Joshua Oppenheimer und der Optimismus ohne dummen Glauben
APA: Herr Oppenheimer, Sie werden bestimmt oft gefragt, ob Sie mit Robert Oppenheimer verwandt sind. Ist es nur ein Zufall, dass Sie den gleichen Nachnahmen wie der Vater der Atombombe tragen und Ihre Filme sich mit Massenmord beschäftigen?
Joshua Oppenheimer: Ich bin in New Mexico aufgewachsen. In unserem Haus in Santa Fe konnte man vom Küchenfenster aus auf die Lichter von Los Alamos blicken, und ich hatte in meiner Highschoolzeit einen immer wiederkehrenden Albtraum: Ich wachte mitten in der Nacht auf, ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, und schaute aus dem Fenster, wo normalerweise die Lichter von Los Alamos zu sehen sind, aber es war stockdunkel. Da wusste ich, dass es eine Atomkatastrophe gegeben hatte - nicht durch eine Explosion, sondern durch das Fehlen von Licht.
APA: Wussten Sie damals schon, was Ihr Nachname für die Welt bedeutet?
Oppenheimer: Natürlich! Ich bin alt genug, um in der Zeit des Kalten Krieges aufgewachsen zu sein, in den 1980er-Jahren, als die Menschen Angst vor der atomaren Vernichtung hatten. Es gab diesen heftigen Fernsehfilm "The Day After", der mich absolut verfolgt hat. Wenn man im Schatten dieses Namens aufwächst, denkt jeder, dass man ein Neffe von Robert Oppenheimer sein muss. Die Leute haben mich als Kind immer gefragt, ob ich mit ihm verwandt bin, sogar im Lebensmittelladen in Schweden, wo ich heute lebe.
Erst unlängst wollte ein Freund von mir wissen, warum ich mich auf Extreme konzentriere. In "The Act of Killing" geht es um Massenmord, in "The End" um eine reiche Familie, die für die Zerstörung der Welt mitverantwortlich ist. Im Grunde geht es um uns alle und um unsere Mitschuld, und ich konzentriere mich auf solche Extreme als Reaktion auf diesen Schatten. Man ist ein Synonym für die Zerstörung der ganzen Welt. Aber ich interessiere mich nur für Figuren, die ich liebe. Auch wenn sie schreckliche Dinge getan haben.
APA: Das spürt man. "The End" hat einen sehr warmen und vergebenden Blick. Natürlich ist es ein finsterer Film über das Ende der Welt, aber in erster Linie ist es vielleicht ein Film über die Liebe...
Oppenheimer: ... und über die Korrosion der Liebe, wenn man die falschen Entscheidungen trifft. Ich denke, dass die Wärme, die Sie gespürt haben, auch das ist, was den Film für einige Zuschauer zu einem Film über die Liebe und was ihn für andere unerträglich macht.
APA: Es gibt viel Schönes darin, aber darunter verbirgt sich etwas Dunkleres.
Oppenheimer: Das ist der Grund, warum die Figuren in "The End" singen.
APA: Um sich ihre Sorgen von der Seele zu singen?
Oppenheimer: Genau. Im klassischen Musical des Goldenen Zeitalters singen die Figuren, weil ihre innere Wahrheit zu groß ist, um sie auszusprechen. Hier singen sie aus Hoffnung, um sich in dieser trostlosen Realität morgens aus dem Bett zu quälen. Und während die Geschichten und Lügen, die sie sich selbst erzählen, zu bröckeln beginnen, haben sie Krisen des Zweifels, und in diesen Momenten des Zweifels greifen sie nach neuen Melodien, um sich selbst zu versichern, dass alles in Ordnung sein wird. Die Musik ist leuchtend schön, aber sie ist eine Lüge - und das ist das Gegenteil von dem, wie Musik normalerweise funktioniert.
Ich bin ja ein ausgesprochener Optimist. Aber mein Optimismus unterscheidet sich vom Optimismus der Familie in "The End", und dem Optimismus, der in unserer Kultur vorherrscht, der besagt, dass "alles gut werden wird". Das ist der Optimismus eines Kapitalismus, der einen blinden Glauben an die Idee voraussetzt, dass morgen, egal was passiert, besser sein muss als heute. Und warum? Weil in dem Moment, in dem wir zugeben, dass es vielleicht nicht so ist, der Kapitalismus stirbt, weil der Kredit stirbt. Man kann kein Geld herleihen, wenn man glaubt, dass der Kreditnehmer nicht in der Lage sein wird, das Geld mit Zinsen zurückzuzahlen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass dieser Optimismus uns zu dieser Zeichentrickfigur Wile Coyote macht, der über den Rand der Klippe rennt und sich einredet, dass es ihm gut geht, bis zu jenem Moment, in dem er nach unten schaut und merkt, dass er sich in der Luft befindet, und dann abstürzt. Blinder, dummer Glaube ist der Sauerstoff des Kapitalismus, und da wir alle vom Kapitalismus abhängig sind, haben wir alle diese Lüge akzeptiert.
APA: Ihr Film ist an der Oberfläche ein fröhliches Musical. Sie verzichten dabei auf Kitsch.
Oppenheimer: Ich würde es Sentimentalität nennen. Milan Kundera spricht von der "zweiten Träne". Wenn man etwas Trauriges sieht, weint man eine "erste Träne", weil man eine moralische Verpflichtung gegenüber dem Traurigen empfindet. Dann weint man eine "zweite Träne", weil man weiß, dass die ganze Welt mit einem weint. Das ist der Beginn von Kitsch, sagt er, aber ich würde es Sentimentalität nennen. Zum Beispiel, wenn man eine schreckliche Geschichte über 1.000 Menschen liest, die im Mittelmeer ertrunken sind, sich schrecklich fühlt und dann ein trauriges Emoji in die sozialen Medien stellt, um sich selbst zu versichern, dass man ein guter Mensch ist. Dadurch bewegt man sich nicht zum Handeln, sondern zur Passivität und entzieht sich seiner Verpflichtung. In meiner Arbeit versuche ich, die Menschen dazu zu bringen, das zu weinen, was ich als "dritte Träne" bezeichne. Jene Träne, bei der Sie die sentimentale zweite Träne erlebt haben und in der Lage sind, die Tragödie des sentimentalen Eskapismus selbst zu erkennen, die Tragödie der Selbsttäuschung.
APA: Das Genre, das Sie sich für Ihren ersten Spielfilm ausgesucht haben, ist ein sehr amerikanisches. Das wird einen Grund gehabt haben, oder? Ebenso wie die Tatsache, dass Sie die afroamerikanische Schauspielerin Moses Ingram als Heldin gewählt haben?
Oppenheimer: Die Frage über das amerikanische Genre ist wirklich scharfsinnig. Meine Entscheidung, "Mädchen" schwarz zu machen, war in gewisser Weise eine Reflexion über die Idee, dass der Film zum Teil vom Weißsein handelt. Amerika ist ein Land, das wirtschaftlich durch die Versklavung von Menschen entstanden ist. Ich fand es subversiv und richtig.
Die Tatsache, dass auch der Arzt im Film ein schwarzer britischer Schauspieler ist, diente dieser Vision von Amerika als einem weißen, kapitalistischen Imperium, das seine Hegemonie gerade in jenem "Goldenen Zeitalter" erlangte, als die Menschheit dank meines Namensvetters zum allerersten Mal in der Lage war, einen Knopf zu drücken und alles zu zerstören. Genau zu dieser Zeit schuf Amerika diese beschwingten Musicals, die das amerikanische Imperium zusammenhielten und den Amerikanern die Möglichkeit boten, von ihren Plätzen im Kino aus in "South Pacific" in die entlegensten Winkel des Empire zu reisen, nach Neuengland in "Carousel" oder nach New York in "On the Town". Ich habe mich gefragt, was es bedeutet, diese Form jetzt wieder aufzugreifen. Dieses Genre, die eine Nation zusammenhielt, hält jetzt nichts mehr, weder das Land noch die demokratischen Ideale, auf denen es angeblich gegründet wurde, die es aber nie wirklich gab. Jetzt, wo wir uns sehr schnell einem Moment nähern, in dem alles, was von diesem Imperium übrig bleibt, dieses eine schwarze Loch sein wird, der letzte Stopp auf der Tour: der Bunker in "The End".
(Das Gespräch führte Marietta Steinhart/APA)
Zusammenfassung
- Joshua Oppenheimer, 50, ist nicht mit dem Vater der Atombombe verwandt, aber sein Nachname hat ihn stark geprägt.
- In seinem neuen Film 'The End', der am 28. März in Österreich startet, untersucht er die Themen Zerstörung und menschliche Mitschuld.
- Oppenheimer kritisiert den blinden Optimismus des Kapitalismus, der auf der Annahme basiert, dass die Zukunft immer besser wird.
- Der Film kombiniert düstere Themen mit einem warmen Blick auf Liebe und menschliche Beziehungen.
- Oppenheimer nutzt das Musical-Genre, um über amerikanische Geschichte und Rassenfragen zu reflektieren.