Intensivstraftäter
Kinder hinter Gittern? Warum das nicht so einfach geht
Was im Regierungsprogramm im Bund bereits festgehalten wurde, bekommt auch im Wahlkampf zur Wien-Wahl viel Aufmerksamkeit: Am Montag forderten die Wiener Neos sozialpädagogische Einrichtungen mit der Option auf befristete Zwangsaufenthalte für unmündige Minderjährige, die wiederholt Straftaten begehen.
Auch SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig pflichtete der pinken Vizebürgermeister Bettina Emmerling bei.
Der Vorstoß kam an jenem Tag, an dem auch die Kriminalstatistik präsentiert wurde. Sie bestätigt: Die Zahl der Unter-14-Jährigen, die strafffällig werden, steigt - vor allem in Wien. Doch es sei eine "überschaubare Gruppe", die immer wieder schwere Straftaten begehe, hieß es am Montag bei einer Pressekonferenz des Innenministeriums.
Der Kinder- und Jugendhilfe Wien (MA 11) sind jene 30 bis 40 Kinder und Jugendliche bekannt. Geht es nach dem Regierungsprogramm soll die MA 11 die Zwangsaufenthalte der Kinder durchführen.
Als Verwaltungsorgan müsse man solche politische Entscheidungen umsetzen, sagte Ingrid Pöschmann, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Kinder- und Jugendhilfe Wien, zu PULS 24. Zunächst fehlen aber noch die Rahmenbedingungen für einen solchen Freiheitsentzug.
Bundesgesetzliche Änderung nötig
Primär brauche es eine bundesgesetzliche Änderung. Denn die Kinder- und Jugendhilfe darf Kinder nicht einfach "einsperren". Dafür will die Bundesregierung klären, ob sich Ausgangsbeschränkungen über das Heimaufenthaltsgesetz durchsetzen lassen. Das regelt etwa, wie Menschen mit Beeinträchtigungen oder psychischen Erkrankungen in Heimen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden dürfen. Einige äußerten da aber bereits Zweifel.
So der Verfassungs- und Medizinrechtsexperte Karl Stöger gegenüber dem Ö1-"Morgenjournal" [Update vom 15.04.2024]. Das Heimaufenthaltsgesetz sei das falsche, denn es sei auf Jugendheime zwar anwendbar, aber nur auf jene, die für "auffällige oder geistig behinderte Jugendliche gedacht sind".
Ob man dann Kinder ohne derartige Beeinträchtigungen in solchen Heimen überhaupt einem Freiheitsentzug unterwerfen kann, sei zweifelhaft. Unklar ist auch, ob sich Freiheitsbeschränkungen auch auf Landesebene umsetzen lassen.
Danach brauche es auch eine richterliche Anordnung, um einen solchen Freiheitsentzug durchführen zu können. "Das Gericht hat hier immer die Letztentscheidung und ohne Richter wird das auch nicht laufen", greift Pöschmann schon etwas vor.
Sollte die bundesgesetzliche Änderung vollzogen sein, reiche es nicht, die Kinder einfach in den Wohngemeinschaften der Kinder- und Jugendhilfe festzuhalten. "Da sage ich Nein", so Pöschmann. Denn ein Freiheitsentzug, der als "letztes Mittel" gelten soll, müsse pädagogisch wertvoll ablaufen.
"Kindgerechte" Einrichtungen nötig
Die sogenannten "Systemsprenger" einfach in Einzelhaft zu stecken, wäre nicht angebracht. Die Einrichtungen müssen "kindgerecht" sein, gleichzeitig brauche es "vergitterte Fenster". Wichtig sei auch ein "multiprofessionelles Team". "Die Rede ist von Lehrer:innen, denn die Kinder sind schulpflichtig, Psycholog:innen und Sicherheitspersonal", so Pöschmann.
Die Kinder- und Jugendhilfe evaluiere laufend den Personalstand. Bei der Einführung solcher Zwangsaufenthalte werde das wieder ein Thema werden, so die Sprecherin. Schließlich brauche es auch Sozialarbeiter:innen.
Nur mit den richtigen Rahmenbedingungen könne man die Kinder "auf den richtigen Weg bringen", betont Pöschmann. Immerhin müsse man mit den Kindern "in den Dialog kommen", sonst sei keine Veränderung möglich und die Kinder würden die Zeit nur "absitzen".
Pöschmann plädiert daher für ein Konzept in vier Phasen. "Es braucht eine Aufnahmephase, dann die geschlossene Phase, wo sich das Kind viel mit sich selbst beschäftigt, eine Lockerungsphase und eine offene Phase, wo es darum geht, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen", sagt sie.
NEOS, SPÖ und Karner dafür
Am Montagmorgen sprachen sich die NEOS und Emmerling für derartige Zwangsaufenthalte aus. Ludwig sagte im Gespräch mit der "Presse", dass es notwendig sei, Maßnahmen zu setzen - auch, wenn es sich nur um eine kleine Gruppe handle. Auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) befürwortete den Vorst0ß unter Berufung auf das Regierungsprogramm.
Darin einigte man sich auf "sozialpädagogische Wohngemeinschaften der Kinder- und Jugendhilfe". Der Freiheitsentzug soll durch Pflegschaftsrichter überprüft werden. Karner sprach am Montag davon, strafunmündige Intensivstraftäter "gefängnisähnlich" unterzubringen.
Die Anzeigen gegen 10- bis 14-Jährige hatten sich in den letzten fünf Jahren nahezu verdoppelt, hieß es in der am Montag präsentierten polizeilichen Anzeigenstatistik. 2024 gab es in dieser Altersgruppe rund 12.000 Anzeigen. Vermehrt hatten diese Intensivistraftäter Einbruchsdiebstähle, etwa in Automaten oder Autos durchgeführt, wie PULS 24 bereits vergangene Woche berichtete.
Der Großteil dieser Straftaten wurde von österreichischen Staatsbürger:innen begangen. Auf Platz zwei liegen die syrischen Staatsbürger. Die Anzeigen gegen syrische Tatverdächtige haben sich von 2020 mit 150 auf rund 1.000 im vergangenen Jahr fast verzehnfacht.
Video: Täter immer öfter unter 14 Jahren
Zusammenfassung
- Geht es nach der Bundesregierung, der Wiener SPÖ und den Wiener Neos sollen wiederholt straffällige gewordene, unmündige Minderjährige in speziellen Einrichtungen festgehalten werden.
- Doch dafür brauche es noch einige Vorarbeit, so die Kinder- und Jugendhilfe, die den befristeten Freiheitsentzug durchführen soll.
- Allen voran braucht es einmal den rechtlichen Rahmen.