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metoo-Verhandlung: Kammerspiele zeigen "Der zerbrochne Krug"

Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" gilt als das populärste deutsche Lustspiel. Es ist Gerichtsdrama und Geschichte eines mehrfachen Machtmissbrauchs, bietet eine außergewöhnliche Sprache und feine Rollen. Deshalb wird das Stück über 200 Jahre nach seiner Uraufführung noch immer viel gespielt. So wie am Samstag in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt hat man es aber noch nie gesehen. Regisseurin Amelie Niermeyer hatte viele Ideen. Nicht alle waren gut.

Bühnenbildnerin Stefanie Seitz hat den Zuschauerraum auf die Bühne weitergezogen und zitiert dort Wandfarbe und Gewölbebogen. Dieser Raum ist Arbeits-, Wohn- und Verhandlungszimmer in einem. Ein Gerichtssaal sieht anders aus, aber wir sind ja auch in Huisum, wie der Dorfrichter Adam und die übrige Bevölkerung dem zur Inspektion angereisten Gerichtsrat Walter mehrfach nachdrücklich versichern. Pardon: Gerichtsrätin Walter, denn diesfalls ist es eine Frau. Sandra Cervik ist kostümiert, als ginge sie auf Safari. Doch statt Tropenhelm trägt sie aufgesetzte Jovialität. Sie wird eines Besseren belehrt: Adam ist nicht mehr zu helfen.

Der hat sich nämlich just am Vorabend einen Fehltritt geleistet und wird nicht nur von zwei schmerzhaften Kopfwunden, sondern auch von Traumgestalten geplagt, die an die Dorfbewohner erinnern. Für diese Albtraumsequenzen tragen die Spieler Puppenköpfe mit ihren vergröberten Gesichtszügen - doch nicht nur Adam, sondern auch Eve wird von diesen Erscheinungen verfolgt. Das dunkle Geheimnis, das die beiden miteinander teilen, steht im Zentrum des Stücks und auch der Gerichtsverhandlung: Wer den Krug zerbrach, der auf dem Fensterbrett in Eves Kammer stand, raubte ihr mutmaßlich auch die Ehre.

Robert Joseph Bartl ist schon vom Habitus her eine deckende Rollenbesetzung, ansatzlos wechselt er von herrisch zu unterwürfig, von verschlagen zu naiv. Josefstadt-Neuzugang Juliette Larat als junges Mädchen, das mit der Möglichkeit, den Stellungsbefehl des Bräutigams zu manipulieren, gefügig gemacht werden soll, hat in diesem Setting, in dem die Scherben des zerbrochenen Krugs auf teils abenteuerliche Art wieder zusammengekleistert werden, wenig Gelegenheit zu brillieren. Ihre stille Verzweiflung geht unter in dem Wirbel, der von Niermeyer über weite Strecken erzeugt wird.

Alexander Absenger hat als Schreiber Licht, an sich ein zurückhaltender Karrierist, der auf seine Chance wartet, offenbar Speed genommen und bedient die Slapstick-Spur des Abends am stärksten. Zwischendurch darf er das Protokoll dieser absurden Verhandlung, an der auch Ulli Maier als Frau Marthe, Nils Arztmann als Ruprecht und Ljubica Lupo Grujcic als dessen Vater teilnehmen, ins Computer-Keyboard hämmern.

Nach der an sich in dem Stück unüblichen (Verhandlungs-)Pause geht es mit dem Auftritt von Katharina Klar als Frau Brigitte direkt ins heutige #metoo-Geschehen. Sie liefert Adam mit ihrer Aussage und dem mitgebrachten Beweisstück ans Messer und ordnet das Geschehen in einem von Renate Aichinger getexteten Song eindeutig als Missbrauchsfall ein: "wieder ein fall / der sich einreiht lautlos / in euer system das auf erhalt / halt".

Solcherart ermutigt fasst sich auch Eve ein Herz und tritt in den Zeugenstand. Niermeyer hat sich für den von Kleist verworfenen längeren Schluss entschieden, in dem die Tat Adams klarer als üblich benannt wird. Nur über den genauen Hergang der entscheidenden zwei Minuten schweigt die junge Frau. Und Gerichtsrätin Walter bedauert: Für eine Verurteilung wird sie auch darüber reden müssen. Dem Premierenpublikum reichte es indes: Es spendete am Ende kräftigen Applaus.

(S E R V I C E - "Der zerbrochne Krug" von Heinrich von Kleist, Regie: Amélie Niermeyer, Bühnenbild; Stefanie Seitz, Kostüme: Christian Schmidt, Musik: Imre Lichtenberger Bozoki, Kammerspiele der Josefstadt, Nächste Vorstellungen: 10., 11., 14., 15.9., www.josefstadt.org)

ribbon Zusammenfassung
  • Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" gilt als das populärste deutsche Lustspiel.
  • Deshalb wird das Stück über 200 Jahre nach seiner Uraufführung noch immer viel gespielt.