischer Blick auf Ihre Heimat hat Sie nicht gereizt?
Tykwer: Regen ist ja etwas sehr Schönes und ein extrem filmisches Element. Überdies ist Wasser das zentrale Element des Films: Wir stehen im Regen und müssen uns einen Weg durchs Wasser bahnen. Vielleicht gehen wir unter. Die Welt taumelt am Abgrund, hat aber noch alle Chancen. Wir müssen einander nur wieder zuhören und nicht in unseren Tunneln feststecken. Die Industrie will das natürlich nicht, weil wir dort die besten Konsumenten sind.
APA: Was sich auch in "Das Licht" wie in all Ihren Filmen findet, sind poetische Momente, ein zumindest kurzer Blick in andere Realitäten. Entspricht das Ihrer Weltsicht?
Tykwer: Das ist das Kino. Dafür ist es da. Wenn man jemand wirklich porträtieren will, musst du überprüfen, was das Kino dazu beitragen kann. Das muss mehr sein als nur eine Dialogszene - das ist der Standard. Ich will Menschen mit filmischen Mitteln auf die Spur kommen.
Job: Schönheit retten
APA: Ungeachtet aller schonungsloser Entlarvung unserer Gegenwart endet "Das Licht" dennoch positiv. Sind Sie selbst Optimist?
Tykwer: Pessimistische Kunst ist nichts für mich und irgendwie auch keine Kunst. Kunstproduktion per se ist ein optimistischer Akt. Man will doch etwas Schönes stiften. Deswegen ist es bizarr, eine Geschichte zu erzählen, die hoffnungslos endet. Ich könnte mich an keinen Film erinnern, dem ich das nicht übelgenommen hätte. Es gibt natürlich Dramen, die tragisch enden. Aber auch das hat für mich nur eine Gültigkeit, wenn dahinter die Sehnsucht nach der anderen Alternative schreit. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von Leuten, die mir sagen: Es hat alles keinen Sinn. Es ist unser Job, die Schönheit zu retten!
Zusammenfassung
- Tom Tykwer, 59, kehrt nach fast zehn Jahren Serienarbeit mit 'Babylon Berlin' zurück ins Kino.
- Sein neues Werk 'Das Licht', das die Berlinale eröffnete, behandelt aktuelle gesellschaftliche Themen.
- Tykwer sieht das Kino in einer Renaissance und möchte die chaotische Gegenwart darstellen.
- Eine Licht-Apparatur im Film symbolisiert die transformative Kraft des Kinos.
- Tykwer betont, dass Kunst die Schönheit retten soll und sieht Optimismus als zentralen Bestandteil.