Erfolgsautor Marías wird 70 - und kein bisschen leise
Sein letztes Buch, der im Frühjahr veröffentlichte Spionageroman "Tomás Nevinson", sei wohl Marías' bestes Werk überhaupt, urteilte etwa der Literaturkritiker José Carlos Mainer. Dabei galt der unbequeme Denker lange als schwer verkäuflich. Bis "Mein Herz so weiß" im Sommer 1996 - rund vier Jahre nach dem Erscheinen der spanischen Fassung - in der TV-Sendung "Das literarische Quartett" unisono mit Lob überschüttet wurde.
Der 2013 gestorbene "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki sprach von einem "genialen Buch" und dem "größten im Augenblick lebenden Schriftsteller der Welt". Der Roman eroberte nach der Sendung und weiteren positiven Kritiken die Bestsellerlisten und verkaufte sich allein in der deutschen Übersetzung 1,2 Millionen Mal.
Marías, der Mitglied der Königlich Spanischen Akademie ist, freut sich über den Erfolg in Deutschland, möchte aber auch eine kritische Distanz wahren. "Ich bin nicht gut, weil die Deutschen oder andere es sagen." Es gebe ja Schriftsteller, deren Bücher "nur ein paar tausend Mal verkauft wurden und in die Geschichte eingegangen sind", betont er.
Die bisher 16 Romane von Marías wurden nach Angaben seines Verlages Alfaguara in 46 Sprachen übersetzt und insgesamt neun Millionen Mal verkauft. Der Autor gehört zu den "ewigen Nobelpreiskandidaten". Er wird von so namhaften Kollegen wie Orhan Pamuk und J.M. Coetzee in den Himmel gelobt. Dabei räumt der Kettenraucher und Spätaufsteher unumwunden ein, er werde stets von "enormer Unsicherheit" geplagt, wenn er in seiner Wohnung voller Bücher im Zentrum von Madrid ein neues Werk beginnt.
Je älter er werde, verstehe er "immer weniger, wie Romane gemacht werden". Während das leere weiße Blatt - Marías verabscheut Computer und tippt stets an der Schreibmaschine - ihm Unbehagen bereitet, verursacht das fertige Werk dem Literaturhistoriker und Hochschullehrer oft Verdruss. "Alle meine Romane erscheinen mir unmittelbar nach der Vollendung schlecht. Ich würde oft am liebsten alle Seiten in den Papierkorb werfen", erzählte er.
Marías geht nicht nur mit sich selbst hart ins Gericht. In seiner Kolumne für die Zeitung "El País" zieht er über vieles und viele schonungslos her. Dieser Tage stellte er autoritäre Regierungschefs aller Couleur an den Pranger und klagte: "Wir leben in einer Zeit voller berühmter Dummköpfe."
Der Mann, der seinen Erzählungen nach mit elf mit dem Schreiben begann und sich in seiner Jugend in Paris als Straßensänger durchschlug, ist ein Rebell im Literaturbetrieb. Er gewährt äußerst selten Interviews, nimmt keine Auszeichnungen staatlicher Stellen in Spanien an - und auch keine Vorauszahlungen. Seine Erklärung: "Ich würde meine Freiheit verlieren. Und ein Buch, das nicht gelungen ist, nicht in die Schublade stecken können."
Der Autor ist das zweitjüngste von fünf Kindern von Julián Marías. Der bekannte Philosoph (1914-2005) saß als Gegner der Franco-Diktatur lange hinter Gittern und musste Mitte der 1950er Jahre für einige Zeit in die USA auswandern. Javier Marías wuchs zweisprachig auf. Sein erstes Geld verdiente er sich als Kind nicht nur mit Kurzauftritten in Filmen seines Onkels Jesús Franco, sondern auch als Übersetzer. In den 1980er Jahren unterrichtete er an der Oxford-Universität. Die Erlebnisse in Großbritannien arbeitete er im Roman "Alle Seelen oder die Irren von Oxford" (1989) auf.
Marías' Werk umfasst nicht nur Romane, Essays, Kolumnen und Erzählungen, sondern auch viele Übersetzungen aus dem Englischen. Zu den literarischen Markenzeichen des begeisterten Anhängers des Fußball-Clubs Real Madrid gehören die präzise Sprache, die Mischung aus Wirklichkeit und Fiktion sowie die weit ausgreifenden Sätze. Er setzt sich mit Themen wie Verrat, Liebe und Begierde auseinander.
Es gibt "Marías-Verächter", die durch die surrealistisch anmutende Trilogie "Dein Gesicht morgen" (2002, 2004 und 2006) in ihrer Meinung bestärkt wurden. Im 1600-Seiten-Monumentalwerk mute Marías dem Leser mit seiner extremen Zeitausdehnung, den unzähligen Variationen, Wiederholungen und Monologen zu viel zu, kritisierten manche.
Marías, der in den 1980er Jahren als "Erneuerer" der spanischen Literatur gefeiert wurde, braucht derweil niemanden, der ihn kritisiert. Das erledigt er selbst. Schreiben sei ja im Grunde "anormal und komisch", behauptet er. Das habe er in "Die sterblich Verliebten" (2011) beschrieben. Eine Verlagsangestellte stelle in dem Roman durch den täglichen Kontakt mit Autoren fest, so Marías, "wie lästig, blöd und eingebildet wir (Schriftsteller) sind".
Zusammenfassung
- Javier Marías lässt sich weder vom unerbittlichen Lauf der Zeit noch von seinen heftigen Selbstzweifeln stoppen.