"Der große Diktator" auf der Bühne im Grazer Schauspielhaus
Weyde wollte keine Bühnenkopie des Originals erschaffen und verpasste Chaplins Plot eine Rahmenhandlung. In dieser treffen die gescheiterten Chaplin-Imitatoren Melly und Marcel am Grab ihres Idols zusammen. Mit den eigenen inneren Abgründen konfrontiert geraten sie zuerst in Streit - unter anderem darüber, ob sie sich einen Hitlerbart oder einen Chaplinbart aufgeklebt haben - und dann in die Handlung des Films.
Julia Gräfner als Melly übernimmt dabei die Rolle des Diktators Hynkel, Alexej Lochmann (Marcel) jene des jüdischen Friseurs. Insbesondere Gräfner hat ihren Chaplin in Gestik und Motorik gut drauf und beherrscht auch Chaplins genialen Kunstkauderwelsch "Tomanisch" fast akzentfrei.
Die anderen Rollen sind ebenfalls treffsicher besetzt und komödiantisch makellos ausgeführt. Clemens-Maria treibt die Lächerlichkeit der Göring -Karikatur des Feldmarschall Herring mit einer zirkusclownesken Darbietung auf die Spitze, Sarah Sophia Meyer ist eine eiskalte Nazi-Sekretärin, Mario Fuchs als Mussolini-Alter Ego Benzino Napaloni ein fein schablonisierter Italo-Chauvi. Lisa Birke Balzer hat es da mit ihrer quasi ernsten Rolle als Hannah, das Love Interest des Friseurs, fast schon schwer.
Das monolithische Bühnenbild ist adäquat umgesetzt und archaisch-düster. Die Schlüsselszenen wie beispielsweise Hynkels verliebter Tanz mit der Weltkugel oder das absurde Sesselhöhe-Duell mit Napaloni sind geschickt adaptiert und gehen somit über reines Re-Enactment hinaus. Die im Stück hinzugefügte Rolle der "Reichsfilmbildgestalterin" und Agentin Hertha Stahl nach der Vorlage Leni Riefenstahls fügt sich in Chaplins ursprüngliches Dramatis Personae nahtlos ein.
Wo die Inszenierung hinter ihren Ansprüchen allerdings zurückbleibt, ist das proklamierte Transportieren in die von wiedererstarktem Rechtsextremismus und schamlosen politischen Inszenierungen und Manipulationen mitgezeichnete Gegenwart. Viel zu selten blitzt ein Seitenhieb auf gegenwärtige Verhältnisse durch. Und auch die Verwerfungen der eigenen Persönlichkeit, die jeden Menschen potenziell zu einem Diktator oder einer Diktatorin machen können, sind in den Rahmenhandlungsfiguren nur zaghaft herausgearbeitet.
Lediglich im Finale wird die kritische Marke erreicht. Nämlich als die legendären Hoffnungsrede des Friseurs von der Clique des Diktators mit Einflüsterungen zerstört und regelrecht zunichtegemacht wird. Wohlbekannte Slogans und Stehsätze wie die Gefahr zur Minderheit im eigenen Land zu werden oder jener, dass damals "ja nicht alles schlecht gewesen" sei, erinnern das Publikum daran, dass der Nährboden für Despoten und verbrecherische Systeme nach wie vor jener ist, auf dem wir stehen.
So gesehen war es durchaus folgerichtig, dass der Premierenapplaus des Publikums respektvoll und gerade ausreichend lang ausfiel. Bravo-Rufe und andere Jubelbekundungen waren nur vereinzelt zu hören.
(S E R V I C E - "Der Große Diktator" - Ein Theaterstück nach dem Film von Charlie Chaplin; Regie: Clara Weyde, Dramaturgie: Franziska Betz; mit: Julia Gräfner, Alexej Lochmann, Lisa Birke Balzer, Niko Link, Mario Fuchs, u.a. Weitere Termine: 23. Mai 18 Uhr, 29. Mai 19.30 Uhr, 3. Juni 19.30 Uhr; Infos und Karten unter: https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com)
Zusammenfassung
- Mit der Hitler-Parodie "Der Großen Diktator" bugsierte Charlie Chaplin 1940 die Filmkomödie in eine völlig neue und in dieser Form einzigartige Dimension.
- Im Grazer Schauspielhaus ist derzeit eine von der deutschen Regisseurin Clara Weyde inszenierte Bühnenfassung zu sehen.
- Julia Gräfner als Melly übernimmt dabei die Rolle des Diktators Hynkel, Alexej Lochmann (Marcel) jene des jüdischen Friseurs.