Konzertbooker im "endlosen Wahnsinn" von Corona
Es ist Mitte März 2020, das Coronavirus breitet sich zunehmend in Europa aus und auch Österreich bleibt nicht verschont. Die erste große Pressekonferenz der Regierung ist Silvio Huber, der auf 20 Jahre Erfahrung in der Branche zurückblicken kann und seit 2015 für den heimischen Konzertveranstalter Arcadia Live tätig ist, noch gut in Erinnerung. "Wir haben sie damals gemeinsam im Büro verfolgt", erzählt er im APA-Gespräch. "Nach den Ereignissen in Italien konnte man sich schon denken, dass es gröber und ernster wird. Uns war schnell klar, dass ein Lockdown kommt. Aber zunächst bestand noch die Hoffnung, dass es dann wieder weitergeht."
Heute weiß man: Wer damals Veranstaltungen nur um wenige Wochen verschoben hatte, war zu optimistisch. "Die Brisanz und den Impact, den das alles haben wird, hat wohl keiner so wirklich kommen sehen", meint Huber. "Ich selbst hatte an dem Tag im März noch eine Show, da mussten dann alle informiert werden. Die Künstler haben das ja ohnehin schon beobachtet, für viele war es keine große Überraschung." Und danach? "Dann ging dieser endlose Wahnsinn aus absagen und verschieben los."
Eine Aufgabe, die den Head of Booking bei Arcadia Live auch heute noch beschäftigen. "Die größte Herausforderung war zunächst, diesen Schock zu verarbeiten. Dass von der einen Sekunde auf die andere einfach nichts mehr geht", erinnert sich Huber. "Das hat der ganzen Branche - Veranstaltern, Clubs, Künstlern - den Teppich weggezogen." Mit der Zeit lernte man aber, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen, was vor allem viel Flexibilität erforderte. "Ein Wissensstand morgen kann etwa komplett anders sein als gestern, es dreht sich sehr schnell."
Positiv wertet Huber den Zusammenhalt in der Szene. "Keiner hatte eine richtige Antwort, alle saßen und sitzen im selben Boot. Letztlich war es auch ein Miteinander um zu sehen, wie man durchkommt." Verständnis sei angesichts des Ernsts der Lage bei jedem Beteiligten da gewesen. "Allen war klar: Wir können sowieso nur zuwarten." Nur zu Beginn der Pandemie gab es vereinzelt Unterschiede, "die Länder gingen da ja auch verschieden vor. Bis es jedes Management verinnerlicht hatte, dauerte es eben."
Mittlerweile haben gewisse Acts ihre Tourneen bereits drei-, vier- oder sogar fünfmal verschoben. Was 2021 noch realistisch umsetzbar ist, sei schwer zu sagen, betont Huber. "Eine lokale Band, die etwas machen möchte - das könnte ab dem Sommer vielleicht schon funktionieren. Natürlich unter Einhaltung der Coronamaßnahmen wie wir sie vergangenes Jahr hatten, also bestuhlt und mit entsprechendem Abstand. Aber bei Künstlern mit einer gewissen Größe oder internationalen Acts gibt es auch höhere Produktionskosten. Da macht es mit reduzierten Kapazitäten keinen Sinn, das wäre höchstens Beschäftigungstherapie." Zudem gebe es von Land zu Land nach wie vor unterschiedliche Bestimmungen.
"Der Hauptfokus liegt daher sicher auf 2022", so der 40-jährige Konzertbooker. Als Anzeichen dafür könne auch das kürzlich abgesagte Glastonbury Festival in England gewertet werden. "Das war schon ein Weckruf", erläutert Huber. "Wenn die jetzt schon den Stecker ziehen, kann das wie der berühmte Dominostein sein." Denn gerade Großveranstaltungen stünden grundsätzlich vor den Fragen: Wir wirkt sich die Impfung aus? Müssen Besucher einen Impfpass mitnehmen? Kann man jenen ohne Impfung den Eintritt verweigern? Oder geht es doch in Richtung Tests vor Ort, sofern das überhaupt durchführbar und finanzierbar ist?
Ein nachhaltige Auswirkung auf das Konzertgeschehen befürchtet Silvio Huber indes nicht. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das wieder haben werden - aber es kann ein bisschen dauern. Selbst wenn das Impfen gut funktioniert und im Herbst oder Winter einiges stattfinden kann, werden die Leute noch brauchen, bis sie sich wieder Schulter an Schulter in die Venues stellen."
Bis dahin müsse man mit der veränderten Realität leben. "Früher war für mich ein guter Booking-Tag, wenn ich ein tolles Angebot reinbekommen habe oder eine coole Band bestätigt wurde. Man muss lernen, dass das derzeit nicht passiert." Andererseits dürfe er sich nicht beschweren. Gerade durch die Struktur von Arcadia Live, die zur FKP Scorpio Unternehmensgruppe gehört, stehe man auf einer "sehr soliden Basis". Für die gesamte Branche könne die unfreiwillige Pause auch positiv sein. "Wir machen ja nur Konzerte und retten keine Menschenleben. Da machen wir uns das Leben oft selbst schwerer als es ist", verweist er auf oft ebenso stressige wie lange Arbeitstage. "Vielleicht findet diesbezüglich ja ein Umdenken statt."
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - www.arcadia-live.com)
Zusammenfassung
- Es hört sich ein bisschen an wie "Und täglich grüßt das Murmeltier": Seit bald einem Jahr besteht die Arbeit von Silvio Huber vornehmlich darin, Konzerte zu verschieben oder abzusagen.
- Die früher so wichtige Planbarkeit wurde für den Booker von Arcadia Live durch die Coronapandemie "von einem Tag auf den anderen ausgeknipst".
- "Wir haben sie damals gemeinsam im Büro verfolgt", erzählt er im APA-Gespräch.
- "Das war schon ein Weckruf", erläutert Huber.