David Garrett vor Welttour: "Jetzt möchte ich Spaß haben"
APA: Sie sind schon sehr lange international tätig. Was ist Ihre Beziehung zu Wien, zu Österreich?
David Garrett: Eine lange, schöne Beziehung zu Wien. Insbesondere Wien, muss ich sagen. Ich habe hier mit 15 Jahren Debüt gehabt - ein wunderschönes Debüt, das ich bis zum heutigen Tag wahnsinnig gut in Erinnerung habe, weil es so etwas Besonderes war. Und zwar mit Lord Yehudi Menuhin im Musikvereinssaal. Seitdem hat Wien einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Auch musikalisch, weil wir hier so viele Konzerte über die letzten 25 Jahre gespielt haben. Zuletzt hier wieder im Musikvereinssaal mit dem Klassikprogramm, mit "Iconic", aber zwischendurch natürlich auch mit Crossovern in der Stadthalle.
APA: "Millennium Symphony" ist Neuland für Sie, weil der Fokus komplett auf den vergangenen 25 Jahren Musikgeschichte liegt. Gab es in diesem Zeitraum Genres oder Lieder, bei denen eine Adaption für die Geige besonders herausfordernd war?
Garrett: Also wenn du so Seventies, Eighties, Nineties machst, dann kannst du dich natürlich schon ein bisschen zurücklehnen, was den Sound angeht, weil du natürlich keinen aktuellen modernen Sound haben musst. Weil du ja ein bisschen "Oldies", immer noch Crossover, aber eher "Oldies" spielst. Und dann ist da natürlich nicht so diese aktuelle Präsenz, die man heutzutage auch erwartet, von einem etwas aktuelleren Album, was Sound angeht. Insofern war das für mich schon ein sehr anspruchsvolles Album, was das Arrangement, was die Grooves, was Drum'n'Bass angeht, weil ich da viel Neues heraussuchen musste und herausfinden musste, was mit der Geige dann auch gut harmoniert. Was die Stückauswahl angeht: Wir haben einfach wahnsinnig viel ausprobiert. Bis wir so zwei, drei Sachen gefunden haben, wo ich gesagt habe: "Ey, die funktionieren super." Man hangelt sich so von einem Stück zum nächsten. Wir waren ja auf Klassiktour die gesamte Zeit. Jedes Mal wenn du irgendeine Idee hast, schreibst du auf, schreibst auf, schreibst auf.
APA: Wie lange war dieser Prozess circa? Ein Vierteljahrhundert Revue passieren zu lassen, ergibt zum jetzigen Datum viel Sinn, aber für Sie natürlich auch einen riesigen Pool zum Recherchieren...
Garrett: Ja, aber was mir auch aufgefallen ist, in den letzten 20, 25 Jahren: Wir wollen oder denken immer, dass wir diversifizieren. We diversify. Aber in der Musik ist merkwürdigerweise eigentlich ein bisschen das Gegenteil passiert. Wenn man sich die Musik so aus den 70ern, 80ern anhört - die kenne ich ja sehr gut, einfach auch beruflich schon -, dann waren die Musikrichtungen und die Stile so unterschiedlich, prägnant auch voneinander zu trennen. Und was in den letzten 20 Jahren wirklich passiert ist: Jeder wollte so ein Stück weit die Brücke schlagen. Jazz hat sich mehr angehört wie Pop, Pop hat sich mehr angehört wie R&B, R&B hat Sachen von EDM übernommen, EDM hat irgendetwas von Rock übernommen, Rock hat etwas von EDM. Im Endeffekt hast du dann nur noch eine Soundsoße. Und versuche mal in den letzten zehn Jahren Stücke zu finden, die einen geilen Verse haben, einen geilen Chorus, wirklich einen authentischen, wiedererkennbaren Groove. Das ist gar nicht so leicht. Ich habe noch nie so lange nach Stücken gesucht.
APA: Was waren dann genau die Kriterien, damit es zur Auswahl kam?
Garrett: Eine sehr eindeutige, geile Melodie. Harmonien, die unterschiedlich sind. Das heißt, du musst ein Stück weit schon ein bisschen mehr haben, als diese drei, vier üblichen Harmonien, die heutzutage irgendwie einen Hit machen. Einen guten Rhythmus. Irgendeinen Hook in dem Song, der so eindeutig ist, dass er auch ohne Lyrics eine sofortige Wiedererkennung hat. Wenn du nicht singst, wenn du nicht die Worte hast, fällt dir plötzlich auf, dass alles ein bisschen so ein Einheitsbrei geworden ist. Und da wirklich sich durchzufiltern und die Stücke zu finden, die halt das nicht sind, das war gar nicht so leicht.
APA: Nächstes Jahr folgt die Tour zum Album. Sind in der Liveperformance auch neue Elemente geplant?
Garrett: Wir haben ein Orchester dieses Mal wieder dabei, die Band ist dabei. Wir haben eine B-Bühne in der Halle selber drin, die sicherlich auch hier und da benutzt werden wird. Einfach damit man auch Kontakt zum Publikum hat, da stehe ich total drauf. Und ja, die Produktion wird, Stand jetzt, sehr, sehr üppig sein. Da wird auch viel Geld in die Hand genommen, dass wir etwas ganz Besonderes auf die Beine stellen.
APA: War es eine bewusste Entscheidung zu sagen, ich mache "Iconic" für meine Klassikfans und "Millennium Symphony" für meine Popfans?
Garrett: Ich habe noch nie etwas für jemanden gemacht - beruflich zumindest. Die einzige Entscheidung, die im beruflichen Leben wichtig ist: Was möchtest du machen? Wo sind deine Interessen? Woran hast du gerade Spaß? Was fasziniert dich gerade? Ich frage nicht einmal mein Team irgendwie etwas. Ich habe immer drei, vier Ideen für ein Album. Im Endeffekt mache ich ein paar Demos und in welche Richtung sich das am besten entwickelt, nehme ich dieses Projekt. Aber es ist nicht so, als wenn ich jemals überlegt hätte, was könnte ein Publikum faszinieren? Das ist ein Bauchgefühl. Und nach knapp 120 Klassikkonzerten - ach, come on, jetzt muss wieder ein bisschen Crossover passieren, jetzt möchte ich ein bisschen etwas Lustiges und Spaß haben. Auch in dem Sinne, dass man sich nicht ganz so ernst nimmt auf der Bühne, und da freue ich mich jetzt wieder drauf.
APA: Das klingt so, als würde es Sie auch kalt lassen, wenn irgendwelche Marketingregeln besagen, man müsste das Publikum in zehn Sekunden abholen...
Garrett: Ja. Ein Stück muss sich aufbauen. Das ist genau so, als ob du versuchen würdest, einen Menschen innerhalb von zehn Sekunden zu beschreiben. Es ist komplexer. Man muss sich Zeit für jemanden nehmen, um jemanden zu mögen, um etwas zu lieben. Wenn man sich Zeit nimmt, ist es auch nicht so vergänglich. Schnell etwas gut zu finden heißt aber auch, schnell etwas zu vergessen. Man kann etwas toll finden, zehn Sekunden später weißt du nicht mehr, was du toll gefunden hast. Und das finde ich sehr, sehr schade, weil früher Kunst einen längeren Einfluss auf unser Leben gehabt hat. Einen langfristigen Einfluss.
APA: Auch KI ist in der Musikproduktion im Kommen. Wir tippen einen Prompt ein und bekommen ein peppiges Lied für die Zielgruppe zehn bis 13 Jahre. Hat das bei Ihnen schon je eine Rolle gespielt?
Garrett: In dem Moment, wo ich eine KI höre, wo jemand wirklich gut geigt, also mit Künstlicher Intelligenz, dann mache ich mir Sorgen. Aber Geige oder ein Streichinstrument funktioniert bis heute nicht. So auf einem Niveau von Jascha Heifetz. Oder einen Heifetz sozusagen ein modernes Stück spielen zu lassen in dieser Tonqualität, in diesem Stile. Das hat KI bis jetzt noch nicht geschafft. Da würde ich nervös werden, wenn das passieren würde.
APA: Das heißt, Sie erkennen auch, wenn etwas auf YouTube aus der KI geladen wurde?
Garrett: Das ist richtig drittklassig. Wie ein ganz, ganz schlechter Geiger. Das ist nie gut. Deswegen bin ich eigentlich ganz entspannt hier in diesem Sessel.
(Das Gespräch führte Klaus Kainz/APA)
(S E R V I C E - www.david-garrett.com/de/)
Zusammenfassung
- David Garrett geht 2025 auf Welttournee und wird am 21. März in der Wiener Stadthalle auftreten.
- Sein neues Album 'Millennium Symphony' umfasst Geigenvariationen von Hits der letzten 25 Jahre, von Beyoncé bis Rammstein.
- Garrett kritisiert die Homogenität moderner Musik und sieht in den letzten Jahrzehnten eine Abnahme der musikalischen Diversität.
- Für seine Tour plant Garrett eine aufwändige Produktion mit Orchester und innovativer Bühnentechnik.
- Er betont, dass seine musikalischen Projekte von seinen persönlichen Interessen und nicht von Marktanalysen geleitet werden.