"Hamlet" bei den Festwochen von effektvoll bis nüchtern
So klar ist die Antwort nicht, die die brasilianische Regisseurin für das Publikum liefert, das sich im Rahmen der Wiener Festwochen im fast vollen Volkstheater einfand. Im Laufe des über zweistündigen Abends webt sie so manchen zusätzlichen sprachlichen Verweis und Kommentar auf das Jetzt in den alten Stoff. Auf visueller Ebene ist die Erzählung gänzlich im Jahr 2024 angelangt.
Hamlet findet sich in einer zeitgenössischen Wohnung wieder. Eine rote Küche trifft auf eine große graue Couch, einen Flachbildfernseher und eine große verglaste Rückwand. Bevor es in der Wohnung aber um Sein oder Nichtsein geht, könnte man sich aber genauso gut in einer kalten, stürmischen Nacht am Land wähnen, wo Hamlet von seinem kürzlich verstorbenen Vater in Geisterform über den Mord an ihm unterrichtet und zur Rache angespornt wird.
Als riesige, bläulich schimmernde Gestalt füllt der Ermordete eine transparente Leinwand zwischen Zuschauer- und Bühnenraum aus. Später wird darauf eine Vielzahl an Partygästen projiziert. Sie tanzen und haben eine schöne Zeit, während Hamlets Mutter Gertrude - den Tod ihres Ex-Mannes in kürzester Zeit überwunden und längst zur Hochzeit mit dessen Bruder übergegangen - so manches Lied schmettert.
So stimmig und effektvoll der Beginn, so nüchtern, ja beinahe antiklimatisch der Schluss. Das große Duell gibt es nicht zu sehen, nur rasch nacherzählt. Als hätte man von all dem Blutvergießen, männlicher Gewalt, auch den vielen Toten im Krieg um einen Fleck Erde genug. Einzig Polonius ("eine Ratte?") wird von Hamlet hinter einem Vorhang umgebracht.
Viel Raum gibt es im Gegenzug für die wenigen Frauenfiguren des Stücks. Die Beziehung zur Mutter Gertrude wird deutlich ausgeleuchtet und die (Ex-)Verlobte Ophelia weigert sich gar in einem Akt der Rebellion gegen das Patriarchat zu sterben. Der verräterische König Claudius bleibt dagegen im Wesentlichen mit einem weinerlichen Auftritt auf dem Klo in Erinnerung.
Dass er dabei zu sehen ist, ist großzügigem (Handy-)Kameraeinsatz zu verdanken, der die Bühne um Hinter- und Nebenräume erweitert, aber nur phasenweise zündet. So auch die Inszenierung selbst, die zwar mehrere Themen aufmacht, aber kaum eines davon auch deutlich auf den Boden bringt.
Voll überzeugen kann dagegen Clotilde Hesme als Hamlet. Die Schauspielerin meistert die vielen Monologe bravourös. Selbst verfrüht einsetzender Applaus von einigen wenigen Zusehern, die wohl angesichts so mancher Durststrecke das Ende herbeisehnten, bringt sie nicht aus der Ruhe. Und als es dann tatsächlich zu Ende ging, war der Rest nicht Schweigen, sondern langer Beifall.
(Von Lukas Wodicka/APA)
(S E R V I C E - "Hamlet - in den Falten der Zeit" nach William Shakespeare im Rahmen der Wiener Festwochen im Volkstheater, Wien 7, Arthur-Schnitzler-Platz 1, Regie, Adaption, Bühne: Christiane Jatahy. Mit: Clotilde Hesme (Hamlet), Isabel Abreu (Ophelia), Tom Adjibi (Guildenstern), Servane Ducorps (Gertrude), David Houri (Rosencrantz), Tonan Quito (Polonius), Matthieu Sampeur (Claudius). Kostüm: Fauve Ryckebusch, Musik: Vitor Araujo, Künstlerische Mitarbeit, Bühne, Licht: Thomas Walgrave, Eine Produktion des Odeon-Theatre de l'Europe in Zusammenarbeit mit Cie Vertice - Axis production. In Französisch und Portugiesisch mit deutschen und englischen Übertiteln. Weitere Aufführungen am 1. und 2. Juni. https://www.festwochen.at/hamlet)
Zusammenfassung
- Hamlet wird in der Inszenierung von Christiane Jatahy als Frau dargestellt, die voller Trauer und Wut ist.
- Die Aufführung im Rahmen der Wiener Festwochen im Volkstheater Wien dauert über zwei Stunden und ist visuell im Jahr 2024 angesiedelt.
- Clotilde Hesme überzeugt in der Rolle des Hamlet mit bravourösen Monologen, und die Aufführung endet mit langem Beifall.