"Die Politiker": Volkstheater startete Saison mit Sprechoper
So lange musste man darauf warten, dass der neue Volkstheater-Direktor Kay Voges, eigentlich seit Beginn der Saison 2020/21 im Amt, wirklich loslegen kann, dass am Freitagabend die 20 Minuten Verspätung, mit der die erste Vorstellung dieser Spielzeit begann, nicht wirklich ins Gewicht fiel. Schwerer wiegt die Erkenntnis, dass man, sollte der neue Chef mit seiner zweiten Wiener Arbeit (die erste zeigte er im Dezember 2019 mit "Dies irae" im Burgtheater) die künftige Richtung abgesteckt haben, diesen Kurs nicht bedenkenlos mitgehen möchte. Geschichten werden hier keine erzählt. Voges benutzt "Die Politiker" vor allem dafür, dem Wiener Publikum die Möglichkeiten der schönen neuen Technik vorzuführen und sein Ensemble vorzustellen. 13 Schauspieler sind aufgeboten. Und in den großen Logen rechts und links Dana Schechter und Paul Wallfisch als Live-Musiker.
Mit dem in Wien uraufgeführten Stück "Die lächerliche Finsternis" war der deutsche Lyriker, Dramatiker und Hörspielautor Wolfram Lotz 2014 everybody's darling. "Die Politiker", 2019 von Sebastian Hartmann am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt, ist ein langes Gedicht, ein Sprechtext, wie er es nennt, eine Sprechoper, die an Ernst Jandls "Aus der Fremde" erinnert, jedoch aus der Nähe erzählt. Politik hautnah nämlich. Eine Anschmiegung an "die Politiker" in tausend Variationen. Ihnen wird alles zugetraut. "Die Politiker holen die Krebse aus dem Fluss - mit bloßen Händen", heißt es einmal, "Die Politiker sind's, die an deinem MacBook-Kabel nagen", ein andermal. Aber auch: "Die Politiker fragen: Wolfram, wie oft rufst Du Deine Mutter an?" Denn der 40-jährige deutsche Autor bringt sich durchaus einige Male selbst ins Spiel. Erkenntnisdrang und Ausdruckszwang halten sich die Waage. Immer wieder eingearbeitete absurde Aufzählungen sprechen da eine deutliche Sprache.
Man kann diese endlosen Wortkaskaden als ironische, manchmal sarkastische Auseinandersetzung mit der im öffentlichen Ansehen nur knapp über Journalisten und Schwerverbrechern angesiedelten, dennoch oft mit Heilserwartungen konfrontierten Kaste sehen. Voges stellt seine Inszenierung dafür bewusst in einen antiken Rahmen. Michael Sieberock-Serafimowitsch hat eine Art modernen Tempel gebaut und flankiert ihn mit Michelangelos David und der Nike von Samothrake - jeweils mit einem Videoscreen unterm Arm. Denn die Video-Projektionsebene, mal mit wachsenden Pilzen, mal mit Live-Bildern einer Robo-Cam aus dem Publikum, soll das Zeitgenössische unterstreichen. Mona Ulrich hat das Ensemble in wallende weiße Gewänder gesteckt, sie könnten griechische Togen ebenso sein wie Anstaltskleidung - für beide Interpretationen gibt es szenisch immer wieder gute Argumente.
Die Polis ging anno dazumal (fast) jeden an, und Platons "Politeia" legte die Grundlage zur politischen Philosophie eines idealen Staates. Die Politiker heute sollen das schmutzige Geschäft der Organisation des Gemeinwesens erledigen und uns damit gefälligst in Ruhe lassen. Darüber ließe sich reden, streiten, diskutieren. Aber nicht skandieren. "Die Politiker" ist nämlich vor allem ein Sprachspiel, ein Sprechspiel, eine rhythmisierte Aneinanderreihung von absurden Erwartungen und auf die Spitze getriebenen Klischees. Hat man das kapiert, läuft sich das Ganze recht schnell tot. Lotz scheint sich dessen bewusst zu sein: Sein Text "hört auf, weil er irgendwann sonst nerven würde, um es mal ganz lapidar zu sagen. Und weil es reicht", hat er zu Protokoll gegeben. "Und weil man ihn in sich weiter singen kann." Muss nicht sein, Danke.
(S E R V I C E - "Die Politiker" von Wolfram Lotz, Österreichische Erstaufführung im Volkstheater Wien, Regie: Kay Voges, Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Musik: Paul Wallfisch, Kostüm: Mona Ulrich, Live-Musik: Dana Schechter, Paul Wallfisch, Live-Video: Manuel Bader, Mit: Andreas Beck, Rebekka Biener, Bettina Lieder, Lavinia Nowak, Nick Romeo Reimann, Gitte Reppin, Uwe Rohbeck, Uwe Schmieder, Christoph Schüchner, Samouil Stoyanov, Stefan Suske, Friederike Tiefenbacher, Anke Zillich. Weitere Aufführungen: 4., 10., 11., 17.9., Karten: 01 / 52 111-400, https://www.volkstheater.at)
Zusammenfassung
- Irgendwann ist es genug.
- Nach dem gefühlten tausendsten Mal, an dem der Begriff "Politiker" einem um die Ohren skandiert wird, möchte man abschalten und an etwas anderes denken.
- Dann hat man das Gefühl, dass die gestrige Eröffnungspremiere des Wiener Volkstheaters, "Die Politiker" von Wolfram Lotz, einen eher unter- als überfordert.
- Aber auch: "Die Politiker fragen: Wolfram, wie oft rufst Du Deine Mutter an?"