Menasses "Dunkelblum" fulminant am Landestheater NÖ
Der Aufarbeitung der dunklen Geheimnisse eines Ortes hatte sich die Regisseurin jüngst auch am Burgtheater gewidmet, wo sie im Kasino Raphaela Edelbauers Roman "Das flüssige Land" dramatisierte. Wie dort sind es auch hier Menschen, die von außen kommen, um das Innere einer verschworenen Gemeinschaft aufzubrechen. "Dunkelblum" spielt im Jahr 1989 an der Grenze zu Ungarn, der Fall des Eisernen Vorhangs steht bevor, die Zeichen stehen auf Zeitenwende.
Eine Gruppe von Studenten aus der Hauptstadt hat begonnen, den vernachlässigten jüdischen Friedhof wieder instandzusetzen, die junge Lehrerin Flocke, der Reisebüroleiter Rehberg und die alte Eszter Lowetz haben sich in den Kopf gesetzt, die Geschichte des Ortes zu recherchieren und aufzuschreiben. Doch dann stirbt die alte Frau plötzlich, und ihr Sohn kehrt in den Ort zurück und schließt sich dem Rechercheteam an. Auch ein geheimnisvoller Tourist, der sich als ehemaliger Zwangsarbeiter entpuppt, der dem Massaker 1945 entkommen konnte, stellt Nachforschungen an. Als dann bei Probebohrungen für Wasservorräte am Ortsrand menschliche Knochen gefunden werden, nimmt die Geschichte ihren Lauf...
Dunkelblum, so heißt es bei Menasse, sei von Gott zusammen mit dem Teufel als "Modellstädtchen" gebaut worden, "zur Mahnung an alle". Dieses Motiv hat Nanna Neudeck für ihr Bühnenbild aufgegriffen: Auf einer zentral positionierten Drehbühne ist Dunkelblum en miniature nachgebaut, eine kreisrunde Vorhangkonstruktion schottet die Szenerie von der Außenwelt ab; die Vorhänge dienen auch dazu, Textpassagen aus dem Roman zu projizieren. Was im Zentrum geschieht, ist selten direkt einsehbar, ab und zu werden die Geschehnisse mittels Livekamera nach außen getragen. Draußen, an der Rampe, spielt sich denn auch jener Konflikt ab, der unweigerlich entsteht, wenn die nachgeborene Generation beginnt, unangenehme Fragen zu stellen.
Anita Buchart und Julia Engelmayer ist es in ihrer Stückfassung gelungen, das große Ganze des Romans mithilfe prägnanter Szenen zum Leben zu erwecken und die Zeitebenen zwischen den 1940ern und 1989 gekonnt zu verschränken. Zur zeitlichen Orientierung tragen auch die Kostüme von Nina Ball und die unterschiedlichen Lichtstimmungen bei. Apropos Stimmung: Es sind kleine Kniffe wie die Projektion von alten Ortsansichten (via Overhead) auf Körper oder der Einsatz von Farbe, mit der sich die Akteure im Laufe des Abends immer stärker bekleckern, die der Inszenierung trotz des schweren Themas eine surreale Verspieltheit verleihen. Ein Ereignis für sich ist die musikalische Darbietung von Jelena Popržan, die am Bühnenrand mit ihrer Bratsche Textauszüge intoniert.
In den zahlreichen Mehrfachrollen wird dem Ensemble - allen voran Julian Tzschentke als Lowetz, Laura Laufenberg als Flocke und Bettina Kerl als allwissende Hotelchefin Reschen - auch körperlich viel abverlangt, kommt es doch immer wieder zu tumultartigen Szenen. Und so gelingt Ostertag eine poetische, ernsthafte, aber auch kurzweilige Dramatisierung dieses großen Romans, der nun auf der Bühne ein verdientes zweites Leben startet. Lang anhaltender Jubel beschloss den pausenlosen zweistündigen Abend.
(S E R V I C E - "Dunkelblum" von Eva Menasse in einer Fassung von Anita Buchart und Julia Engekmayer am Landestheater Niederösterreich. Regie: Sara Ostertag, Bühne: Nanna Neudeck, Kostüme: Nina Ball, Musik: Jelena Popržan. Weitere Termine ab Oktober. www.landestheater.net)
Zusammenfassung
- In ihrem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman "Dunkelblum" hat sich Eva Menasse 2021 dem kollektiven Verdrängen und Wegschauen in der jüngeren österreichischen Geschichte gewidmet.
- Als Vorlage diente ihr das Massaker von Rechnitz, dem sie sich anhand der Geschehnisse im fiktiven burgenländischen Örtchen Dunkelblum annähert.
- Nun hat Sara Ostertag den Stoff im Landestheater Niederösterreich fulminant auf die Bühne gebracht.