Gaultier bringt seine "Fashion Freak Show" nach Wien
Er brach Tabus und entstaubte die Modewelt: Entsprechend provokant, satirisch, laut, grell und divers gestaltete Gaultier das Programm, das durch sein Leben führt. Modefans bekommen ein Best-of seiner Kreationen geboten, in einer Art 2.0-Version überarbeitet und frisch geschneidert - vom eleganten Zweiteiler über Korsagen, Matrosenanzügen bis zu Gladiatoren-Outfits und fast nackt. Die ikonischen Kegel-BHs, mit denen Madonna auf einer Tournee Popgeschichte schrieb, fehlen ebenso wenig wie Männer in Röcken. Die Models tanzen zu Beats, Pophits und bei Bedarf zum ohrenbetäubenden Gitarrensolo - Live-Gesang und ein kleines bisschen Akrobatik als Draufgabe. Conchita huscht kurz in einer Einspielung über die Videowall.
Der Gassenhauer "Le Freak" von Chic ertönt mehrmals als akustischer roter Faden. "Ihr seid alle Freaks. Und Freaks sind schick", ließ Gaultier sein durchaus dem Anlass entsprechend gestyltes Publikum wissen. So tummeln sich in der Show Punks zu "London Calling" ausgelassen vor dem Union Jack, um nahtlos übergehend mit dem "Time Warp" ein bisschen Horrorshow zu verbreiten. Tattoos blitzen selbst unter edleren Roben hervor, Konfektionsgrößen spielen keine Rolle, denn Gaultier setzte noch nie nur auf klassische Schönheitsideale.
So manchen Seitenhieb kann sich Gaultier nicht verkneifen: Die Modepolizei in Form einer Darstellerin, die "zufälligerweise" an "Vogue"-Legende Anna Wintour erinnert, tritt auf, und Karl Lagerfeld wird persifliert. Was wäre Gaultier ohne Provokation? S&M-Designer-Leder, nackte Haut (inklusive Striptease), zwei- und gleichgeschlechtlicher Körperkontakt vor dem Schriftzug "Sex" in riesigen roten Lettern, untermalt mit dem Frankie-Goes-to-Hollywood-Klassiker "Relax", und eine ordentliche Prise Burlesque dokumentieren die Liebe Gaultiers, bei Defilees Tabus zu brechen. Mit seiner Show tut er das generell trotzdem nicht, denn Ablauf und technische Umsetzung folgen üblichen Revue-Mustern.
Zwischen all dem Getöse sticht eine reduzierte, leise, intime Szene als dramaturgischer Höhepunkt heraus, wenn Gaultier den Aids-Tod seines Freundes thematisiert. Der Düsternis folgt ein strahlender Regenbogen auf den (bewegbaren) Videowänden, im Publikum werden Kondome verteilt, "sag ja zum Leben" feiert die Truppe in Aerobic-Aufmachung. "Mode sollte kein Konsumprodukt sein, sondern eine Ausdrucksform", betonte Gaultier nach dem Schlussapplaus vor seinen Fans. Seine "Fashion Freak Show", die bei Sprechpassagen zwischendurch ordentlich an Fahrt verliert, will dieses Credo untermauern. Die Revue huldigt Gaultiers Schaffen und bringt sogleich seine Philosophien näher. Nur konsequent, dass in einer Szene Schönheitsoperationen recht drastisch hinterfragt werden.
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)
(ZUR PERSON - Jean Paul Gaultier Gaultier stammt aus einer einfachen Familie. Geboren wurde er in Bagneux, einem Vorort südlich von Paris. Der berühmte Modezar ist Autodidakt. Kaum 18 Jahre alt, schickte er den berühmtesten Modeschöpfern in Paris seine Skizzen zu. Der legendäre Pierre Cardin erkannte als Erster sein Talent und engagierte ihn 1970 als Assistent. Dann verlief alles wie im Märchen: Als 24-Jähriger stellte Gaultier seine eigene Linie vor, und 1978, nur zwei Jahre später, gründete er sein nach ihm benanntes Modehaus. Seine Mode wird längst nicht nur getragen, sondern auch weltweit in Museen ausgestellt.)
(S E R V I C E - "Jean Paul Gaultiers Fashion Freak Show": Sechs Aufführungen vom 10. bis 14. Juli in der Wiener Stadthalle, Halle F, Galapremiere unter Anwesenheit Gaultiers am 10. Juli; Tickets u.a. www.oeticket.com)
Zusammenfassung
- Jean Paul Gaultiers 'Fashion Freak Show', eine Kombination aus Laufsteg und Varieté, feiert im Juli mit sechs Aufführungen in der Wiener Stadthalle ihre Wien-Premiere.
- Die Show reflektiert Gaultiers Karriere und bricht mit Konventionen der Modebranche, unter anderem durch die Präsentation von Kegel-BHs und Männern in Röcken.
- Gaultiers Schaffen und seine Philosophie, Mode als Ausdrucksform zu sehen, werden besonders in einer Szene hervorgehoben, die den Aids-Tod eines Freundes thematisiert.