Musik und Übertitel: "All right. Good night" im Volkstheater
"All right. Good night." ist eine Koproduktion von Rimini Protokoll mit dem HAU Hebbel am Ufer (Berlin), The Factory Manchester, Künstlerhaus Mousonturm, PACT Zollverein und dem Volkstheater Wien, die im Dezember in Berlin Premiere hatte und seither viele Einladungen erhalten hat - zum Berliner Theatertreffen, wo die zehn "bemerkenswertesten" Produktionen des deutschsprachigen Raums gastieren, ebenso wie zum Impulse Theater Festival, der Leistungsschau der Freien Szene, und zu den Mülheimer Theatertagen, wo neue Stücke im Zentrum stehen. Die Erwartungen für das gerade einmal zweitägige Wien-Antreten waren also außergewöhnlich hoch. Und außergewöhnlich sind diese 140 pausenlosen Minuten tatsächlich. Aber nicht restlos überzeugend.
Mit herkömmlichem Theater hat der Abend nichts zu tun. Das ist schon mal gut. Zu Beginn sieht man eine Gruppe junger Menschen in einer Warteschlange, offensichtlich auf ihr Boarding wartend. Gut, dass sie nicht wirklich an Bord gehen. Denn der Flug MH370 wird sein Ziel niemals erreichen und nach etwas mehr als 39 Minuten von den Radarschirmen verschwinden. Die letzten Worte des Piloten sollen "All right. Good night." gewesen sein (was später wieder dementiert wurde). Die Wartenden entpuppen sich als Mitglieder des Zafraan Ensembles. Nach dem Eröffnungsbild werden sie ihre Instrumente auspacken: Kontrabass, Klarinette, Geige, Saxophon und Percussion. Sie beginnen zu spielen. Der Text kommt fast ausschließlich über Projektionen (und für kurze Passagen vom Tonband). Gespielt wird nur ansatzweise und das stumm. "All right. Good night." ist ein Konzert mit Übertiteln.
Die Komposition von Barbara Morgenstern nimmt gefangen und gleicht einem modernen Requiem. Sie ist über weite Strecken kontemplativ, wird mitunter dramatisch und nimmt einen mit auf eine seltsame Reise, auf einen Schwebezustand, in dem herkömmliche harte Fakten nur noch geringen Wert haben. Denn wo sich Flugzeug und Passagiere tatsächlich befinden, wird lange ein Rätsel bleiben, und selbst als lange nach dem Unfall erste Wrackteile an weit entfernten Küsten angeschwemmt werden, wird das Rätseln um Ort und Hergang des Unfalls weitergehen. In Deutschland lösen sich unterdessen die Gewissheiten im Gedächtnis eines älteren Mannes zunehmend auf. Momente der Klarheit wechseln mit Phasen der Unsicherheit. Auch hier geht die Greifbarkeit eines Lebens zunehmend verloren.
Der ruhige, ganz unaufgeregt erzählende Text von Helgard Haug versteht es, die beiden sehr verschiedenen Fakten- und Erzählstränge eng miteinander zu verflechten, kleine Irritationen und Kipppunkte einkalkulierend. In acht "Jahre" genannte Kapitel gegliedert, wird langsam Abschied genommen. Die Schwerpunkte verschieben sich dabei, da die Flugzeugkatastrophe und die weltweite Suche nach dem Wrack (auch "der Vater" fühlt sich immer wieder als ein solches) das erste Jahr und die kursierenden Verschwörungstheorien das zweite Jahr dominieren, während die sich immer deutlicher abzeichnende Demenz des Vaters in der Folge in den Vordergrund rückt.
Die szenischen Vorgänge sind dabei minimal. Kleine Umbauten. Sand wird aufgeschüttet, Wellen werden projiziert, die Musiker und die beiden Helping Hands liegen zwischendurch am Strand. Am Eindrucksvollsten ist das spielerische Variieren der Größe der projizierten Texte und das ebenfalls über Projektionen bewerkstelligte "Vorbeiflanieren" des restlichen Orchesters. Hier greift momentweise auch ein Theaterzauber.
Ansonsten gibt es wenig zum Schauen und viel zum Lesen. Die Zuschauer sind vor allem als Mitlesende gefordert. Das originelle Prinzip des Abends hat man bald durchschaut. Doch bis die Demenz-WG bezogen und die Pandemie gekommen ist, dauert es lange, sehr lange. In der Wirklichkeit wie auf der Bühne. Der siebente Jahrestag des Verschwindens wird online begangen. Der Vater wird mit Schutzkleidung und Schutzbrillen besucht. Liest man. Und auch: "Es sieht nicht gut aus. Alles. Nicht."
(S E R V I C E - "All right. Good night." von Helgard Haug (Rimini Protokoll) mit Musik von Barbara Morgenstern in Zusammenarbeit mit dem Zafraan Ensemble. Konzept, Text, Regie: Helgard Haug. Bühne: Evi Bauer. Live-Musik: Matthias Badczong (Klarinette), Evi Filippou (Percussion), Josa Gerhard (Violine), Martin Posegga (Saxofon) und Beltane Ruiz (Kontrabass). Hands: Johannes Benecke und Mia Rainprechter. Die Inszenierung ist noch heute, 31. März, 19.30 Uhr, im Volkstheater Wien zu sehen. www.volkstheater.at)
Zusammenfassung
- Gut, dass sie nicht wirklich an Bord gehen.
- In acht "Jahre" genannte Kapitel gegliedert, wird langsam Abschied genommen.
- Am Eindrucksvollsten ist das spielerische Variieren der Größe der projizierten Texte und das ebenfalls über Projektionen bewerkstelligte "Vorbeiflanieren" des restlichen Orchesters.
- Ansonsten gibt es wenig zum Schauen und viel zum Lesen.
- Die Inszenierung ist noch heute, 31. März, 19.30 Uhr, im Volkstheater Wien zu sehen.