Edgar Honetschläger fordert eine Zäsur in der Kunst
Der 1963 in Linz geborene, bildende Künstler und Filmemacher hat den Großteil seines Lebens in Japan, den USA und Brasilien gelebt. Seit einem Jahrzehnt arbeitet er in Wien und in Tarquinia nördlich von Rom. "Ich fliege seit Jahren nicht mehr", sagt er im APA-Gespräch. Ein Besuch bei seiner japanischen "Adoptivmutter" per Auto und Schiff sei schon geplant gewesen, ehe Corona und nun der Ukrainekrieg dazwischenkamen. Der Umgang des Menschen mit der Natur sei "immer schon zentraler Punkt" seiner Arbeit gewesen - von frühen künstlerischen Arbeiten aus Wachs und Gips bis zu seinem Spielfilm "AUN - Der Anfang und das Ende aller Dinge" (2011): "Darin geht es um die totale Zerstörung der Erde. Eine faustische Geschichte: Du willst das Gute und schaffst das Böse."
In seinem neuen Film "Le Formiche di Mida / Die Ameisen des Midas", den er in der Coronazeit in Italien gedreht hat und der im Jänner im Wettbewerb des Filmfestivals in Rotterdam seine Uraufführung feiern wird, "geht es darum, in einer sehr spielerischen Art auf die Punkte der Menschheitsgeschichte zu verweisen, an denen sich unsere Vorstellungen von der Natur verändert haben". Der Übergang von der nomadischen zur bäuerlichen Lebensweise kommt dabei ebenso vor wie klassische griechische Philosophie und Hegel. "Die Hauptfigur ist ein laut denkender Esel namens Balthasar, angelehnt an und im Widerspruch zum Film von Robert Bresson." Warum die Ameisen des Midas? "Die Geschichte des goldgierigen König Midas kennt jeder. Aber kaum jemand weiß, dass er der Legende nach als Kind von Ameisen genährt wurde, die ihn mit Weizenkörnern gefüttert haben. Wie kann jemand vergessen, was er der Natur verdankt, und alles zu Gold machen wollen?"
Die Menschheit habe sich seit langem gegen Koexistenz mit der Natur entschieden und sich "die Erde untertan machen" wollen. "Der Mensch wähnt sich als Krone der Schöpfung und sieht die Kunst als Edelstein obendrauf. Der Kunst war die Natur schon immer Inhalt, von der Höhlenmalerei bis zur Land Art. Während sich die Gesellschaft und unsere Lebensbedingungen dramatisch verändert haben, hat die Kunst in den vergangenen Jahrzehnten den Anschluss verloren. Anstatt vorzudenken, hinkt sie der Realität hinterher." Die Rechnung habe sie in der Coronazeit serviert bekommen: "Wir sind nicht systemrelevant! Wenn sich die Kunst in diesen rasant ändernden Zeiten nicht ebenso schnell verändert, braucht man sie nicht mehr. Es benötigt eine Zäsur im Jetzt - so wie es Duchamp für die Kunst im 20. Jahrhundert war."
Sein Konzept von GoBugsGo hat Honetschläger entwickelt, als vom Insektensterben öffentlich noch kaum die Rede war. "Ich war von der Nuklearkatastrophe von Fukushima geprägt und habe mir damals gedacht: Wenn die Welt untergeht - wozu soll man dann noch Kunst machen?" Also beschäftigte er sich mit der Beziehung der Menschen zu Kunst und Natur. "Wenn die Taliban eine buddhistische Skulptur zerstören, geht ein Aufschrei um die Welt. Es herrscht Einigkeit: Kultur ist schützenswert. Wenn ein Künstler ein Stück Natur zur lebenden Skulptur erklärt, löst sich die Dichotomie Kultur/Natur auf. Wir verwirklichen mit GoBugsGo eine künstlerischen Utopie, indem wir eine menschenfreie Zonen schaffen, die gleich Natur schützenswert ist - und obendrauf den Schutz des Kollektivs genießt."
Kunst sei "lebenswichtig für die Gesellschaft, weil sie die Seele des Menschen berührt", meint Honetschläger. "Wenn die Kunst weiter bestehen will, muss sie aufhören, die Speerspitze des kapitalistischen System zu bilden." Das sei bei GoBugsGo gelungen. "Wir machen etwas für alle und sind den Gesetzen des Kunstmarkts nicht unterworfen. Bei diesem Kunstprojekt bin ich sogar froh, wenn ich kopiert werde. Das Alleinstellungsmerkmal erübrigt sich." Dies solle die Definition von Kunst im 21. Jahrhundert sein: "Weil es nicht mehr um den allmächtigen Künstler geht, wird auch der längst überholte Geniebegriff unterlaufen" erklärt Edgar Honetschläger.
Rund 1.000 Vereinsmitglieder werden mit einem "Bugsletter" in drei Sprachen (deutsch, englisch, italienisch) über Aktivitäten informiert, ein dreiköpfiger Vorstand und ein zweiköpfiger Beirat entscheiden gemeinsam. Derzeit seien etwa drei Dutzend Menschen pro bono aktiv, "denn die NGO hält nichts - wie üblich - für Administration zurück. In GoBugsGo gestaltet der Mensch nicht mehr. Er lässt endlich gewähren. Wir reden alle immer von der Freiheit - GoBugGo gibt der Natur Freiheit."
Die jüngste GoBugsGo-Fläche liegt nach Weitra, Breitenbrunn und Wallendorf inmitten eines Barockgartens in Neapel und ist im Gegensatz zu den anderen Flächen eher symbolischer Natur. Mittels Schilder und QR-Codes wird Aufklärung betrieben und für Nachahmung geworben. Honetschläger argumentiert dabei ganz ähnlich wie der britische Biologe Dave Goulson ("Stumme Erde"), der die Menschen ebenfalls dazu aufruft, Teile ihrer Gärten unangetastet zu lassen. Leider habe Goulson keine zeitlichen Ressourcen als GoBugsGo-Botschafter aktiv zu sein, bedauert der Künstler, glaubt aber, eine langsame Bewusstseinsänderung unter den Menschen festzustellen. "Es wäre schön, wenn wir erkennen, als Individuen verantwortlich zu sein. Der Staat kann unsere Probleme nicht lösen."
Ein GoBugsGo-Landscout, ein ehemaliger Förster, hat bereits die nächste potenzielle Schutzzone entdeckt, ein Waldstück bei Ostra nördlich von Dürnstein dem die Rodung droht, für dessen Ankauf noch 25.000 Euro gesammelt werden müssen. Und auch in Edgar Honetschlägers nächstem Spielfilm soll es um Insekten gehen: "Es ist notwendig, dass die Menschen endlich Empathie für diese wunderschönen Lebewesen entwickeln. Und wer soll sonst unsere Kulturpflanzen bestäuben? Ohne Insekten keine Menschen!"
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - https://gobugsgo.org)
Zusammenfassung
- Die meisten Künstler versuchen, möglichst viele Menschen anzuziehen, Edgar Honetschläger dagegen errichtet "Non-Human-Zones" und ruft dort den Käfern zu: "Go bugs go!"
- Der Kunst war die Natur schon immer Inhalt, von der Höhlenmalerei bis zur Land Art.
- Es benötigt eine Zäsur im Jetzt - so wie es Duchamp für die Kunst im 20. Jahrhundert war."
- Wenn ein Künstler ein Stück Natur zur lebenden Skulptur erklärt, löst sich die Dichotomie Kultur/Natur auf.