"Gott" in den Kammerspielen: Abstimmung zu Sterbehilfe
Ausgerechnet kurz vor der Premiere hat sich Johannes Seilern, der in der Wiener Inszenierung den gebrochenen Witwer gibt, am Fuß verletzt, weshalb Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger bei der Premiere kurzfristig - mit aufgeklebtem Vollbart und Knopf im Ohr - einsprang. Doch im Zentrum steht ohnedies Gärtners Anwalt Biegler, den Raphael von Bargen in der Altherrenrunde mit aufklärerischem Enthusiasmus verkörpert. Als Vorsitzender der Ethikkommission liegt es an Michael König, die Fäden zusammenzuhalten. Schließlich gilt es, das Thema Sterbehilfe aus allen Perspektiven zu beleuchten.
Da sind der medizinische Sachverständige (blass: Alexander Strömer), der Rechtssachverständige (ebenso: Paul Matić) und schließlich der theologische Sachverständige, der in der TV-Produktion von Ulrich Matthes gegeben wurde. In den Kammerspielen verkörpert Ex-Volksoperndirektor Robert Meyer den Bischof, der diesen zunächst nur langsam in die Gänge kommenden zweieinhalb Stunden währenden Abend schlussendlich zum Leuchten bringt. Sein Dialog mit Raphael von Bargen entblättert die gesamte Ambivalenz des Themas anhand der Religion, der am Ende die Argumente ausgehen. Warum es in der Wiener Inszenierung - anders als in der TV-Adaption mit u.a. Christiane Paul und Anna Maria Mühe - in Wien ein ausschließlich männliches Ensemble ist, das diese Frage erörtert, bleibt eine der Leerstellen des Abends.
Als Setting hat Walter Vogelweider eine Art Arena gebaut, auf deren Stufen die Protagonisten stumm Platz nehmen, während die jeweils aufgerufenen Akteure auf einem Verhörstuhl sitzen, um Auskunft zu geben. Im Bühnenhintergrund werden auf einem Kreuz aus Bildschirmen Arbeiten des Südtiroler Künstlers Gotthard Bonell projiziert. Mehr passiert nicht. Und so liegt der Fokus stark auf dem Text, den vor allem von Bargen und Meyer zum Leben erwecken. Nach 100 Minuten wird das Publikum schließlich zur Abstimmung in die Pause entlassen: Soll dem - eigentlich körperlich gesunden - Witwer ein tödliches Medikament verschrieben werden? Was bedeutet das, wenn dann eine 30-jährige Unfalllenkerin, der noch das gesamte Leben bevorsteht, dasselbe Recht einfordert?
Diese Frage beantwortete das Publikum mittels in Boxen eingeworfenen Münzen klar: 216 Premierengäste waren dafür, das tödliche Medikament auszuhändigen, 112 dagegen. Im abschließenden Monolog, den Michael König als Vorsitzender des Ethikrats hält, kann das Publikum seine eigene Entscheidung dann noch einmal im Stillen hinterfragen. Und so wird bis zur letzten Minute kontrovers ein Thema verhandelt, das aus rechtlicher Sicht in den vergangen Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hat. Klar wird: Eine ganz klare Antwort wird es wohl nie geben.
(S E R V I C E - "Gott" von Ferdinand von Schirach, Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt. Regie: Julian Pölsler, Bühne: Walter Vogelweider. Mit u.a. Michael König, Raphael von Bargen, Paul Matić und Robert Meyer. Weitere Termine: 24., 28 bis 31. März sowie am 6., 7., 9., 13. und 14. April. www.josefstadt.org)
Zusammenfassung
- Der Staat, die Kirche, die Ärzte oder gar wir selbst?
- Diese Frage verhandelt Ferdinand von Schirachs 2020 uraufgeführtes und auch fürs TV verfilmtes Stück "Gott", in dem der 78-jährige Richard Gärtner nach dem Tod seiner Ehefrau vor einer Ethikkommission auftritt, um dieses Thema zu diskutieren.
- Schließlich gilt es, das Thema Sterbehilfe aus allen Perspektiven zu beleuchten.
- Mit u.a. Michael König, Raphael von Bargen, Paul Matić und Robert Meyer.