APA/Nikolaus Ostermann / Volkstheater

"Black Box" im Volkstheater: Audiowalk durch ein leeres Haus

Noch immer dürfen keine Vorstellungen im Volkstheater Wien stattfinden. Doch ein Rundgang durch das frisch renovierte Theater, dessen neuer Direktor Kay Voges nach wie vor darauf wartet, endlich loslegen zu dürfen, ist erlaubt. Und was seit heute, Samstag, Nachmittag den Besuchern dabei geboten wird, verdient das Prädikat sehens- und hörenswert. In "Black Box" wird man in Fünf-Minuten-Abständen mit Kopfhörern auf eine Solo-Tour durchs Haus geschickt.

Der 90-minütige Audiowalk, dessen Konzept von Stefan Kaegi und der Gruppe Rimini Protokoll ursprünglich für das kurz darauf abgerissene Théâtre Vidy in Lausanne erfunden wurde, ist ein Abenteuer, das viel Konzentration erfordert. Man muss sich in der neuen Garderobe weiße Zwirnhandschuhe anziehen, schließlich muss man in der Folge jede Menge Türschnallen niederdrücken, und obwohl man nur gelegentlich anderer, sich wie ferngesteuert durch das Haus bewegender Pfadfinder ansichtig wird, ist die FFP2-Maske Pflicht. Das wichtigste Utensil ist aber ein Stereo-Kopfhörer, über den man Anweisungen bekommt, aber auch mitten in Gesprächen landet oder in den vielen Stiegenhäusern seinen "eigenen" Schritten lauschen kann.

Die Audiotour ist perfekt gemacht und streng getaktet. Man tut gut daran, seine Gedanken nicht allzu abschweifen zu lassen, denn jederzeit können Anweisungen kommen, denen man unmittelbar Folge leisten muss. Da "Black Box" das Prinzip eines einzigen langen Live-Mitschnitts verfolgt, bekommt man gelegentlich Befehle wie "Standbild", "Close-Up", "Kamerafahrt", "Schwenk" oder "Aktion". Wer dann nicht die richtige Tür aufdrückt, sich zur richtigen Seite wendet und sich in den Treppenhäusern in die richtige Richtung bewegt, kann rasch verloren gehen. Zur Sicherheit tragen die Kopfhörer eine Notruf-Telefonnummer. Es habe aber noch nie wer angerufen, versichert das Instruktions-Personal am Start. Kunststück. Der Parcour hat eben erst begonnen. Als siebente von 55 Personen an diesem Nachmittag begibt man sich auf die Reise.

Als erstes muss man sich in die ehemalige Kasse setzen. Es wird nicht der einzige Mini-Raum bleiben, denn man darf u.a. auch in einen übel riechenden Kellerraum, in dem die Kühlanlage untergebracht ist, in den winzigen Souffleurkasten oder auf das letzte stille Örtchen, in dem sich die Schauspieler vor ihrem großen Auftritt erleichtern können. Es ist über weite Strecken wirklich die versprochene aufregende Erkundungstour "durch alle Ecken des Hauses hinter, unter, über und auf der Bühne". Man darf im wieder hergestellten, denkmalgeschützten "Führerzimmer" sich vorstellen, einer Konzeptionsprobe beizuwohnen, bekommt Einblicke in die Schneiderei, in die neue Maske, in die Requisite, begegnet beim neuen Empfang mit dem Portier dem einzigen lebenden Menschen ("Bitte nicht ansprechen") und darf sich im Besprechungsraum ein Getränk aus dem Eiskasten nehmen. Was man nicht zu Gesicht bekommt, sind die neuen Schauspielergarderoben, und auch das Direktionszimmer wird rechts liegen gelassen.

Dafür geht es auf eine Technik-Brücke, auf die Unterbühne, an das Pult des Inspizienten und sogar auf die Bühne selbst. Auf der Seitenbühne darf man auf Knopfdruck Theaternebel verbreiten, ehe man sich in der "Gasse" auf seinen Auftritt vorbereiten muss, im Ohr ein Gespräch von Doris Weiner und Hasti Molavian über Lampenfieber und Auftrittsängste. Dann der Schritt ins Rampenlicht und von dort der Blick in das schwarze Loch des Zuschauerraums. Als man kurz darauf die Verbeugung übt, weiß man, dass man bei seinem Volkstheater-Bühnendebüt zumindest zwei Zuschauer hatte: den Tour-Teilnehmer im Zuschauerraum und jenen im Souffleurkasten.

Über die VIP-Lounge und die Bürgermeister-Loge geht es in die Rote Bar. Dort findet man einen kleinen Zettel mit einer Botschaft vor, die einem die Vorgängerin hinterlassen hat. Auf ihm steht (im Fall des Rezensenten): "Bis bald in der wunderschönen Illusionsmaschine Theater!" Dem ist nichts hinzuzufügen. Und bis dahin die Illusion genießen, dass sie im "Rahmen der Box" einzig allein für einen selbst angeworfen wird. Hingehen! Anschauen! Verzaubern lassen!

(S E R V I C E - "Black Box" von Stefan Kaegi / Rimini Protokoll. Dramaturgie: Aljoscha Begrich, Christoph Gurk, Sounddesign: Nikolas Neecke, Ton: Sebastian Hartl, Audio Editing: Johanna Hirzberger, Lichtdesign: Julian Paget, Lichteinrichtung und Objektbau: Markus Hirscher, Videoschnitt: Max Hammel, Mit Bettina Lieder (Stimme im Off), MitarbeiterInnen des Volkstheaters und ExpertInnen, Volkstheater Wien, Nächste freie Termine: 6. und 13.3., jeweils ab 13 Uhr, 7. und 14.3., jeweils ab 11 Uhr, Slots alle 5 Minuten für eine*n Besucher*in, Dauer ca. 90 Minuten, www.volkstheater.at/stueck/blackbox/)

ribbon Zusammenfassung
  • In "Black Box" wird man in Fünf-Minuten-Abständen mit Kopfhörern auf eine Solo-Tour durchs Haus geschickt.
  • Da "Black Box" das Prinzip eines einzigen langen Live-Mitschnitts verfolgt, bekommt man gelegentlich Befehle wie "Standbild", "Close-Up", "Kamerafahrt", "Schwenk" oder "Aktion".
  • Auf ihm steht: "Bis bald in der wunderschönen Illusionsmaschine Theater!"
  • (S E R V I C E - "Black Box" von Stefan Kaegi / Rimini Protokoll.