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Endlich frei

505 Tage "Alptraum": Tal Shoham spricht über Hamas-Geiselhaft

Heute, 19:00 · Lesedauer 7 min

505 Tage lang bangte die Familie von Tal Shoham, der im Gazastreifen in Geiselhaft der Hamas war. Bei PULS 24 schildert der Israeli-Österreicher zum ersten Mal seit seiner Freilassung die grausamen Erfahrungen, die er in der Gewalt der Terrormiliz erlebte. Er verlor knapp 30 Kilo an Körpergewicht und kämpfte mit Infektionen.

Als "Horror" und "Alptraum" beschreibt der Israeli-Österreicher Tal Shoham, was ihm während seiner Geiselhaft im Gazastreifen widerfahren ist. 

Der 40-Jährige erzählt zum ersten seit seiner Freilassung am 22. Februar Medienvertretern und PULS 24 von seinen Erlebnissen. Er wirkt entschlossen, will lückenlos erzählen, wenngleich er vom Erlebten gezeichnet ist. Immer wieder bricht ihm die Stimme weg. 

Drei Generationen verschleppt 

505 Tage verbrachte Shoham in Geiselhaft der militant-islamistischen Terrororganisation Hamas. Am 7. Oktober 2023 fielen Terroristen in den Kibbuz Be'eri ein, wo auch die Familie Shoham lebte. Tal Shoham, seine Frau Adi und die Kinder, Adis Vater, Mutter, zwei Tanten und die Nichte wurden in den Gazastreifen verschleppt. Drei Generationen der jüdischen Familie. 

Tal ShohamIDF

Shoham wurde getrennt von seiner Familie entführt, erzählt er. Er wurde in ein Auto gebracht und hoffte nur, der Wagen werde nicht "gebombt". Er habe sich gesagt: "Tal, du bist nicht tot, sie haben dich verschleppt". 

"Ich hörte eine Menge 'Allahu Akbar' schreien. Da wusste ich, ich bin in Gaza", erinnert er sich. Auf einem Motorrad wurde er dann auf den Hauptstraßen einer jubelnden Menge vorgeführt. "Sie schrien: 'Jüdisches Schwein'", ehe er in Handschellen gelegt in eine Unterkunft gebracht wurde. 34 Tage lang wird er die Handschellen nicht ablegen. 

"Das war das Härteste, was ich je tun musste" 

Die Bedingungen, unter denen er festgehalten wurde, verschlechterten sich, je länger er in Geiselhaft war. In den ersten Wochen gab es kaum etwas zu essen, erzählt er.

"Sie brachten eine halbe Orange, drei Datteln oder ein paar Löffel von einer Avocado." Über das Vorgefallene wurde er im Dunkeln gelassen. Auch, ob seine Familie noch lebt, wusste er nicht. 

Als er einmal israelisches Radio hören durfte, erfuhr er vom Krieg. "Ab da wusste ich, ich bin nicht allein. Es gibt weitere Geiseln". 

Um sich auf das Schlimmste einzustellen, habe er sich vorgestellt, seine Familie nie wieder sehen zu können. "Ich habe immer durchgedacht, wie es sich anfühlen wird, wenn Adi und die Kinder tot sind", so Shoham. "Ich hab mir immer das Begräbnis vorgestellt. Das war das Härteste, was ich je tun musste", erzählt er. 

Frau und Kinder kamen nach 50 Tagen frei 

Nach 50 Tagen Geiselhaft gab ihm ein Kämpfer einen Brief von seiner Frau Adi. Darin erklärte sie ihm, dass sie und die Kinder ebenfalls verschleppt wurden, aber wohlauf seien. An jenem Tag wurden Adi und die Kinder freigelassen. "Das war die größte Erleichterung, dass sie am Leben sind", so Shoham. 

Er selbst wird ab diesem Zeitpunkt noch 455 weitere Tage in der Gewalt der Hamas verbringen müssen. Immer wieder wechselte die Hamas die Unterkunft Shohams. "Sie hänselten und schlugen uns", sagt er. Es war nur Flüstern erlaubt und die Geiseln bekamen arabische Namen. Aus Tal wurde "Moussa".

 

Video: Vater von Tal Shoham im Interview

8,5 Monate im 1-Meter-breiten Tunnel 

Etwa ein halbes Jahr nach der Verschleppung wurden er und weitere Geiseln zu einer Unterkunft gebracht, in der sie 8,5 Monate bis zu seiner Freilassung bleiben werden. "Mein Herz fiel mir in die Hose, als ich gemerkt habe, ich muss hierbleiben", beschreibt er es heute. Er und drei weitere Geiseln musste in einem unterirdischen Tunnel ausharren.

Ein bisschen mehr als ein Meter war der Tunnel breit, 1,8 Meter hoch und mit vier Matratzen auf dem Boden ausgelegt. Ein Loch im Boden diente als Toilette. "Es gab kein Sonnenlicht", so Shoham. 

Sie wussten nicht, welcher Tag war. Auch die Essensportionen wurden zusehends spärlicher. "Wir bekamen nur noch Reis. Wir nahmen weniger als 1.000 Kilokalorien zu uns". 

"Ich wog weniger als 50 Kilo" 

Aufgrund Vitamin-C-Mangels erkrankten Shoham und eine weitere Geisel im Tunnel an Skorbut. Seine Infektion im Bein wurde so gravierend, dass die Hamas sogar einen Arzt schickten. "Sie gaben uns Antibiotika und irgendwann Vitamin-Tabletten", so Shoham. Er konnte sich über einen Monat nicht bewegen, ehe die Vitamin-Tabletten wirkten. 

"Das war die Zeit, wo ich am schwächsten war. Ich wog wahrscheinlich weniger als 50 Kilo". Zu dem Zeitpunkt stand Shoham, unwissentlich, kurz vor der Freilassung.

Mehr als ein halbes Jahr kein Sonnenlicht

Im Februar dieses Jahres, 505 Tage nach der Verschleppung, wurden Shoham und die weiteren drei Geiseln über die Freilassung zweier Entführter im Zuge der Waffenruhe informiert. Aufgrund des gesundheitlichen Zustands war Shoham unter den Freizulassenden. 

Die anderen beiden mussten zurückbleiben. "Wir wissen noch immer nicht, wann sie freikommen", sagt Shoham, seine Stimme wird brüchiger. Die Reaktionen der Geiseln über die Nachricht wurden zu Propaganda-Zwecken stets gefilmt, sagt er. 

8,5 Monate lang hatten sie keine frische Luft gespürt, als sie erstmals den Tunnel verließen. "Uns wurden die Augen verbunden und wir wurden zu den anderen Geiseln gebracht", erzählt er ruhig. 

Am Tag seiner Freilassung durfte er mehr essen. Die Hamas habe bemerkt, dass ihnen die Bilder schwacher Geiseln schaden, so Shoham. Doch die grausamen Bedingungen, unter denen Shoham festgehalten wurde, konnten die Hamas-Terroristen bei der zynischen Bühneninszenierung, bei der die Geiseln präsentiert wurden, nicht verstecken. 

Die Bilder des sichtlich schwachen Shohams im Trainings-Anzug gingen um die Welt. Shoham erfuhr, dass drei seiner Familienmitglieder umgebracht wurden. Sein Schwiegervater und die Tante sowie der Onkel seiner Frau. Neun Familienmitglieder, einschließlich seiner Frau und den Kindern, überlebten.

"Alptraum" für Israelis in Geiselhaft geht weiter 

"Es ist das schönste Geschenk. Es ist wie ein neues Leben", sagt er sichtlich gerührt vor Journalist:innen. Immer wieder muss er sich fangen. Dass er seine Geschichte nun mit der Welt teilen kann, sei erleichternd. Es helfe ihm, das Erlebte aufzuarbeiten.

"Ich hoffe, die anderen kommen raus aus diesem Alptraum", spricht er von seinen Freunden, mit denen er mehr als acht Monate im Tunnel verbrachte, und den weiteren Geiseln. 

"Es sind immer noch Väter und junge Menschen gefangen, die nur auf eine Party gingen", erinnert er an das grausame Massaker vom 7. Oktober 2023 auf dem Supernova-Festival. 

"Das ist nicht die Welt, in der wir aufgewachsen sind. Wir sind aufgewachsen damit, dass Frieden möglich ist", so Shoham. Seine Vorfahren sind Holocaust-Überlebende. Shohams Großmutter kam in Wien zur Welt und wurde Ende der 1930er von den Nazis vertrieben.

"Jetzt weiß ich nicht mehr, ob Frieden möglich ist, nach allem, was ich erlebt habe", so der 40-Jährige. 

Shoham hat während seiner Geiselhaft 30 Kilogramm Körpergewicht verloren. Er sei so schwach gewesen, dass seine Tochter bei dessen Freilassung nicht wusste, ob sie ihn umarmen darf. Nun hat er wieder 12 Kilogramm binnen zweieinhalb Wochen zugelegt.

Die Hamas haben nach israelischen Informationen noch 24 Geiseln und 35 Leichen von Verschleppten in ihrer Gewalt. Insgesamt fünf von ihnen haben auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft - nur einer von ihnen, ein junger Mann, ist israelischen Angaben zufolge noch am Leben.

Video: 500 Tage Geiselhaft: Die bewegende Hoffnung der Familie Shoham

In einem PULS 24 Spezial "505 Tage Dunkelheit - Tal Shohams Geiselhaft" am Montag, den 17. März um 20.10 Uhr nehmen PULS 24 und JOYN seine Zuseher:innen mit zum Interview mit Shoham und zu seiner Rückkehr ins Kibbuz, aus dem er entführt wurde.

Zusammenfassung
  • 505 Tage lang bangte die Familie von Tal Shoham, der im Gazastreifen in Geiselhaft der Hamas war, um den Israeli-Österreicher.
  • Gegenüber PULS 24 erzählt er zum ersten Mal seit seiner Freilassung über die grausamen Erfahrungen, die er in der Gewalt der Terrormiliz machte.
  • Knapp 30 Kilo verlor er an Körpergewicht und kämpfte mit Infektionen.
  • In einem PULS 24 Spezial "505 Tage Dunkelheit - Tal Shohams Geiselhaft" am Montag, den 17. März um 20.10 Uhr nehmen PULS 24 und JOYN seine Zuseher:innen mit zum Interview mit Shoham und zu seiner Rückkehr ins Kibbuz, aus dem er entführt wurde.