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Eine Entdeckung: Betty Paoli, Österreichs erste Journalistin

Sie muss eine erstaunliche Persönlichkeit gewesen sein: Barbara Glück, die sich Betty Paoli nannte, hatte ruppige Umgangsformen, einen selbstbewussten Lebenswandel und ein einzigartiges Netzwerk. "Es gibt kaum eine bedeutende Persönlichkeit des literarischen, künstlerischen und intellektuellen Lebens in Österreich im 19. Jahrhundert, mit der Paolis Name nicht auf die eine oder andere Weise verbunden ist", schreibt Karin S. Wozonig. "Und doch ist Paoli heute fast vergessen."

Die in Wien lebende Literaturwissenschafterin, die am Institut für Germanistik der Universität Wien u.a. zur deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts forscht, will mit zwei Büchern die Wiederentdeckung und angemessene Würdigung der hoch gebildeten, eloquenten und einflussreichen Frau vorantreiben: eine Biografie und ein Band mit ausgewählten Werken, der Gedichte, eine Novelle sowie Kritiken, Essays und Feuilletons enthält. Vorgestellt werden sie am 5. November in der Wienbibliothek im Rathaus, wo die 889 Inventarnummern und viele ungedruckte Briefe, Dokumente und Gedichtmanuskripte enthaltene "Sammlung Paoli" einen reichen Materialschatz darstellt.

Betty Paoli (1814-1894) war nicht nur Lyrikerin, Übersetzerin und Essayistin, sondern wurde im Revolutionsjahr 1848 auch Österreichs erste Profi-Journalistin und machte sich in der Folge als Theater- und Literaturkritikerin einen Namen. "Die Kenntnis des Lebens dieser talentierten, gebildeten Frau und starken Persönlichkeit gewährt einen tiefen Einblick in die Kultur- und Literaturgeschichte Österreichs. Wer sich für das Jahrhundert interessiert, in dem die Weichen für die Herausbildung eines bürgerlichen, liberalen und demokratischen Gesellschaftsverständnisses gestellt wurden, das im Guten wie im Schlechten bis heute weiterwirkt, wird durch Paoli, durch ihre Literatur und ihre hellsichtigen Feuilletons Neues in neuen Zusammenhängen erfahren", schreibt Wozonig im Vorwort ihrer Biographie. "Ohne Paolis Werk sind weder die österreichische Lyrik des 19. Jahrhunderts noch die Besonderheiten des österreichischen Realismus in ihrem ganzen Umfang zu verstehen."

Als moderne Frau pflegte sie nicht nur selbstbestimmte Beziehungen jenseits der Konventionen (so lebte sie die letzten vier Jahrzehnte mit der Familie ihrer besten Freundin, der fünf Jahre jüngeren Ida Fleischl, und war deren vier Söhnen Erzieherin und Tante zugleich), sondern forderte auch sonst das ein, was in der Zeit ihren Geschlechtsgenossinnen verwehrt war. "An die Männer unserer Zeit" lautete eine 1832 in der "Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode" veröffentlichte Philippika der 17-jährigen Betty Glück (ihr Pseudonym verwendete sie erst drei Jahre später), in der sie männliche Kritik am angeblich flatterhaften und oberflächlichen weiblichen Wesen zurückwies: "Mögt zuvor erst selber werden, wie die Frauen sollten seyn, / Fehlerfrey und ohne Mängel, und im Herzen treu und rein."

Aus dem Jungstar wurde rasch eine angesehene Lyrikerin und Kritikerin, die im Privaten immer wieder Rückschläge zu erleiden hatte, im Politischen durchaus ambivalent agierte, sich in ihrer Rolle als Kassandra offenbar durchaus gefiel, aber sich das eigenständige Denken und Handeln nie abnehmen ließ. In einem vielstrophigen "Kein Gedicht" fasste sie ihr eigenes Schicksal als Frau so zusammen: "Mein Unglück läßt sich in zwei Worte fassen: / Ich war ein Weib und kämpfte wie ein Mann!"

Wozonig, die sich bewusst ist, dass ihr Rechercheobjekt seine eigene öffentlich zugängliche Biografie durchaus kontrollierenden Strategien der Selbstkonstruktion unterwarf, zeichnet Paolis Lebensetappen nach, von der Erzieherin, Gouvernante und Gesellschaftsdame in bürgerlichen und adeligen Häusern hin zur freischaffenden Dichterin und umstrittenen, weil in ihrem Urteil radikalen Kritikerin. Und sie schildert ihre Freundschaften zu Adalbert Stifter und Marie von Ebner-Eschenbach sowie ihre Begegnungen mit Größen wie Heinrich Heine, Franz Grillparzer, Nikolaus Lenau oder Iwan Turgenjew.

Am Ende des Auswahlbandes von Paolis Werken fasst Wozonig noch einmal zusammen: "Ihr ganzes Leben lang war die Autorin Betty Paoli geistreich, meinungsstark und mieselsüchtig, im persönlichen Umgang beeindruckend wegen ihres scharfen Verstandes, gefürchtet für ihr unverblümtes Urteil, berühmt für ihren Witz und ihre düsteren Prophezeiungen. Paoli war profund informiert und interessiert, was ihre eigene Zeit betraf, zugleich fest in der Vergangenheit verwurzelt und mit einem Seherblick für die Zukunft begabt. Aus dieser Mischung wird gemeinhin Überzeitlichkeit gemacht oder das, was man Aktualität, Modernität, Gegenwärtigkeit nennt - auf jeden Fall ein Werk, das uns heute etwas zu sagen hat."

(S E R V I C E - Karin S. Wozonig: "Betty Paoli - Dichterin und Journalistin. Eine Biographie", Residenz Verlag, 512 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 38 Euro, ISBN: 978-3-7017-3624-9; Betty Paoli: "Ich bin nicht von der Zeitlichkeit. Ausgewählte Werke" Hrsg. und mit einem Nachwort von Karin S. Wozonig, 224 Seiten, 26 Euro, ISBN: 978-3-7017-1797-2; Buchpräsentation am 5.11., 18.30 Uhr, in der Wienbibliothek im Rathaus, Rathaus, Stiege 8)

ribbon Zusammenfassung
  • Betty Paoli (1814-1894) gilt als Österreichs erste Profi-Journalistin und war eine bedeutende Kritikerin und Lyrikerin des 19. Jahrhunderts.
  • Karin S. Wozonig veröffentlicht eine Biografie und einen Band mit ausgewählten Werken von Paoli, um ihre Wiederentdeckung zu fördern.
  • Die 'Sammlung Paoli' in der Wienbibliothek umfasst 889 Inventarnummern mit ungedruckten Briefen und Dokumenten.
  • Paoli lebte ein unkonventionelles Leben und forderte Rechte ein, die Frauen ihrer Zeit verwehrt waren.
  • Die Buchpräsentation findet am 5. November in der Wienbibliothek im Rathaus statt.