"Follies" an der Volksoper: Altern zum Klang des Stepptanzes
Der narrative Rahmen der 1971 uraufgeführten "Follies" ist schnell erzählt. Die beiden ehemaligen Showgirls Sally und Phyllis treffen mit ihren jeweiligen Ehemännern bei der Abschlussparty ihres einstigen Theaters ein, in dem sie vor 30 Jahren gefeiert wurden. Sie und die anderen Tänzerinnen erinnern sich nostalgisch an die Vergangenheit, stellen getroffene Entscheidungen infrage und schwelgen in Erinnerungen an die vermeintlich gute alte Zeit.
Berger nutzt dabei den am Haus schon etablierten selbstreferenziellen Kniff, die Volksoper auch im Libretto als Spielort zu etablieren. Konkret treffen sich die Künstlerinnen der Volksoper 30 Jahre später im Jahr 2055 - kurz bevor nach einem Krieg und einem diktatorischen Regime das Haus am Gürtel einem Parkhaus weichen wird. Zur Abrissparty kommt Sally Durant dann folgerichtig aus Bregenz - ein Name, über den man sich im Ländle wohl wundern würde, während Kollegin Mitzi Huber als Solange ihre eigene Parfumlinie bei Bipa hat. Die Anbindung an den Spielort funktioniert über weite Strecken.
Die meisten Charaktere bekommen Einzelnummern, die wiederum von den als Hommage an den Broadwaystil der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehaltenen Ensemblestücken markant abweichen. Den von Sondheim hier bewusst gesetzten Kontrast versucht der 37-jährige Berger lange Zeit auch gar nicht zu verwischen, im Gegenteil. Er positioniert die gealterten Figuren von heute vor dem Vorhang, während die bisweilen gesetzten Rückblenden mit jüngeren Alter Egos dahinter stattfinden.
Konzept funktioniert dank Ensemble
Dieser minimalistische Ansatz des Rampentheaters funktioniert deshalb, weil Berger mit Volksopernallzweckwaffe Ruth Brauer-Kvam als fragiler Sally, Musicalstar Drew Sarich als Dandy Ben und der nicht nur ob ihrer Größe herausragenden Bettina Mönch eine Riege zur Verfügung steht, die fähig ist, die Krise nach der Midlife-Crisis glaubhaft zu verkörpern. Sie ringen mit sich und ihren jüngeren Alter Egos - bisweilen im wörtlichen Sinne.
Und dazwischen haben auch die Nebencharaktere ihre Glanzmomente, wenn die Hattie von Julia Koci Räder schlägt, während sie singt, die Stella von Stefanie Dietrich am Ende ihrer Nummer trotz abgesenkter Gebärmutter einen eingesprungenen Spagat absolviert und Sona MacDonald voll verruchter Resignation "Bin noch hier" ("I'm Still Here") intoniert - einen der Hits des Stücks neben "Broadway Baby" und vor allem dem Liza-Minnelli-Klassiker "Losing My Mind".
Gazewand wird durchbrochen
Im Verlauf des Abends durchbricht Berger die Gazewand aber, lässt die gealterten Ichs mit ihren jüngeren Alter Egos direkt interagieren, öffnet die starre Struktur. Letztlich gibt es so doch noch größer choreografierte Passagen, wird die Bühnenrückwand zur Großleinwand, die mit dem Bühnengeschehen in den Dialog tritt. Und am Ende ist der Spuk vorbei, die Geister aus der Flasche. Man kehrt in das alte Leben zurück, vielleicht nicht geläutert, aber gereift.
Dennoch bleibt das Stück "Follies" in sich ein etwas aseptischer Versuchsaufbau, eine bewusst künstliche Versuchsanordnung, eine Variation über das Altern und das Akzeptieren der Zeit. Ein Abgesang und eine Hommage zugleich, die letztlich auch als konzertanter Abend funktionieren würde. Und eine der raren Möglichkeiten, im Wien des Jahres 2025 Stepptanz auf einer Bühne zu sehen.
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - Regie: Martin G. Berger, Bühnenbild: Sarah-Katharina Karl, Kostüme: Alexander Djurkov Hotter, Licht: Alex Brok, Video: Vincent Stefan, Musikalische Leitung: Michael Papadopoulos. Mit Sally Durant Plummer - Ruth Brauer-Kvam, Benjamin Stone - Drew Sarich, Phyllis Rogers Stone - Bettina Mönch, Buddy Plummer - Peter Lesiak, Junge Sally - Juliette Khalil, Junger Ben - Oliver Liebl, Junge Phyllis - Laura Magdalena Goblirsch, Junger Buddy - Samuel Türksoy, Carlotta Campion - Sona MacDonald, Stella Deems - Stefanie Dietrich, Emily Whitman - Marie Christin Zeisset, Hattie Walker - Julia Koci, Theodore Whitman - Robin Poell, Solange La Fitte - Martina Dorak, Heidi Schiller - Ulrike Steinsky, Junge Heidi - Alexandra Flood, Dimitri Weisman - David Wurawa, Roscoe - Aaron-Casey Gould, Junge Solange - Eva Zamostny, Junge Hattie - Angelika Ratej, Junge Carlotta - Melanie Böhm, Junge Emily - Tara Randell, Junge Stella - Samantha Mayer, u.a.. Weitere Aufführungen am 17., 25. und 30. April sowie am 1., 14., 17., 23. und 27. Mai. www.volksoper.at/produktion/follies-2025.de.html)
Zusammenfassung
- Das Stück 'Follies' von Stephen Sondheim wird an der Wiener Volksoper unter der Regie von Martin G. Berger inszeniert und spielt im Jahr 2055.
- Ehemalige Showgirls und Tänzerinnen treffen sich in der Volksoper, um sich an ihre Vergangenheit zu erinnern und ihre Entscheidungen zu hinterfragen.
- Das Ensemble, darunter Ruth Brauer-Kvam und Drew Sarich, überzeugt in der Darstellung der Charaktere und ihrer Krisen.
- Die Inszenierung nutzt einen minimalistischen Ansatz, bei dem gealterte Ichs mit ihren jüngeren Alter Egos interagieren.
- Das Stück thematisiert das Altern und die Akzeptanz der Zeit und bietet eine seltene Gelegenheit, Stepptanz auf einer Wiener Bühne zu sehen.